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an Sekundarschulen, zunächst in Lancaster, Nordengland, und dann in Wrexham (Wrecsam), Nordwales. Sein Sohn Anthony (Tony) wurde im Frühjahr 1942 geboren. Der Kontakt mit dem Vater bzw. Großvater Maximilian Mayer, der in Wien um seine Existenz und gegen eine schwere Krankheit kämpfte, konnte über das Rote Kreuz aufrechterhalten werden. Das Rote Kreuz war in der Lage, Nachrichten zwischen den kriegführenden Ländern zu übermitteln, auch wenn ces strenge Grenzen für die zulässige Textmenge gab. Immerhin waren Vater und Stiefmutter über die Heirat und die Geburt des Enkelsohnes informiert. Interessanterweise bestand Anton darauf, dass das Kind in der Church in Wales (anglikanisch) getauft werden sollte, da er wie sein Vater der Meinung war, dass Juden, wenn sie sich assimilieren, die Religion der „Mehrheit“ des Landes annehmen sollten. Die Hoffnung, dass dies vor künftigen Pogromen und Verfolgungen schützen würde, hat sich für Maximilian und Anton nicht erfüllt. Antons Emigrationspläne hatten sich mit der „Adlantikschlacht“ längst zerschlagen, als der gesamte transatlantische Passagierverkehr eingestellt wurde und nur noch Konvois mit lebenswichtigen Versorgungsgütern unter Geleitschutz vor der deutsche U-BootKampagne fuhren. Und trotzdem übersiedelten Anton und Enid noch ein letztes Mal: Wegen der nun lebensbedrohlichen Herzerkrankung Antons zogen sie nach London und ließen ihren Sohn bei seiner Schwiegermutter zurück. Trotz aller ärztlichen Bemühungen gab es damals aber keine Behandlungsmöglichkeit für seine undichte Aortenklappe. Durch diese Krankheit vergrößerte sich das Herz und begann, aufandere Organe zu drücken. Anton starb nach langen, schwierigen und schmerzhaften letzten Monaten im November 1942 und hinterließ eine von Trauer fast zerstörte Enid, denn er war die Liebe ihres Lebens gewesen. Eine große Hilfe war in dieser Zeit ihr Schwager Karl, der aus der australischen Internierung zurückgekehrt war und sich in London niedergelassen hatte. Nach Antons Tod weigerte sich Enid, sich von seinem Besitz zu trennen - von Papieren, Kleidern und anderen persönlichen Besitztümern. Nachdem sie ihre Gesangskarriere aufgrund der Einschränkungen, die ihr durch den Verlust der britischen Staatsbürgerschaft auferlegt worden waren, aufgeben hatte müssen, zog sie sich in sich selbst zurück und lebte bis zu ihrem Lebensende in ihrem Haus in Nordwales. Sie lebte von Antons Ersparnissen Das letzte Foto von Anton, das etwa vier Monate vor seinem Tod im Jahr 1942 aufgenommen wurde, zeigt ihn mit seinem neugeborenen Sohn Staatsbürgerschaft wurde ihr und anderen Frauen, die Ausländer geheiratet hatten, erst durch den British Nationality Act (1948) zurückgegeben, das heißt sie war acht Jahre lang eine Fremde im eigenen Land... Nach 1945 Im von den vier alliierten Mächten besetzten Österreich wurden die Hochschulen noch im Sommersemester 1945 wiedereröffnet. Die Entnazifizierung wurde den österreichischen Behörden übergeben. Da der NS-Anteil an den Universitäten deutlich über dem Durchschnitt lag, hatten die nun Verantwortlichen alle Hände voll zu tun, um möglichst unbelastete Lehrkräfte einzustellen. Und in diesem Zusammenhang zeigte es sich, dass Anton Mayer in Wien 1945/46 nicht vergessen war. Nachdem der Lehrkanzelinhaber für Darstellende Geometrie II, der Träger der „OstmarkMedaille“'' und Nationalsozialist Josef Krames nach der Befreiung Österreichs sofort seines Amtes enthoben worden war, erfolgte im Februar 1946 die Bildung eines Ausschusses, der über seine Nachfolge beraten sollte. Dieser Ausschuss, in dem zwei Verfolgte des NS-Regimes und kein ehemaliger Nationalsozialist saßen, setzte Anton E. Mayer auf „secundo loco“. In der Begründung für diese Entscheidung wird Mayers doppelte Begabung zu mathematischer Abstraktion einerseits und für Konstruktion und technische Anwendung andererseits besonders hervorgehoben. Und wörtlich aus dem Ausschussbericht: Nach dem Umsturz im Jahre 1938 sah sich Dr. A.E.Mayer genötigt in die Emigration zu gehen. Er ist bisher nicht zurückgekehrt und hat auch keine Nachricht der Hochschule zukommen lassen. Vermutlich befindet sich Dr. A.E.Mayer in London und könnte durch unsere diplomatische Vertretung ausgeforscht werden. Nach dem Gesagten gilt für Dr. Mayer der Gesichtspunkt der Wiedergutmachung.” Mit der Aufnahme in den Besetzungsvorschlag wurde der formal gesehen — im Marz 1938 nicht abgeschlossene Habilitationsprozess anerkannt. Dass Anton Mayer nicht mehr am Leben war, meldeten die „Nachrichten der Österreichischen Mathematischen Gesellschaft“ erst in der zweiten Ausgabe ihrer Zeitschrift im Dezember 1947 in einer kurzen Notiz.'? In der dritten Nummer dieser „Nachrichten“ wurde schließlich ein längerer Nachruf auf Anton Mayer von Professor Erwin Kruppa (1885 - 1967) abgedruckt. Kruppa, der Mitglied in Mayers Habilitationskommission gewesen und 1940 in die NSDAP eingetreten war, hatte vor 1938 auch gemeinsam mit Mayer publiziert. Da er weder durch Illegalität noch durch Parteifunktionen „belastet“ war, konnte er sehr schnell wieder an die TH in Wien zurückkehren. Sein Nachruf endet mit den Worten: Es ist die Tragik dieses Menschenschicksals, dass die politischen Wirrsale und Verirrungen unseres Zeitalters die Entfaltung einer wertvollen Begabung und gediegenen Persönlichkeit verhindert haben. Wir können nur mehr sein Andenken in Ehren halten und bedauern, dass erlittenes Unrecht nicht mehr gutgemacht werden kann.“ Grundsätzlich unterscheidet sich die Politik an der Technischen Hochschule in Wien und auch an der Hochschule für Bodenkultur 1945/46 doch sehr stark von der der — sehr oft als einziger Maßstab herangezogenen — Universität Wien. An diesen beiden Hochschulen wurde im ersten Jahr nach der Befreiung Österreichs die Entnazifizierung sehr ernst genommen." Das hat MAI 2023 45