OCR
Brigitte Menne im Herbst 2022 initiiert von Judith Forthuber. „Stolpersteine“ sind Zeichen der Erinnerungskultur an die Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus. Stolpersteine gibt es für verschiedene Personengruppen. In Wien ist es großteils die in der NS-Zeit verfolgte, deportierte oder ermordete jüdische Bevölkerung, an die Stolpersteine vor ihren ehemaligen Häusern erinnern. Unser Vorhaben in Goldegg betrifft die Verfolgten durch die NS-Militärjustiz in der Gemeinde. Meiner Meinung nach können wir unser Vorhaben nicht angehen ohne uns mit dem auseinanderzusetzen, was es schon gibt. Die Stolpersteine müssen mit den Kriegerdenkmälern in einen Zusammenhang gebracht werden. Sonst bewirken wir eine Spaltung der Erinnerungskultur. Also müssen wir uns zuerst mit den Krieger-Denkmälern beschäftigen. Weil sie, schr prominent, einfach schon da sind. Wir wollen für unser Projekt ja alle einladen, auch diejenigen, denen die Kriegerdenkmäler heute noch wichtig sind. 1 In fast jeder Gemeinde Österreichs gibt es Kriegerdenkmäler. Meistens neben der Kirche, am Hauptplatz oder auf dem Friedhof. Auf Krieger-Denkmälern aufgelistet sind in alphabetischer Reihenfolge die Namen der Gefallenen einer Gemeinde, oft mit ihren Fotos auf Porzellanplaketten. Eine Kolonne für den 1. Weltkrieg, eine für den 2. Weltkrieg. Vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Beginn des Zweiten sind es nur 21 Jahre. So kurze Zeit, und schon wieder musste es losgehen. Überall ist auf den Kriegerdenkmälern die Kolonne vom 2. Weltkrieg die Längere. In Stein gemeißelt. Zur Erinnerung. Auch zur Mahnung? Dass es tödlich sein kann in den Krieg zu ziehen? Dass Krieg immer zu Lasten der männlichen Bevölkerung geht. UND der weiblichen. An Leib und Seele. Wohin mit dem Schmerz? Wofür die Mahnung? Ich sche den Ausdruck kollektiven Schmerzes und den Aufruf zur persönlichen Introspektion für künftige Generationen. Jeder Krieg eine menschengemachte Katastrophe. Leider haben sie euch eingezogen. Leider haben sie euch ziehen lassen. Wer hätte es verhindern können? Was waren die zuvor gemachten leeren Versprechungen? Welche Lügen sind vorausgegangen? Geblieben ist die Vorstellung von einem grausamen Schicksal und ein paar Dutzend Namen auf jedem Denkmal. Jahr für Jahr legen die Krieger-Vereine ihre bombastischen Kränze hier ab. Sie salutieren davor mit ihrem heiseren „Habt-Acht!“, aber ihre Gesichter sind verkniffen und hart. Ich fürchtete bei den Beerdigungen im Gebirge ihren Händedruck. Während ich ihn verweigerte und ihnen ins Gesicht sah, dachte ich mir jedes Mal: Diese hier, die übriggebliebenen Veteranen, sind verantwortlich dafür. Sie wurden nicht zur Rechenschaft gezogen. Manche tragen sogar noch ihre Orden. Wer oder was sind „die Gefallenen“? Wieso sind sie „gefallen“? Sind sie vom hohen Ross gefallen? Sind sie aus allen Wolken gefallen? In den Schützengraben gefallen? Sind sie im Feld der Ehre gestolpert und hingefallen? Warum sind Soldaten als Gefallene plötzlich „Helden“? Ja, so wird es sein: Sie mussten posthum zu Helden werden, weil sie im Kriegsdienst für die Ausübung ihrer Pflicht wie Beamte (auch die müssen einen Eid 26 _ZWISCHENWELT auf den Staat schwören) ausgefallen sind. Und leider, es hört nicht auf. Es braucht Männer, die in den Krieg ziehen um ihr Vaterland zu verteidigen. Männer, die den Feind abwehren, wenn das Vaterland angegriffen wird. Heutzutage fühlen sich auch Frauen dazu berufen. Das Konzept Vaterland in seinen festgesetzten Grenzen der Nation macht etwas mit uns. Wir leben in einer Art Sisyphus-Sicherheit. Jede Generation rollt ihren vermeintlichen Frieden selbstsicher den Berg hinauf. Kaum auf den mehr illusionären als realen Gipfeln der Abgesichertheit angelangt, kommt uns der monolithische Friede wieder aus und rollt den Abhang hinunter. Immer wieder lösen wir weitere Lawinen der Verheerung selber aus. — Also jeder Zeit ihr Krieger-Denkmal? Der Brauch, Krieger-Denkmäler aufzustellen, ist jung, denn sonst müssten ja an jeder Ecke welche stehen. Früher war der gemeine Soldat dem Vergessen preisgegeben. Vor dem 1. Weltkrieg gab es keine öffentliche Gefallenen-Verehrung. Der Staat erinnerte sich der Gefallenen seiner Kriege nur in der Masse und entschädigte notdürftig seine Witwen und Waisen. Ich habe auch das noch im Ohr: Mit einer Mischung aus Mitleid und Verachtung werden die versehrten Restposten von Schlachten aller Art „de Höödn de“ genannt. 2 Zum Vergleich: Auf dem Feld der Unehre „gefallene Mädchen“ bekommen kein öffentliches Denkmal. Vergewaltigte Frauen werden zu keinen Heldinnen. Sie bekommen kein Denkmal. Was die Frauen symbolisch „tötet“ sind, am Beispiel meiner Großmutter Maria Etzer, Ehrverlust durch schlechte, zynische Nachrede, Schmähungen. Sie stutzen die betroffenen Frauen zurück bis zur Verdinglichung. Dann müssen sie sich und die erlebte Gewalttat auch noch verstecken. Das ungeschriebene Patriarchen-Gesetz lautet: Das Feindesland sei mitsamt seinen Frauen zu erobern und beides zu sapralisieren (Seit dem 1. Weltkrieg ist „sapralisieren“ ein Ausdruck der österreichischen Umgangssprache, von russisch zabrat, sich etwas listig beschaffen). So gesehen hat jeder Soldat schon von vornherein eine Waffe bei sich. Überall auf der Welt sind Frauen das unterschwellige Einsatzgebiet. Dieses Kriegsziel scheint ein unausgesprochenes Übereinkommen der Militärs zu sein: Dem Feind seien durch Vergewaltigungen von Frauen und Mädchen zusätzliche Verluste zuzufügen. Mann beruft sich da auf Gegenseitigkeit. So hat wenigstens jeder etwas davon. Nicht einmal dann, wenn ihre Körper zum erweiterten Schlachtfeld werden, auf dem sich Soldaten zusätzlich unter Beweis stellen, wenn „Ehrverlust“ im Krieg sie zu Tode gebracht hat, werden Frauen posthum geehrt. - Immerhin wird Vergewaltigung im Krieg seit 1966 als schwere Folter und als völkerrechtlich und international verbindliche Menschenrechtsverletzung geahndet. 3 Vom Vaterland einberufene Soldaten. Manchmal auch freiwillige Kriegsteilnehmer. Im 2. Weltkrieg Teilnehmer der Wehrmacht. Sie wussten nicht, konnten oder wollten es nicht wissen, dass sie in Angriffskriegen dienen würden. Viele der angeworbenen Soldaten waren junge Leute aus schlechten wirtschaftlichen