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Bruno Schernhammer Was kann Literatur bewirken? Im Frühjahr 2018 erschien der Roman „Und alle winkten. Im Schatten der Autobahn.“ Das Buch stellt den Bau einer Autobahnbrücke während der NS-Zeit ins Zentrum. Im Herbst 2018 beginnt der Autor Bruno Schernhammer Briefe und E-Mails an den Vorstand der ASFINAG und an den für Verkehr zuständigen Minister zu richten. Er erinnert an die — seiner Meinung nach bestehende — Pflicht, die Geschichte der Reichsautobahn (RAB) in Österreich und den Anteil der Zwangsarbeit dabei aufzuarbeiten. Die Argumentation liest sich so: Noch mehr als Kraftwerke (wie Kaprun) oder die Eisen- und Stahlindustrie ist die Autobahn ein Beton und Stein gewordener Ort des , an dem sich Geschichte und Geschichten, Erinnerung und Deutung manifestiert. An vielen Stammtischen in Österreichs Wirtshäusern ist der Ausspruch, < aber Hitler baute die Autobahn> als Relativierung der Nazi-Verbrechen und als Rechtfertigung der unvermindert und laut vernehmbar. Im Rahmen der Recherche für den Roman , der an der Almtalbrücke in OÖ. spielt, bin ich bald auf die Beschäftigung von polnischen und französischen Zwangsarbeitern gestoßen. „Vier gefangene Polen beim RAB Brückenbau in Mühltal tödlich verunglückt‘, ist in der Pfarrchronik der Pfarre Vorchdorfmit 12.10.1941 vermerkt. Später fanden sich Hinweise auf die Anwesenheit und den Tod von sowjetischen Kriegsgefangenen in RAB-Lagern im Winter 1941/42. In der Festschrift der ASFINAG ' wird wohl auf den Beginn des Autobahnbaus in Österreich auf etwa sieben Seiten eingegangen.” Allerdings findet sich kein Hinweis auf die Rolle und das Ausmaß von Zwangsarbeit. Den ersten Briefen folgten rasch erste Reaktionen - sinngemäß in etwa: „nicht zustandig“* Bruno Schernhammer gibt nicht auf, schreibt neue Briefe und E-Mails an die neuen Vorstandsdirektoren der ASFINAG und Minister für Verkehr, die im Laufe des Frühjahrs 2019 gewechselt hatten. Er legt Argumente nach: einige große und kleine Unternehmen haben - spät, aber doch - ihre Verpflichtung eingelöst. Die Voestalpine AG hat dies in den 1990er Jahren nicht nur mit einem umfassenden Forschungs- und Buchprojcekt getan, sondern auf dem Gelände der chem. Hermann Göring Werke ein Zeitgeschichte Museum eingerichtet. In den 2000er Jahren folgten ÖBB, Verbund, Arbeitsmarktverwaltung und andere Unternehmen wie die Via Donau — quasi eine Schwestergesellschaft der ASFINAG. Bei mehr als 40 Lesungen und in Beiträgen in Medien wiederholte er seinen Wunsch: Beauftragung von ZeithistorikerInnen durch die ASFINAG mit der Aufarbeitung von Zwangsarbeit beim Autobahnbau. Im Sommer 2020 wird Schernhammer erstmals — inzwischen hatte Leonore Gewessler die Verkehrskompetenzen übernommen - in die Zentrale der ASFINAG eingeladen, um seinen Standpunkt vorzutragen. 28 — ZWISCHENWELT Mit Marz 2023 ist es soweit! Die ASFINAG als Unternehmen der Republik Osterreich nimmt ihre gesellschaftliche Verantwortung wahr und beauftragt Univ.-Prof. Dr. Bertrand Perz vom Institut für Zeitgeschichte an der Universität Wien mit der Aufarbeitung der Geschichte der Autobahnen in Österreich zwischen 1935 und 1950. Der Schwerpunkt liegt auf den Themen Arbeitswelt, Beschäftigungspolitik und Zwangsarbeit von zivilen ausländischen Arbeitskräften und Kriegsgefangenen während der NS-Zeit. Was Literatur bewirken kann! Anmerkungen 1 Asfinag, Das Autobahnnetz in Österreich 30 Jahre Asfinag, Wien 2012 2 Die Abschnitte lauten „Baubeginn unter diktatorischen Vorzeichen“ und „Das Beispiel der Autobahn Salzburg-Linz-Wien“ in: Asfinag, Das Autobahnnetz in Österreich 30 Jahre Asfinag, Wien 2012, S. 12ff. 3 Aus dem Brief an Bundesminister Reichardt vom 23.6.2019 4 „Wir haben den Betrieb des Autobahnnetzes rein rechtlich erst im Jahr 1997 und faktisch im Jahr 2007 übernommen.“ aus E-Mail Klaus Schierhackl vom 5.12.2018