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Redakteur der Neuen Freien Presse, geboren. Sowohl die Mayers als auch die Sachsels waren jüdische Familien und stammten aus der kleinen Stadt Neu Bidschow (heute Novy Bydzov) nordéstlich von Prag in Böhmen (heute Tschechische Republik). Rosa war die einzige Tochter von sieben Kindern des Ephraim Elias Sachsel, dem Besitzer einer großen Mühle im Prager Stadtviertel Karolinenthal (heute Karlin). Nach ihrer Heirat zogen Rosa und Maximilian nach Wien. Als säkulare Juden konvertierten sie zusammen mit ihren beiden Söhnen aus wirtschaftlichen Gründen zum römisch-katholischen Glauben. Wie sehr viele nichtreligiöse jüdische Familien glaubten auch sie, durch diese Art der Assimilation einen Schutz durch „Unsichtbarkeit“ in einer zu 90% katholischen Umgebung zu gewinnen. Rosa Mayer starb 1912 während einer Typhus-Epidemie in Wien, was Anton und seinen älteren Bruder Karl sehr mitnahm. Beide Mayer-Briider, nun Halbwaise, besuchten die Theresianische Akademie und erhielten dort eine humanistische Ausbildung. Studium Da Anton mit einer Gymnasial- und nicht mit einer Realschulmatura an die TH in Wien (THW) kam, musste er vor Beginn seines Studiums Aufnahmsprüfungen in Darstellender Geometrie und Freihandzeichnen ablegen.' Erstaunlicherweise arbeitete er also später wissenschaftlich in einem Feld, das er in seiner Schulzeit kaum kennengelernt hatte. Erst nach den erfolgreich absolvierten Aufnahmsprüfungen konnte er sein Maschinenbaustudium beginnen, das er in Mindestzeit absolvierte. Die Studienpläne waren in dieser Zeit thematisch noch sehr breit gefächert, hatten also noch einen poly-technischen Anspruch, was interdisziplinäre Arbeit erleichterte. Nach der mit Auszeichnung bestandenen 1. Staatsprüfung entschied sich Anton dazu, eine wissenschaftliche Karriere im Fach „Darstellende Geometrie“ anzustreben, ein Fach, das (bis heute) nur an Universitäten technischer Richtung unterrichtet wird. Darstellende Geometrie war ein Pflichtfach für fast alle Studien an den Technischen Hochschulen, aber keine eigene Studienrichtung. Ein reguläres Studium der Mathematik war zu Anton Mayers Studienzeit nur an Universitäten möglich. Die Jahre seines Studiums waren geprägt von immer stärker werdenden antisemitischen Tendenzen an den Hochschulen. Die von den deutschnationalen und katholischen Studierenden getragene „Deutsche Studentenschaft“ konnte es an der Technischen Hochschule in Wien (THW) und der Hochschule für Bodenkultur (BOKU) durchsetzen, als offizielle Studierendenvertretung anerkannt zu werden. Diese offizielle Studierendenvertretung nahm keine „nichtarischen“ Mitglieder auf. Wer als „Arier“ galt, bestimmte die „Studentenschaft“ selbst. Damit wurde erstmals in der jungen österreichischen Republik die von antisemitischer Seite immer wieder lancierte Aushebelung des Staatsbürgerprinzips durch ein sogenanntes „Volksbürgerrecht“ ofliziell anerkannt.’ Die Technische Hochschule in Wien wies auch nach 1918 einen relativ hohen Anteil an jüdischen Hörern (ca. 10-15%) auf und hatte auch eine - verglichen mit anderen Hochschulen - starke Sektion des Verbandes Sozialistischer Studenten, die die auf rassistischer Grundlage agierende „Deutsche Studentenschaft“ boykottierte. Die Gruppe der Studierenden war also keineswegs so homogen, wie es die oflizielle „Studentenschaft“ wünschte. 42 _ ZWISCHENWELT Die hier angeführten Prozentsätze für jüdische Hörer lassen sich nur über die Konfessionszugehörigkeit eruieren. Anton Mayer gehörte nicht dazu, weil er ja während Studium und Anstellung an der THW immer als katholisch geführt wurde. Leider besitzen wir keinen Hinweis darauf, ob er sich in seiner Studentenzeit politisch betätigt hat. Auch ob er als Student und ab 1928 als „wissenschaftliche Hilfskraft“ persönliche Anfeindungen erfahren hat, wissen wir nicht. Während dieser ersten Anstellung an der THW schrieb er jedenfalls eine Dissertation mit dem Titel „Die kinematische Abbildung“. Die Begutachtung durch die Professoren Kruppa und Eckhart brachte ein “ausgezeichnetes“ Kalkül. Die Rigorosen verliefen so gut, dass Mayer 1930 mit der bestmöglichen Note „Auszeichnung mit Stimmeneinheit“ zum „Dr. techn.“ promoviert wurde. Im November 1930 wurde er schließlich zum Assistenten bestellt und arbeitete unter Professor Ludwig Eckhart an der Lehrkanzel für Darstellende Geometrie II.* Akademische Karriere Seine Tätigkeit am Institut war zu einem guten Teil mit Lehre ausgefüllt. Aus einem Ansuchen aus dem Personalakt geht hervor, dass er die Übungen aus “Darstellender Geometrie“, die für fast alle Hörerinnen und Hörer des ersten Jahrgangs verpflichtend waren, zusammen mit seinem Vorgesetzten, Prof. Eckhart durchführte. Allein im Studienjahr 1932/33 waren es demnach ca. 800 Studierende, die Mayer auf diese Weise betreute. Trotzdem wurde er 1934, wie so viele andere, ein Opfer der austrofaschistischen Sparpolitik an den Universitäten: Sein Assistentenvertrag wurde nicht mehr verlängert. Er hatte insofern noch Glück, dass er wenigstens ein Forschungsstipendium (ca. 60% des letzten Gehalts) erhielt. In dieser Zeit besuchte er auch Lehrveranstaltungen an der Universität Wien, um seine Kenntnisse zu erweitern. Anton E. Mayer machte sich nämlich daran, seine Habilitation vorzubereiten. Es gibt nur schr wenige Beispiele für jüdische bzw. von der deutschnationalen Mehrheit als jüdisch eingeschätzte Wissenschaftler, die zwischen 1918 und 1938 auch nur den Versuch unternahmen, sich an der TH in Wien habilitieren zu wollen. Und unseres Wissens ist kein einziges Habilitationsverfahren positiv abgeschlossen worden. Die Habilitationsschrift „Koppelkurven mit drei Spitzen und spezielle KoppelkurvenBüschel“ wurde 1937 eingereicht, und zwar bereits die gedruckte Version, die 1937 in Berlin (!) in der „Mathematischen Zeitschrift“? erschienen war. Wie gesetzlich vorgeschrieben setzte das Professorenkollegium einen Ausschuss ein, der im November 1937 einstimmig die Zulassung Mayers zum Habilitationskolloquium empfahl. Dieser Vortrag fand am 21.1.1938 statt und wurde mit „ausgezeichnet“ bewertet, bei einem Probevortrag am 4.2.1938 wurde auch die pädagogische Befähigung festgestellt und somit die Erteilung der Lehrbefugnis für „Geometrie, insbesondere kinematische Geometrie“ erteilt. In der geheimen Abstimmung des Professorenkollegiums am 23.2.1938 gab es 26 Ja- und 12 Nein-Stimmen für diesen Vorschlag, eine unüblich hohe Zahl von Nein-Stimmen angesichts der eindeutigen Gutachtermeinungen. Dabei waren auch unter den Mitgliedern der Habilitationskommission, die einstimmig für die Erteilung der Venia gestimmt hatte, zwei Mitglieder der illegalen NSDAP. Aber offensichtlich bewerteten