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Irene Harand: Sein Kampf 1935 den 2000er Jahren folgte eine Verkehrsfläche bei der Paulaner Kirche im 4. Bezirk. Trotz dieser öffentlichen Ehrungen ist sie nach wie vor eine „Halbvergessene“. Irene Harand sitzt zwischen den geschichtspolitischen Stühlen der Zweiten Republik: Für die Sozialdemokraten war sie zu legitimistisch und Ständestaat-affin. Für die Christlichsozialen ist ihre Kritik am glühenden und unverbesserlichen Antisemiten Leopold Kunschak unangenehm. Bis 2016 vergab die Partei jahrzehntelang den hochdotierten „Leopold Kunschak“-Preis. Was bleibt nun von Irene Harand? Als Nachgeborener ist man beeindruckt von dieser starken, furchtlosen Frau, die glaubte, es mit Adolf Hitler und seiner NSDAP persönlich aufnehmen zu können. Das politische und soziale Experiment „Weltbewegung gegen Rassenhass und Menschennot“ ist zweifellos gescheitert. Was allerdings bleibt - und dafür ist Irene Harand die Kronzeugin: So wie sie, hätte jeder andere auch schon zwischen 1933 - 1938 wissen können, welche Folgen der Rassenhass der Nationalsozialisten für die jüdische Bevölkerung Europas haben könnte. Sie hat die zivilisatorische Katastrophe des Holocaust schr klar vorausgeschen. Sie hat Österreich und die Welt vor der Tragödie gewarnt - nur die wenigsten glaubten ihr. Und noch weniger taten aktiv etwas dagegen, um die anrollende Katastrophe der Vertreibung und Ermordung der europäischen Juden zu verhindern. „Sein Kampf. Antwort an Hitler“ ist es wert auch heute noch gelesen und gehört und gesehen zu werden. Als Auffrischungsimpfung gegen das gesellschaftliche Gift des weiter grassierenden Antisemitismus. Anmerkungen 1 Vgl.: https://www.youtube.com/@marathonlesung-ireneharand6420/ about, Abruf 1.3.2023. 2 Im Ephelant-Verlag erschien 2005 ein Reprint: Irene Harand, Sein Kampf. Antwort an Hitler. 3 Der Verfasser war zusammen mit Erika Weinzierl (1925 - 2014) und Kurt Scharr Mitautor der Publikation: „Gegen Rassenhass und Menschennot“. Irene Harand- Leben und Werk einer ungewöhnlichen Widerstandskämpferin, Innsbruck 2004. 4 Österreichische Kunst, Heft 3, Wien 1934, S. 3. 5 Seit einigen Jahren ist die Zeitschrift über das Portal „Anno“ der Österreichischen Nationalbibliothek digital erfasst und durchsuchbar. 6 Anm.: 1945 gelangten die Akten der „Harandbewegung“ durch die sowjetische Besatzungsmacht nach Moskau. Kurt Scharr konnte sie für die Publikation in einem Moskauer Archiv Anfang der 2000er Jahre sichten und auswerten. 7 Inzwischen wurden auch andere Bücherverbrennungen in Österreich nachgewiesen, vgl. Brita Steinwendtner in ZW 3-4/2022. 8 Klösch, Schaar, Weinzierl, Rassenhass, S. 46. 9 Klésch, Schaar, Weinzierl, Rassenhass, S. 213. Verstreutes Im Geburtsort Kramers Niederhollabrunn existiert natürlich auch ein Kriegerdenkmal und es kursieren auch alte Postkarten aus der Zwischenkriegszeit mit Abbildungen und den Namen (in Fraktur) von Teinehmern des ersten Weltkrieges aus Niederhollabrunn, unter denen allerdings der 1916 in Wohlhynien schwer verletzte Theodor Kramer nicht aufscheint. Auf eine Rückfrage, ich zitiere aus vager Erinnerung, hieß es, dieser Kramer sei ja bereits vor dem Ersten Weltkrieg nach Wien übersiedelt, habe daher sozusagen als Wiener an der Massenschlächterei teilgenommen. Dies zum einen. Ganz ungesichert ist die folgende Geschichte. In einem anderen Ort, nicht Niederhollabrunn habe außerhalb der Ortschaft eine kleine Ziegelei bestanden, die von einer Familie, die nicht ortsansässig war, betrieben wurde. Die vier Kinder der Ziegelbrenner besuchten die Volksschule in dem Ort. Was aus ihnen geworden ist, ist nicht bekannt, dem Hörensagen nach sind sie alle bereits im Ersten oder dann im Zweiten Weltkrieg gefallen. Auch ihre Namen fehlen auf dem Kriegerdenkmal. Also in einem Fall die Abgrenzung vom jüdischen Kind, im anderen Fall die soziale Abgrenzung. Denn Ziegelbrenner waren Landproletariat ohne Grundeigentum, Unzugehörige ohne eigenes Heim. - K.K. MAI 2023 25