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wenigstens diese im Falle Mayer die wissenschaftliche Qualität der Arbeit höher als den Rassenwahn ihrer Partei.‘ Am 13. März 1938 fehlte also nur mehr die Bestätigung des Unterrichtsministeriums zum Erhalt der venia docendi. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen. Nur wenige Tage nach dem „Anschluss“ musste Anton Mayer um seine Beurlaubung ansuchen.’ Und da erhebt sich die Frage, woher und wie Mayers ursprüngliche Zugehörigkeit zur jüdischen Religion bekannt geworden ist? Auf keinem einzigen Aktenstück der Verwaltung der Technischen Hochschule in Wien findet sich irgendein Hinweis auf seine frühere Konfession. Trotzdem dürfte diese vielen Stellen an der IHW bekannt gewesen sein, denn sonst lassen sich die vielen Nein-Stimmen bei der Abstimmung über die Habilitation nicht erklären. Anton Mayer war also ab März 1938 genauso von den antisemitischen Demütigungen und Restriktionen betroffen wie konfessionell gebundene Juden. Er unternahm alle Anstrengungen, eine Bestätigung über den Abschluss des Habilitationsverfahrens zu erhalten. Dabei verwendete er auch die Argumentationslinie, dass dies seine Anstellungschancen im Ausland verbessern und somit die Emigration beschleunigen würde. In einem dieser Ansuchen wird eine Stelle in Dänemark ins Treffen geführt, über die es aber sonst keine Unterlagen gibt. Alle Versuche blieben jedoch erfolglos. In der Zwischenzeit hatte der Fall „Mayer“ auch gravierende Folgen für seinen einstigen Vorgesetzten, Prof. Ludwig Eckhart, der seinen brillanten Dissertanten und Habilitanden immer gefördert hatte. Eckhart, der als deutschnational galt, aber kein Mitglied der NSDAP war, wurde nun als „Judenfreund“ bezeichnet und verlor seinerseits ebenfalls seine Position an der THW. Er wurde am 22.4.1938 seines Postens enthoben, erhob aber Einspruch dagegen. Die Ermittlungen zogen sich über Monate hin, es wurde auch versucht, Eckhart an anderen Technischen Hochschulen „unterzubringen“. Dies scheiterte daran, dass ein als „ideologisch unzuverlässig“ gebrandmarkter Hochschullehrer im Sommer 1938 überall abgelehnt wurde. In einer Sitzung am 4.10.1938 wurde eine Wiedereinsetzung Eckharts in seine Funktionen an der THW befürwortet. Eckhart erfuhr dies aber nicht mehr und beging am 5.10.1938 in Wien Selbstmord. Selbstverständlich kondolierten auch Repräsentanten jener Technischen Hochschulen, die sich im Sommer geweigert hatten, ihn zu übernehmen in „tiefempfundener Trauer“. Eckharts Witwe verbat sich jegliche Nachrufe und ofhziellen Auftritte von Vertretern der TH in Wien beim Begräbnis.° Antons akademischer Werdegang wurde 1985 in der Dissertation „Vertreter der Mathematik und Geometrie an den Wiener Hochschulen 1900/1940“ von Rudolf Einhorn detailliert aufgeführt. Darin werden allerdings nur 33 Veröffentlichungen angeführt, tatsächlich verfasste er etwa 100 Arbeiten, von denen die letzte über „Facetten eines Insektenauges“ zusammen mit einem anderen jüdischen Flüchtling, dem Biologen und Genetiker Hans Kalmus (1906 - 1988, University College London), verfasst wurde und sein einziger Ausflug in die Biowissenschaften war.'” Während seiner Forschungslaufbahn entwickelte Anton ein Patent über die Geometrie von Kugellagern, das er später an die Krups GmbH verkaufte. Flucht und Internierung Im Mai 1939 gelang Anton mit Hilfe der Quäker endlich die Emigration aus Österreich. Über die Schweiz und Frankreich gelangte er schließlich nach Großbritannien. Sein Bruder Karl (1903 - 1981) war bereits in London, er hatte Österreich kurz vor dem „Anschluss“ verlassen, da er die Machtübernahme durch die Nazis und ihre Folgen vorausgeschen hatte. Ihr Vater, der wieder geheiratet hatte, blieb zurück. Er und seine Frau wurden in eine kleine Sammelwohnung in der Leopoldstadt in Wien zwangsumgesiedelt. Da eine adaquate medizinische Behandlung fiir ihn durch die NS-Gesetze verboten war, starb der ehemalige Redakteur der „Neuen Freien Presse“ Maximilian Mayer 1943 an einem perforierten Geschwür und wurde auf dem Neuen Jüdischen Friedhof am Zentralfriedhof in Wien beigesetzt. Nach seiner Ankunft in London fand Anton eine Unterkunft in einem Gästehaus im Londoner Vorort Hampstead, das von einer langjährigen österreichischen Emigrantin geführt wurde. Dort wohnte zufällig auch die Opernsängerin Enid Settle (1899 1983), wenn sie nicht auf Tournee außerhalb Londons war. Als sie von einer solchen Tournee zurückkehrte, teilte ihr die Vermieterin mit, dass ihre angestammte Wohnung im Erdgeschoss an einen herzkranken österreichischen Flüchtling, der erst vor kurzem nach London gekommen war, vergeben war. So kam es, dass sich diese beiden reifen Menschen kennen und lieben lernten. Enid stammte aus Wales. Sie hatte in den 1920er Jahren in Paris Gesang studiert, und zwar bei der berühmten Sopranistin und Lehrerin Blanche Marchesi Baronin Caccamisi. Nach ihrer Rückkehr nach Großbritannien sang Enid in Opern und Unterhaltungsopern, tourte mit No&l Coward in den frühen 1930ern durch das Vereinigte Königreich und die USA. Aufgeführt wurde Cowards Operette „Bitter Sweet“, deren Schauplatz unter anderem Wien war. Noél Coward (1899 - 1973) war ein Multitalent der leichteren, aber scharfziingigen Unterhaltung und als Dramati Enid Settle (später Mayer), aufgenommen in den späten 1930er Jahren MAI2023 43