OCR
Astrid Nischkauer Die Dichterin Trude Krakauer Geboren am 30.5.1902 in Wien, ging Trude Krakauer 1939 nach Kolumbien ins Exil und blieb dort für den Rest ihres Lebens. Nur ein einziges Mal kehrte sie für einen kurzen Besuch nach Österreich zurück. Am 25.12.1995 starb sie in Bogota. Ich hab meinen Halt in der Erde verloren. Luftwurzeln treib ich, blasse Gedichte, Die zittern und schwanken und tasten ins Leere. [...]} Die Entdeckung von Trude Krakauer als Dichterin ist Siglinde Bolbecher zu danken. 1993 reiste sie mit einer Liste von Namen nach Kolumbien, um dort verbliebene Emigranten und Emigrantinnen aus Österreich persönlich zu treffen. Bei dieser Gelegenheit suchte sie auch Trude Krakauer in Bogotä auf, die ihr einige Gedichte mitgab und später noch weitere per Post nachschickte. Zu Lebzeiten Irude Krakauers kam es nur dreimal zu Publikationen von Gedichten in Zeitschriften und einer Anthologie (1977 in „Literatur und Kritik“, 1994 in „Mit der Ziehharmonika“ und 1995 in „Wie weit ist Wien. Lateinamerika als Exil für österreichische Schriftsteller und Künstler“). Dass es zu Lebzeiten zu keiner Buchpublikation kam, liegt nicht an ihr. Bei der Buchpräsentation des 2013 erschienenen Gedichtbandes „Niewiederland“ im Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft sagte Silvia Belalcäzar: Trude wäre am heutigen Tag sehr glücklich gewesen, denn sie hat sehr oft vergeblich versucht, ihre Gedichte zu veröffentlichen. Als ich letzten Sommer ihre Korrespondenz durchgesehen habe, waren sehr viele Absagen von Verlegern dabei; viele mit der Begründung, Lyrik verkaufe sich nicht gut. [...] Mein inniger Dank gilt Siglinde Bolbecher dafür, daß sie Trude Krakauers Werk aus dem Dornröschenschlaf erweckt hat. Und zu danken ist Konstantin Kaiser und Alexander Emanuely und der Theodor Kramer Gesellschaft für die Verwirklichung dieses Buches. Damit geht ein Traum in Erfüllung. Trude Krakauer hat es sich nicht nehmen lassen zu träumen, auch nach ihrer Flucht aus Wien und nach zahlreichen schweren Schicksalsschlägen und Verlusten, wie dem Selbstmord des Bruders 1934 in einer schweren Lebenskrise, dem Tod der zurückgebliebenen Eltern und schließlich dem ihres Ehemannes. Als Dichterin träumt sie in und mit Sprache, findet Trost in funkelnden schillernden Traumgedichten: „im Lichte des Tages verdorren die Wünsche“ doch „[vJeilchenblau schimmert mein 38 _ZWISCHENWELT Traumnetz“ und „Wunschhalme sprießen rings um mein Bett“. Im Traum wird auch zugelassen, was sie sich im Wachzustand nicht gestattet: Heimweh zu haben nach der Stadt ihrer Kindheit, die nun versunken unter der Oberfläche am Grund der Seele ruht. Das Gedicht trägt den Titel „Heimweh nach Vineta“ und besteht aus zwei Teilen: „I. - Vineta“ und „II. - Wiener Film“: Es ruht eine Stadt Auf dem Grund der See, Tief unter den schweigenden Wassern. Flirrt mittags die Luft In der sengenden Glut, Dann spielen die Fische Im schattigen Grün Um Türme und Kuppeln. Scheint abends der Mond Und weht von der See Landeinwärts der Wind, Dann hört man die Glocken. Doch nur in den Tiefen Der Nacht und des Traums Sinkt Fliederduft leis Aus versunkenen Gärten. [...P Das Motiv der versunkenen Stadt findet man auch bei Heinrich Heine im Gedicht „Nordsee“, wobei auch bei Heine später im Gedicht die Glocken der versunkenen Stadt zu läuten beginnen: Ich aber lag am Rande des Schiffes, Und schaute, träumenden Auges, Hinab in das spiegelklare Wasser, Und schaute tiefer und tiefer — Bis tief, im Meeresgrunde, Anfangs wie dämmernde Nebel, Jedoch allmählich farbenbestimmter, Kirchenkuppel und Türme sich zeigten, Und endlich, sonnenklar, eine ganze Stadt, Altertümlich niederländisch, Und menschenbelebt. [... * Dass Trude Krakauer Heines Gedichte schr gut kannte und schätzte, legt ihr Gedicht „Heine-Renaissance in Deutschland“ nahe, das auch in dieser ZW-Ausgabe zu finden ist. Vineta ist der Sage nach eine in der Ostsee versunkene Stadt und damit ein nördliches Atlantis. Die versunkene Stadt Vineta als Metapher für Wien taucht bei Karl Kraus ebenso auf, wie bei Jura Soyfer. Karl Kraus schrieb eine Glosse mit dem Titel „Vineta“, Jura Soyfer ein Theaterstück. Konstantin Kaiser schreibt dazu: Wer für Wien die Chiffre der versunkenen Stadt Vineta zuerst eingeführt hat, weiß ich nicht. Aber bei Karl Kraus findet sich Vineta bereits als Chiffre für ein Wien, das gestorben ist und weiterlebt, ohne etwas davon zu bemerken. Daß Soyfer von Kraus die Chiffre übernommen hat, ist vorstellbar.