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Flüchtlinge, darunter Bertolt Brecht — über
Wladiwostok in die USA in Sicherheit bringen.
Obwohl es auch an der Westküste der USA ein
sozialdemokratisches Exilnetzwerk gab, erlebte
die Familie schwere Zeiten: Zeitweise musste
Karl schwere, schlecht bezahlte Arbeiten ver¬
richten; Ella verdingte sich als Putzfrau; Sohn
Otto, der in Schweden eine Facharbeiteraus¬
bildung absolviert hatte, verdiente in der Rüs¬
tungsindustrie mehr und steuerte wesentlich
zum Unterhalt bei.

Erst einige Jahr später erlangte Karl Heinz eine
seinen Fähigkeiten entsprechende Beschäftigung
in der University of Berkeley. Die Verbindung
zu Genossen in Schweden, namentlich Bruno
Kreisky, hielt Karl Heinz aufrecht; die in Wien

verbliebenen Eltern konnte er erst nach der Be¬
freiung unterstützen.

Bei der Behandlung des österreichischen Exils
in den USA hebt der Autor die herausragende
Leistung von Muriel und Josef Buttinger her¬
vor, die ihr Privatvermögen für Bürgschaften
(affıdavits) einsetzten und damit hunderten
Flüchtlingen, unter ihnen die Familie Heinz,
die lebensrettende Einreise in die USA ermög¬
lichten.

Nach der Befreiung 1945 bemühte sich Karl
Heinz um die Rückkehr nach Österreich, musste
aber — wie auch andere verdiente Sozialdemo¬
kraten (wie der legendäre Finanzstadtrat des
Roten Wien Hugo Breitner) — feststellen, dass
die Parteiführung der SPÖ um Adolf Schärf dies

Die Festschrift Buchstabil ist ein besonders
gelungenes und reichhaltiges Buch mit vielen
literaturwissenschaftlichen, biographischen und
persönlichen Beiträgen zum Leben und Werk
des Iheodor Kramer Preisträgers 2010. Neben
den vielen persönlichen Glückwünschen gibt es
auch einige wichtige dokumentarische Beiträge
(autobiographische Mitteilungen des Geehrten
aus den frühen sechziger Jahren, ein Dokument
aus seinem Vorlass im Literaturarchiv der Ös¬
terreichischen Nationalbibliothek) und kleine
Editionen, wie die Korrespondenzen mit Harald
Weinrich und Rufus Fliigge. Nur eine Informa¬
tion ist zu korrigieren. Die von Barbara Maria
Hoifß (Stams in Tirol) erwähnte, von Armin A.
Wallas (1962 — 2003) gegründete Schriftenrei¬
he Mnemosyne von Andrea M. Lauritsch und
Primus Heinz Kucher wird nicht fortgeführt.

Der von dem Leipziger Literaturwissenschaft¬
ler Dieter Burdorf herausgegebene Sammelband
ist die Begleitpublikation zu der von der De
Gruyter Stiftung geförderten, im September
2021 in einer ersten Fassung gelaunchten Da¬
tenbank Archiv Bibliographia Judaica — deutsch¬
sprachiges Judentum online. Laut Burdorf ist diese
Datenbank „ein dynamischer Bestandteil des
stetig weiter wachsenden Wissens zum jüdischen
Leben im deutschen Sprachraum.“

Elazar Benyogtz initiierte in den frühen sech¬
ziger Jahren in Berlin das biobibliographische
dokumentarische Projekt Bibliographia Judaica
(BJ). Mit einem von Michael Landmann und
Jacob Taubes 1962 eingebrachten Finanzie¬
rungsantrag bei der Deutschen Forschungs¬
gemeinschaft (DFG) begann das Projekt. Die
Motivation des Initiators wird im Buch von
Anna Rosa Schlechter und Jan Kühne (Jerusa¬
lem) beschrieben. Die Autoren erwähnen auch

die 2021 erfolgte Schenkung der 650bändigen
Autorenbibliothek von Benyoétz an das Franz
Rosenzweig Minerva Forschungszentrum fur
deutsch-jüdische Literatur- und Kulturgeschich¬
tean der Hebräischen Universität in Jerusalem.

Mit der Germanistin Renate Heuer (1928 —
2014) fand Benyoétz, der 1968 nach Israel zu¬
riickkehrte, eine Person, die in den kommenden
Jahren bis zu ihrem Tod das Projekt zu ihrem
Herzensanliegen machte.

1966 iibersiedelte die BJ nach Frankfurt am
Main. Ab 1982 konnte die DFG aus arbeits¬
rechtlichen Griinden das Projekt nicht mehr
fördern. Die Rettung und die Fortsetzung der
Förderung gelang durch die Anbindung an das
Institut für deutsche Sprache und Literatur II
der Universität Frankfurt und durch die Grün¬
dung des Archivs Bibliographie Judaica e.V.,
das bis zur Gegenwart besteht. Die BJ erhielt
Räume in einer alten Professorenvilla in der
Georg-Voigt-Straße, in der auch Veranstaltun¬
gen organisiert werden konnten. 2001 lief die
Förderung durch die DFG endgültig aus. Die
Akademie der Wissenschaften in Mainz bot an,
die BJ zu fördern, aber nach Unstimmigkeiten,
die in dem Sammelband von Karin Schlootz
geschildert werden, löste Heuer den Vertrag mit
der Akademie. Am Ende finanzierte die Familie
Krahn in Hamburg, die mit Renate Heuer ver¬
wandt ist, die weitere Arbeit und die Gehälter
der beiden letzten festangestellten Mitarbeiter.

Nach der Aufgabe des Campus Bockenheim
durch die Universität verlor die BJ ihr Domizil.
Über die Gegenwart schreibt Tilmann Gempp¬
Friedrich:

Heute hat das Archiv keine eigenen Räume mehr
und ist kaum vernünftig nutzbar. Dass es nun
zu der schon lange geplanten Digitalisierung der

nicht wünschte und dafür technische Gründe
vorschob. Dieser vom Autor gut dokumentierte
Abschnitt ist der aufschlussreichste und berüh¬
rendste Teil der Broschüre. Ella Heinz erlebte
eine späte Genugtuung für dieses Verhalten der
Nachkriegs-SPÖ, als sie 1982 — ein letztes Mal
in Wien — an der Eröffnung des Karl Heinz¬
Hofes in Floridsdorf teilnahm.

Wolfgang Neugebauer

Bernhard Kuschey: Karl und Ella Heinz. Hg. von
Michaela Maier. Wien: Verein für Geschichte der
Arbeiterbewegung (Dokumentation 1-4/2021)
2022, 80 5. [ohne Preisangabe]

Kartei gekommen ist, ist ein Glücksfall für die
Forschung. Dennoch ist dem Archiv zu wünschen,
dass es künftig auch wieder zu einem Raum in
der analogen Welt wird, der zum Studieren und
Recherchieren, zum Austausch und zur Diskussion
einlädt.

Renate Heuer hatte auch einen Lehrauftrag
an der Universität und gab im Campus Verlag
die grüne Buchreihe Judaica heraus, von der
27 Bände publiziert werden konnten. Ihre ge¬
sammelten Aufsätze, Vorträge und Rezensionen
erschienen 2018 in einem umfangreichen Band
bei Hentrich und Hentrich, herausgegeben von
Joseph L. Heid und Heather Valencia, mit einem
Nachwort von Hanni Mittelmann. Ihre Mitar¬
beiterin und Freundin Karin Schlootz schreibt
im Buch: „Sie strahlte Würde und Autorität aus.“

Die BJ trug Daten zu 1300 deutschsprachigen
jüdischen Autoren und Autorinnen von 1750 bis
1950 zusammen. Eine wichtige Quelle war die
Zeitungsausschnittsammlung Carl Steininger
von 1840 bis 1940, die Renate Heuer in Israel
erwarb. 1995 erschien sie auch als Mikrofiche
Edition bei Saur. Die Resultate der Arbeit der BJ
wurden als Lexikon deutsch-jiidischer Autoren in
21 roten, anfangs bei Saur publizierten Bänden
veröffentlicht, die in den Handapparaten vieler
Bibliotheken einsehbar sind.

Ergänzt wird der besprochene Sammelband
mit Beiträgen über die Korrespondenz zwischen
Renate Heuer und Käte Hamburger (von An¬
nette Wolf) und den Überlegungen von Arndt
Engelhardt „Kulturelle Zugehörigkeit und bio¬
logistischer Ausschluss. Probleme eines biogra¬
phischen Zugriffs auf die jüdische Moderne“.
Der letzte, besonders lesenswerte Beitrag „Die
Böhmisierung Goethes und andere literarische
Kontrapunkte. Johannes Urzidil und Hermann

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