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vor die Tür legen Ja, es kann schon sein, dass die Veverl “Die Räuber“ verstehen würde. - “Bist du schon einmal im Theater gewesen?“ “Wohl, im Sommer war Komödie beim Huberwirt“. “Und hat’s dir gefallen?“ “Freili, wohl“, es klingt zögernd. “Aber a Kino is do viel schöner, gelten’S?“ Martha ist enttäuscht, aber sie macht noch einen Versuch: “Vielleicht war’s nicht so sehr schön beim Huberwirt. Aber wenn ich dich einmal in die Stadt, ins Iheater mitnehme, da wirst du schauen“. “Im Kino, da is alles ganz wirklich, Schiffe und das Meer und alles“. Wirklichkeit nennt sie die zweidimensionalen Bilder und die verlogenen Geschichten, nur weil man alles sehen kann und seine Phantasie nicht anstrengen muss. — Ich darf nicht ungerecht werden. Wir sprechen verschiedene Sprachen. Es wird schon einen Weg geben. Ich hab ja Zeit. Einmal ... Mit einem Ruck wird die Tür aufgerissen, der Loisl stürzt herein. Er sieht erhitzt aus — hat er getrunken? Und die rote Binde an seinem Arm? Ist das —? Ja, ein Hakenkreuz. Auch das hab ich schon einmal erlebt, im Juli-Putsch — damals war ich auch auf dem Land - aber diesmal ist’s Ernst. Der Loisl hat die Tür offen gelassen, es weht kalt herein, draußen stehen ein paar Burschen, sie scheinen auf ihn zu warten. “Der Führer ist da!“ schreit er. “Die Deutschen marschieren nach Wien!“ “Fein!“ kreischt die Veverl. Ganz schrill klingt ihre Stimme vor Erregung. “Heil Hitler!“ Sie packt ihr Wolltuch und rennt hinaus. “Mach die Tür zu“ sagt die alte Frau. Der Loisl stößt sie mit dem Fuß zu. Martha Cecile Cordon Mein Gott, war ich grün. Rück- und Seitenblicke einer grünen Bezirksrätin Das Märchen vom glücklichen Zirkuslöwen. Wir leben in guten Zeiten. Die Grünen sind besorgt um die Umwelt, die Tiere, die Minderheiten, einfach um alles, was in unserer Gesellschaft schwächer ist. Und so auch um die Löwen, Tiger und Elefanten im Zirkus. Unlängst haben meine grünen Kollegen in der Bezirksvertretung einen Antrag eingebracht — also eine Forderung des Bezirksparlamentes an die Allgewaltigen der Stadt oder des Staates — auf „Artgerechte Haltung von Großkatzen und Elefanten, die eine Präsentation und Dressur in keinem Zirkus mehr erlaube“. Vier von fünf Parteien simmten dem Antrag zu. Ja, ja, sicher, die Politiker haben recht. Das ist keine artgerechte Haltung: Die kleinen Käfige, die penetrante Einmischung der Menschen ins Leben der Tiere, und ihr Transport von einem Ort zum andern. Der Mensch hat kein Recht, Natur sich untertan zu machen. Natürlich ausgenommen die Haustiere. Die hat er jaauch zum Fressen gern. Die jungen Leute von heute finden, daß ein wildes Tier zu zähmen und zu dressieren eine verzichtbare Kunst sei. Sie meinen, die Verantwortung der Freiheit dieser Tiere sei wichtiger. Bei Saint Exuperys „Kleinen Prinzen“ habe ich gelesen, daß die Zähmung auch Verantwortung mit sich trägt. Aber vielleicht ist diese Beziehung zwischen Mensch und Tier unmenschlich. ist aufgestanden. “Ich muss zur Bahn. Ich bin Jüdin“. Der Loisl fährt mit beiden Händen in die Höhe. Dann spuckt er auf den Boden. — “Der Loisl ist ja nur ein Hampelmann. Ich hab keine Zeit fiir Kasperltheater.“ — Bei Kerzenlicht packt sie. Als sie in Hut und Mantel, den Koffer in der Hand, wieder zurück in die Küche kommt, sitzt die alte Frau noch immer auf demselben Platz. Der Loisl ist fort. “Wo willst denn hin, Mitzl?“ “Zur Bahn.“ “Jetzt auf’d Nacht?“ “Ich muss.“ “Alleweil die leidige Politik“ seufzt die Alte. Was hat sie verstanden? — Das geht mich nichts mehr an. “Gute Nacht“ sagt sie und ist schon draußen. Die Straße ist belebt, Gruppen von jungen Burschen singen das Horst Wessel Lied. Betrunkene grélen. Man sieht viele Armbinden. Ein paar Häuser sind beflaggt. Frauen und Mädchen stehen in den Türen. Feststimmung. — “Worüber freuen sich die Leute eigentlich?“ Das soll einmal ein Kaiser gefragt haben, als sie ihm zujubelten. Recht hat er gehabt. Sie sind ja wieder einmal die Betrogenen. — Auch das geht mich nichts mehr an. — Dort geht einer in S.A. Uniform. Wo er die so schnell hergenommen hat? — Hoffentlich bekomme ich einen Zug. Jetzt weif ich, dass ich nirgends daheim bin. Hier wäre ich sicher gewesen, die Wasner Mitzl hätte keiner belästigt - aber das meine ich nicht im Ernst. Jetzt weiß ich wer ich bin — nirgends daheim. Die Hauptsache ist, dass die Kinder hinauskommen, so schnell wie méglich. Was aus uns Alten wird, ist nicht so wichtig. Ich weiß nicht, was ich zum Thema der Tierhaltung im Zirkus sagen soll. Ich habe diesen „Antrag“ nicht unterstützt, denn ich liebe den Zirkus. Ich liebe die Menschen, die dort ihre Kunst zeigen. Natürlich nicht, wenn sie Tiere quälen, um ihnen sogenannte Kunststücke beizubringen. Aber soviel ich weiß, gibt es inzwischen schon eine sanfte Art der Dressur. Meine jungen grünen Kollegen lassen solche Sentimentalitäten nicht gelten. Sie sind nüchtern und konsequent in ihren Anschauungen. Sie sind manchmal zum Fürchten konsequent. Aber solange es um eine „bessere Welt“ geht, ist es schon in Ordnung. Und ansonsten erschöpft sich die Anarchie ihrer Ideologie ohnehin meist schon im Radfahren gegen die Einbahn. Ich nehme mir vor, in nächster Zeit den Zirkus zu besuchen, der gerade in meinem Bezirk ein Gastspiel gibt. Es war ein trüber Tag im Dezember. Ich schlenderte durch die Tierschau, die dem Zirkus angeschlossen war. Eingesperrte Tiere verursachen mir immer ein beklemmendes Gefühl, und so wandere ich mehr bedrückt als beeindruckt zwischen den Zelten umher. Die Vorstellung, daß all das Elend dieser Tiere bald ein Ende haben würde, hatte nun doch etwas Tréstliches fiir mich. Plötzlich stand ich vor einem Löwenkäfig. Der Löwe lag faul, den schweren Kopf auf seinen Pranken ruhenlassend, am Gitter seines MAI 2023 55