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sicher auch damit zu tun, dass mit Adalbert Duschek ein 1938 von der IHW vertriebener sozialdemokratischer Mathematiker erster Nachkriegsrektor (1945/46) geworden war. Zumindest in seiner Amtszeit ist nichts von großer Milde gegen NS-Parteigänger zu bemerken.'® Auch das gerne verwendete Narrativ, die Hochschule hätten die Vertriebenen nicht zurückholen wollen, lässt sich weder für die THW noch für die BOKU aufrechterhalten. Beide Hochschulen haben 1945/46 von sich aus Kontakt mit emigrierten Lehrenden gesucht, und es gab auch einige Remigrationen. Dazu muss allerdings angemerkt werden, dass es nach 1918 kaum akademische Aufstiegschancen für sogenannte „Nicht-Arier“ an der THW und der BOKU gegeben hatte, dass also die Zahl der 1938 vertriebenen Lehrenden (im Gegensatz zu der der Absolventinnen und Absolventen) schr klein gewesen ist. Während die Kontakte mit Emigranten weiterhin gepflogen wurden, setzte sich — nicht zuletzt aufgrund der gesetzlichen Regelungen - auch an der THW ein immer lascherer Umgang mit der Entnazifizierung durch. Der erste chemalige Nationalsozialist, der es nach 1945 an der THW in das Rektorenamt schaffte, war ausgerechnet Erwin Kruppa im Jahr 1953. Auch der OstmarkMedaillentrager Krames wurde 1961 vom Professorenkollegium zum Rektor ernannt. Zu dieser Zeit lebten Enid und Anthony Mayer in ihrem Cottage in Nordwales weiterhin von der Hand in den Mund, Enid wurde als Gesangslehrerin respektiert, aber vielleicht auch als stolz und ein wenig exzentrisch angesehen. Nach und nach verbrauchte sie die Ersparnisse und Investitionen von Anton und sich selbst. Ende der 1950er Jahre erkundigte sie sich, wahrscheinlich auf Anraten ihres Schwagers Karl, schriftlich bei der THW, ob sie aufgrund von Antons Beschäftigung bei der TH Anspruch auf eine Rente habe. Enid Mayer bat den Rektor darin um Unterstützung für den Erhalt einer österreichischen Pension. Völlig zurecht, denn ihr Ehemann war ja immerhin fast zehn Jahre an der THW angestellt gewesen. Verknüpft war dieses Schreiben vom 14.10.1959 mit der Bitte um finanzielle Unterstützung für ihren Sohn, der bald sein Geologie-Studium beginnen sollte.'’ Als Enid keine Antwort auf dieses Schreiben erhielt, verfasste sie einen zweiten Brief, dem sie auch alle Unterlagen zur Beschäftigung ihres Gatten an der THW beilegte. Darauf reagierte die Rektoratskanzlei mit einer Aufstellung der Dienstzeiten Antons an das Ministerium, das auf den „freiwilligen Abgang“ von Mayer von der THW im Marz 1938 verwies.'* Purer Zynismus oder grobe Unwissenheit? Dass der gesamte Vorgang nicht weniger als 14 Monate dauerte, legt die Antwort nahe. Das Resultat im Februar 1961 war jedenfalls, dass Enid und Tony Mayer keinerlei Unterstützung von der THW und dem österreichischen Staat bekamen Kleine Nebenbemerkung; Die Familie von Prof. Eckhart bekam vom österreichischen Staat selbstverständlich unmittelbar nach dem Krieg (und das völlig zurecht) als Opfer des Nationalsozialismus eine Rente zuerkannt. Eine Art Wiedergutmachung Für die Familie Mayer und viele Nachfahren von Überlebenden brachte erst das Jahr 2019 eine Art von Wiedergutmachung, als das österreichische Parlament das Staatsbürgerschaftsgesetz mit 46 ZWISCHENWELT dem neuen Paragraphen 58c/la änderte, um „seine historische Verantwortung gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus und ihren Nachkommen anzuerkennen, indem es diesen Menschen die Staatsbürgerschaft anbietet“. Dieses Angebot wurde von Tony Mayer gerne angenommen, insbesondere nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. Seit 10. Dezember 2020 sind Tony Mayer und seine Familie nun österreichische Staatsbürger. Der österreichische Botschafter in London bat in seiner Ansprache bei einem Empfang für die neuen Staatsbürger zunächst um eine Schweigeminute für all jene, die im Exil verstorben sind. Die österreichische Staatsbürgerschaft sei eine gewisse Entschädigung, aber nichts im Vergleich zu dem ursprünglichen Unrecht, das ein Dreivierteljahrhundert zuvor begangen worden war. Schlussfolgerungen Das Leben und der frühe Tod von Anton ist die Geschichte eines talentierten potentiellen Spitzenwissenschaftlers, das in einer besonders traumatischen Periode der europäischen Geschichte in jeder Hinsicht „verkürzt“ wurde. Die Hauptverantwortlichen für diese Tragödie waren die Nazis mit ihrem abscheulichen Verbrechen des Holocausts, bei dem viele Mitglieder von Antons Familie ermordet wurden. Erstaunlicherweise wurde vieles davon von den Tätern aufgezeichnet - zum Beispiel gibt es eine Aufzeichnung über den Waggon, in dem sein Onkel von Prag nach Treblinka transportiert wurde! Zweifellos gibt es noch viele andere ähnliche Geschichten, die noch nicht erzählt wurden, und es sind weitere Anstrengungen erforderlich, diese zu dokumentieren und zu erzählen bevor sie verloren gehen. Was diese Geschichte zeigt, ist einerseits die persönliche Tragödie der Beteiligten, die von Anton und seiner Familie und auch die von Enid, andererseits aber auch die heimtückische Art und Weise, in der Extremismus und Populismus selbst in Institutionen wie Universitäten eindringen, die eigentlich gegen solche „Krankheiten“ immun sein sollten. Wie Aldous Huxley 1956 in seiner Einleitung zu „Brave New World“ sagte: “The price of liberty, and even of common humanity, is eternal vigilance.” Anmerkungen 1 TUWA [=TU Wien Archiv], Hauptkatalog der ordentlichen Hörerinnen und Hörer für das Studienjahr 1921/22, Matr. Nr. 816 (Anton Mayer). 2 Näheres dazu Juliane Mikoletzky, Paulus Ebner: Die Geschichte der Technischen Hochschule in Wien 1914-1955, Teil 1: Verdeckter Aufschwung zwischen Krieg und Krise (1914-1937). Wien-Köln-Weimar 2016, S. 101-112. 3 Anton E. Mayer: Die kinematische Abbildung. Wien (Dissertation der TH in Wien) 1930. Alle mathematischen Formeln sind in Handschrift in den Text eingefügt. Deshalb ist diese Dissertation ist Einzelstück und nur im Archiv der TU Wien vorhanden. 4 Alle folgenden Informationen zu Anton E. Mayers Anstellung: TUWA, Personalakt Anton E. Mayer. 5 Anton E. Mayer: Koppelkurven mit drei Spitzen und spezielle Koppelkurven-Büschel. In: Mathematische Zeitschrift Bd. 43 (1937), Heft 3, S. 389-445. 6 TUWA, Habilitationsakt Anton E. Mayer, Rektoratszahl (R.Z.) 20751936/37. 7 TUWA, Personalakt Anton E. Mayer, R.Z. 1524-1937/38 vom 21. März 1938. 8 Alle Informationen aus TUWA, Personalakt Ludwig Eckhart.