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2013, und damit vor zehn Jahren, erschien der Gedichtband „Niewiederland“ als Nummer zwei der damals neu gegründeten und bis heute fortbestehenden Lyrikreihe „Nadelstiche“ im Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft. Mehr als genug Grund, um neuerlich an die Gedichte Trude Krakauers zu erinnern, die Arbeit Siglinde Bolbechers zu würdigen, sowie neues, bislang unveröffentlichtes Material aus dem Nachlass Trude Krakauers erstmals zugänglich zu machen: Im Anschluss an diesen Beitrag folgen einige Gedichte sowie Trude Krakauers Erzählung „Heimkehr“. Das für den Gedichtband titelgebende „Niewiederland“ ist der „Ballade vom Niewiederland“ entnommen. Konstantin Kaiser dazu: Bei Krakauer hat sich das Heimweh radikalisiert zu einer bewufsten Niewiederkehr in ihrem ganzen langen Leben (geboren 1902 in Wien). Ihr Heimweh ist nicht von dem Schuldgefühl des Versäumens erfüllt, sondern von Trotz und Anklage.“ Jan Kuhlbrodt zeigt sich in seiner Besprechung des Gedichtbandes „Niewiederland“, die zunächst auf fixpoetry und später auch in Buchform erschienen ist, von Krakauers „präzis-unprätentiöse[r] Sprache“ beeindruckt und schreibt über ihre Gedichte: In ihnen aber hat sich eine Sprachqualität erhalten, die ich in den Herkunfisländern zerstört finde. Eine Qualität, die mit metrischen Modellen, die uns vielleicht überkommen scheinen, einen souveränen Umgang pflegt. Ergebnis sind formvollendete Jamben, Trochäen, Alexandriner, die, würden sie so heute hier verwendet werden, einen Anachronismus darstellten und komisch wirkten. Bei Krakauer entfalten sie dagegen eine klare, sogar klärende Schönheit. Und Birgit Böllinger schreibt in der 2017 auf ihrem Blog publizierten Rezension über den Band: Trude Krakauer teilt — nicht nur in der Zerrissenheit zwischen zwei Welten — das Schicksal vieler Exilanten: Vertrieben, verloren, vergessen. [ ] Dabei hätte ihr schmales, dafür aber umso intensiveres Werk mehr Aufmerksamkeit verdient. Sicher liegt ihr geringer Bekanntheitsgrad aber auch an der Zurückhaltung und Bescheidenheit, die Trude Krakauer prägten. In einem Brief an Siglinde Bolbecher vom 3.7.1993 antwortet Trude Krakauer ihr auf die Frage nach einer ausführlicheren Biographie auf ihre bescheidene und doch humorvolle Art: Ja, und die Biographie! Ich habe Ihnen ja einige spärliche Angaben gemacht, zugegeben sehr spärliche für ein so langes Leben. Aber ich habe ja wirklich nichts Interessantes zu berichten. Meine Mutter ‚pflegte zu sagen, die Chronik “Er lebte, nahm ein Weib und starb“ fände sie schauerlich. Aber ich fand darin nur traurig, daß wir einander so wenig oder gar nicht kennen. “Lebte“ das ist ja immer viel, so viel mehr als wir erzählen können. Aber zum “Lebenslauf” gehört vor allem die Leistung, daran happerts eben. Meine Biographie ist eigentlich in meinen Gedichten enthalten." Trude Krakauers Aufforderung, ihre Gedichte autobiografisch zu lesen, lässt sich auch auf ihre Erzählung „Heimkehr“ anwenden, da sie darin, was sie in oben zitierter Briefstelle als Zitat ihrer Mutter anführt, wortwörtlich ihrer Figur Martha in den Mund legt und somit aus der Perspektive ihrer Mutter erzählt: “Er lebte, nahm ein Weib und starb“ das ist mir immer so trostlos vorgekommen. Lieber alles Mögliche erleiden, nur das nicht. Und in Wirklichkeit gibt es das doch gar nicht. Jeder hat sein Schicksal, nur kennen die Chronisten nicht alle. Aber wichtig ist das Leben und nicht die Chronik.‘ Die sich von ihrer Mutter nur ungern in ihrer Lektüre unterbrechen lassende Figur der Tochter Susi, die in der Erzählung nur kurz am Rande auftaucht, wäre nach dieser Lesart eine Art Selbstporträt der Autorin. Dass Trude Krakauer schr gerne las, daran erinnert sich auch ihre Freundin Anita Weiss de Belalcäzar: Wir erinnern uns an sie als eine sehr ruhige, sehr freundliche Person, mit einer großen intellektuellen Berufung, die lieber ihre Zeit mit Lesen zugebracht hat als in großer Gesellschaft. '” Und in ihrem Gedicht „Gras“ heißt es an einer Stelle: “Wie gut sind die müfßigen Stunden zuhause, das friedliche Nichtstun, ein Buch und das Radio, und wissen, du freust dich, weil ich bei dir bin. “? Der Vater Gertrud Krakauers, Dr. Heinrich Keller, Kinderarzt und Verfasser sozialkritischer Romane, war vom Judentum zum Protestantismus konvertiert. Trude Krakauer selbst schreibt dazu und über ihre Entscheidung, 1938 Jüdin zu werden: Wir waren protestantisch, weil mein Vater das fir die “verniinftigste“ Religion hielt, aber zuhause ganz religionslos erzogen. Als ich erwachsen war, trat ich aus der Kirche aus, vor der Emigration wurde ich Jüdin, teils weil mein Freund, der nach Kolumbien ausgewandert war, es wünschte, teils weil es mir schäbig schien, mich nicht zu den Verfolgten zu bekennen.“ Zuvor hatte sie die evangelische Volksschule am Karlsplatz und das Gymnasium in der Albertgasse im achten Wiener Gemeindebezirk besucht. Nach der Schule begann Trude Krakauer mit einer Ausbildung zur Fürsorgerin, die sie aber bald abbrach, um für vier Semester Medizin zu studieren und sich daraufhin für das sie endlich interessierende Studium der Staatswissenschaften zu entscheiden. Dieses schloss sie, wie sie selbst meinte, nur alleine deswegen nicht ab, weil ihre Ansprüche an sich selbst ihre Dissertation betreffend zu hoch waren. Als Verehrerin von Karl Kraus war sie politisch interessiert und arbeitete illegal bei den Kommunisten mit. Nach dem „Anschluss“ verlor sie ihre Anstellung und der Vater wurde mit Berufsverbot belegt. 1938 emigrierte ihr Freund nach Kolumbien und sie folgte ihm kurz darauf nach, wo sie dann auch heirateten: Am Beginn des Jahres 1939 erreichte Gertrud Krakauer Puerto Colombia, den ehemaligen Atlantikhafen Kolumbiens. Durch ihre Jugendfreundin Thea Weiss hatte sie das rettende Arbeitsvisum erhalten. Bemühungen, in andere Länder zu exilieren, waren gescheitert." In ihren Gedichten findet Irude Krakauer Worte für die Last, überlebt zu haben und auch für den Schmerz und die Trauer, die sie sich nicht nehmen lassen, sondern im Gegenteil lebendig halten will, solange sie selbst lebt. Mit ihren Gedichten gelingt es ihr sogar noch weit über ihren Tod hinaus, Salz in die Wunden der Geschichte zu streuen. Das Bild der bewusst offengehaltenen Wunde findet man auch bei ihrem ebenfalls ins Exil getriebenen Dichterkollegen Berthold Viertel. In seinem Gedicht „In der Hölle“ wird der Dichter ebendort gefragt, was er in seinem Leben getan habe, worauf dieser kleinlaut antwortet, dass er geschrieben hätte: „Und wozu schriebst du?“, fragt sodann der Plager. „Ich wollte nur — die Wunde offen halten.“ — „Die Wunde?“ — „Ja, damit sie sich nicht schließe. Denn das war meine Angst von Kindheit auf. Ich wollte, was so weh tat, nicht vergessen.'° Bei Viertel wie bei Krakauer haben wir es mit Wunden zu tun, die offen bleiben müssen, damit nicht vergessen wird, was nicht vergessen werden darf. Trude Krakauer: Ich will mir Salz in meine Wunden streun, Daf sie die Zeit nicht kühle. Meine Toten Sind nur im Schmerz mir nah — so soll er brennen Der Zeit zum Trotz, ein Licht in ihrer Nacht. Der Tod heilt alles, doch solang ich lebe MAI 2023 39