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Bundeskanzleramt erklärte ihr in einem vertraulichen Gespräch, wie dramatisch die Lage Österreichs nach dem Berchtesgadener Treffen wirklich geworden sei. Auf sein Bitten hin, lobbyierte sie beim Pariser Kardinal und in London bei Abgeordneten des Unterhauses für ein unabhängiges Österreich. Am 12. März 1938 erlebt sie den „Anschluss“ in London. Ihr Name stand auf der Liste, der zu Verhaftenden ganz oben und auf ihre Ergreifung war eine Prämie ausgesetzt. Das Büro der „Harandbewegung“ in der Elisabethstraße 20 besetzte der Sicherheitsdient der GESTAPO am zweiten Tag nach dem „Anschluss“, die Akten des Büros wurden nach Berlin transferiert und dort ausgewertet. In einem Bericht des SD hieß es, dass die „Harandbewegung‘“, „eine der übelsten Hetzzentralen“ gegen den Nationalsozialismus gewesen sei. „Sein Kampf. Antwort an Hitler“, gehörte auch zu jenen Büchern, die am 30. April 1938 bei der Bücherverbrennung in Salzburg verbrannt worden sind.’ Irene Harands Ehemann Frank (1895 - 1976) konnte im Marz 1938 noch aus Wien flichen. Moriz Zalman zégerte aber zu lange. Zwar konnte ihm noch mit Hilfe der tschechoslowakischen Botschaft ein Pass mit falschem Namen übergeben werden. Doch beim Versuch, am 22. März 1938 mit dem Zug in die Schweiz zu entkommen, wurde er in Feldkirch verhaftet und im KZ Dachau interniert. Im Mai 1939 wurden ihm und Hertha Breuer (1905 - 1942), einer weiteren jüdischen Mitarbeiterin der „Harandbewegung“ in Wien ein Schauprozess mit fingierten Vergehen gemacht. Diesen Anlass nutzte das NS-Regime noch zu einer publizistischen Abrechnung mit Irene Harand. Zalman wurde 1940 im KZ Sachsenhausen und Hertha Breuer 1942 im KZ Ravensbrück ermordet. Bevor es Irene Harand im September 1938 gelang in die USA zu emigrieren, fuhr sie im Juni 1938 noch einmal in die Schweiz und nahm an der von den USA einberufenen internationalen Flüchtlingskonferenz im französischen Evian am Genfersee teil. Als eine von etwa zwei Dutzend VertreterInnen von Hilfsorganisationen konnte sie vor einem Subkomitee der Konferenz eine kurze mündliche Stellungnahme zur Situation der JüdInnen im annektierten Österreich abgeben. Frustriert musste sie zur Kenntnis nehmen, dass die internationale Staatengemeinschaft nicht bereit war, den rassisch und politisch Verfolgten koordiniert zu helfen. Im New Yorker Exil wurde Irene Harand Leiterin der „Woman Division“ der „Anti Nazi League“, einer Dachorganisation von tausenden amerikanischen Organisationen, die deren Kampf gegen den Nationalsozialismus koordinierte. Neben ihrer Tätigkeit in der „Anti Nazi League“ waren sie und ihr Ehemann auch in österreichischen Exilorganisationen aktiv. Sie war mit dem = 24 _ZWISCHENWELT ehemaligen Wiener Vizebürgermeister Ernst Karl Winter (1895 - 1959) Mitbegründerin des überparteilichen „Austrian American Center“ und später des „Austrian Institute for Science, Arts and Economy“, das kulturelle und politische Veranstaltungen organisierte und dessen Präsidentin sie in den 1960er Jahren wurde. Das Ehepaar Harand bewegte sich zunächst in konservativen und legitimistischen Kreisen. Gegen Kriegsende engagierte sie sich dann in der „Worlds Mothers League“ und setzte sich für eine stärkere Rolle von Frauen in Politik, Wirtschaft und Kultur ein. Ende der 1940er Jahre wurde es ruhig um sie. Kurz nach Kriegsende organisierte sie noch den Versand von Lebensmittelpaketen nach Österreich. 1947 erschien im Wiener Kurier ein Artikel über sie: Autor war Franz Sobek, jener österreichische Beamte, der sie im März 1938 bat, ihre internationalen Kontakte für Österreich zu nutzen. Sie lebte zurückgezogen mit ihrem Mann in New York. Anfang der 1960er Jahre entdecken amerikanische Philatelisten Irene Harand: 1937 hatte die „Harandbewegung“ als Antwort auf die Ausstellung „Der ewige Jude“ im Deutschen Museum in München eine eigene Serie von Briefmarken mit bedeutenden jüdischen Persönlichkeiten aufgelegt. Diese „Verschlussmarken“ erregten öffentliche Aufmerksamkeit, da sie als Zusatzmarken auf regulären Briefsendungen ins „Dritte Reich“ auftauchten und die Reichspost die Zustellung dieser Briefe untersagte. Eric Lind, ein deutsch-jüdisch-amerikanischer Philatelist, organisierte Anfang der 1960er Jahre unter dem Titel „Ihe story of a movement“ eine kleine Ausstellung zur „Harandbewegung“ und präsentierte sie bei Philatelistentreffen in New York. Darüber hinaus schrieb er Artikel und organisierte Radiointerviews. Der beginnende öffentliche Rummel um ihre Person wurde Irene Harand aber unangenehm: Ich habe alle übertreibenden Dankesbezeugungen abgelehnt, immer wieder darauf hingewiesen, dass ich nur als denkender und fühlender Mensch meine Christenpflicht zu erfüllen versucht habe. Ich will nicht ausführlich gelobt werden, schrieb sie 1963 an Eric Lind.® Bemerkenswert auch die Rede, die sie 1968 anlässlich des 30-jährigen Jahrestags des „Anschluss“ im „Austrian Institute“ in New York vor Vertriebenen gehalten hatte. Darin geht sie auf ihre Hilflosigkeit ein - ihre Ohnmacht, nicht die Nazis aufgehalten zu haben, ihre Ohnmacht im Rest der Welt sich nicht genug Gehör verschafft zu haben: „ bis heute schäme ich mich überlebt zu haben. Als Entschuldigung kann ich nur sagen ich versuchte zu helfen von Anfang an.“” 1968 ist auch das Jahr ihrer ersten und einzigen Reise nach Israel. Joseph Hausner hatte sie mit Hilfe israelischer Behörden vorbereitet. Sie besuchte die Gedenkstätte „Yad Vashem“, die sie bei dieser Gelegenheit als „Gerechte unter den Völkern“ auszeichnete. Diese Ehrung blieb auch in Österreich nicht unkommentiert. Die Zeithistorikerin Erika Weinzierl schrieb über ihr Wirken in ihrem Buch „Zu wenig Gerechte“; 1971 wird ihr das „Goldene Ehrenzeichen der Republik Österreich“ verliehen und auch die Stadt Wien ehrt sie bei einem letztmaligen Besuch in Wien. Irene Harand starb 1975 in New York, ihre Asche wurde am Wiener Zentralfriedhof in einem Ehrengrab bestattet - zusammen mit jener ihres Mannes Frank, der sie um ein Jahr überlebte. 1990 wird auf Anregung von Peter Marboe, der sie als Direktor des New Yorker Kulturinstituts Anfang der 1970er Jahre noch persönlich kennengelernt hatte, ein Gemeindebau in der Judengasse 4 im Ersten Wiener Gemeindebezirk nach ihr benannt. In