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In der Analyse der faschistischen Regime müssen die „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und die Kriegsverbrechen dominieren. Durch sie wurde enormes Leid über große Teile der Bevölkerung gebracht, Diktaturen, die zu Terror und Krieg führen, schränken aber auch allgemein die Lebensqualitäten „nachhaltig“ ein. Diese Tendenz lässt sich selbst in elitären Lebensverhältnissen feststellen, wie z.B. an den Universitäten in faschistischen Ländern. Daher kann man von einer Pionierarbeit sprechen, die Linda Erker mit ihrer Monographie über die Wiener Universität im Austrofaschismus geliefert hat. Sie hat eine erste umfassende Studie über die Wiener Universität in den 1930er Jahren vorgelegt, in der sie zeigt, wie konservative, deutschnationale und nazistische Gruppen und Cliquen den wissenschaftlichen Rückschritt der Wiener Universität zur nationalistischen und völkischen Theorieproduktion besiegeln konnten. Die quantitativen Analysen Erkers zeigen, wie klein diese elitäre Bildungseinrichtung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch war, und das schon vor dem faschistischen Regime. Aber bereits 1918 erlebte die Wiener Universität einen großen Bruch. War diese Universität durch die bürgerlich-liberalen Entwicklungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im k.u.k. Reich zu einer ziemlich autonomen und prosperierenden Wissenschaftseinrichtung geworden, die sich dem starken konfessionellen und auch nationalistischen Einfluss weitgehend entziehen konnte, so wurde die größte Universität der Republik zu einer Einrichtung, in der eine rückwärtsgewandte Professorenelite daran arbeitete, den Fortschritt der Republik und den Machtverlust der alten Eliten ungeschehen zu machen. Die Professoren waren somit zu einem Bollwerk gegen die demokratische Entwicklung und gegen eine kreative und produktive Wissenschaftsentwicklung geworden. Wie dies vor sich ging, zeigt Erker eindrücklich in vielen Fallstudien, quantitativen Analysen und solchen zur institutionellen Entwicklung der Universität. hier können nur Hauptstränge der Darstellung verfolgt werden. Die Professorenschaft kam aus konservativen, antisemitischen und deutschnationalen Eliteorganisationen, die die universitäre Nachwuchsrekrutierung über ihre Vereine beherrschten: nämlich u.a. den konservativen Cartellverband, die Deutsche Gemeinschaft, den Deutschen Klub und den Spann-Kreis. Ein Spezialfall war die so genannte „Bärenhöhle“ aufder Philosophischen Fakultät, in der katholische und deutschnationale Professoren, die allesamt prononcierte Antisemiten waren, insgeheim Berufungen und Leitungsfunktionen der Universität unter Ihresgleichen aufteilten. Somit waren schon in den 1920er Jahren für jüdische und linke Wissenschaftler an der Universität Wien kaum Berufschancen gegeben, und für Frauen sowieso nicht, weil die Elite-Männerbünde die Universität weitgehend „frauenfrei“ hielten. Die Kräfteverhältnisse unter den Studenten waren auch beängstigend, nämlich überwiegend antidemokratisch und antisemitisch. Schon in der jungen Republik konnte die Deutsche Studentenschaft als Studentenvertretung den Andersnationalen und vor allem Juden sowie den wenigen Linken die Mitgliedschaft verweigern. Die Deutsche Studentenschaft gab sich eine Art „Arierparagraph“ und dominierte damit die Hochschulwahlen. 1931 boykottierten die sozialistischen Studenten die Wahlen, 55% der Studenten wählten, davon 34% den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund, und 32% die katholischen Hochschüler. Um einmal die Quantitäten zu referieren: 1931 hatte die Uni Wien 11.911 Studierende, wovon ein Viertel „nicht-arisch“ und vom Wahlrecht ausgeschlossen war. 6.605 gaben ihre Stimme ab, wovon die Nationalsozialisten 2.278 und die Katholiken 2.163 Stimmen erhielten. Die nationalsozialistischen Studierenden waren bereits 1931 die stärkste Studentenfraktion an der Universität Wien. Ihre „Massenbasis“ ermunterte sie zu nationalsozialistischem Terror an der Universität. Im Oktober 1932 prügelten Nazis Studierende aus dem Anatomischen Institut des Prof. Julius Tandler. Mit dem Machtantritt Hitlers in Deutschland im Jänner 1933 verstärkten sie ihren Terror an der Universität: Die Nazi-Studenten organisierten uniformierte Aufmärsche und Prügelorgien, errichteten eine Schießstätte im Hauptgebäude und attackierten neuerlich die „jüdische“ Anatomie. Das alles konnten sie ziemlich ungefährdet unter dem Deckmantel der Hochschulautonomie tun, die einen Einsatz der Staatsgewalt auf Hochschulboden verhinderte. Mit der Errichtung der Diktatur, also der Ausschaltung der Legislative, des Nationalrats, im März 1933 mussten sich auch die politischen Konflikte auf der Universität zuspitzen. Die nationalsozialistischen Professoren und Studenten wurden nun zu einem Problem für die austrofaschistische Universitätsverwaltung. Die wenigen linken Professoren und StudentInnen waren nach dem Februar 1934 ein geringeres Problem. Es waren wenige, die ohne größere Schwierigkeiten durch Disziplinarmaßnahmen aus der Universität gedrängt werden konnten. Aber was sollten die Austrofaschisten mit der nationalsozialistischen Konkurrenz tun, mit der sie auf Universitätsboden bis 1932 „kameradschaftlich“ zusammengearbeitet hatten? Die Austrofaschisten schlugen einen „österreichischen Weg“ ein: Über Einsparungsmaßnahmen in Folge der Weltwirtschaftskrise wurden zentrale nationalsozialistische Professoren aus der Universität gesäubert, die umgehend in Deutschland große akademische Karrieren machen konnten. Nach dem nationalsozialistischen Juli-Putsch 1934 wurde eine relativ große Zahl von nationalsozialistischen Studierenden aus der Universität ausgeschlossen. Aber die Befürchtung der Austrofaschisten war, dass die Universität gerade auch wegen der Sanktionierungen zu einem noch stärkeren Aktionsfeld der illegalen Nazis werden würde. Mit dem Juli-Abkommen 1936 zwischen Deutschland und Österreich, dem Beginn der Unterwerfung der Austrofaschisten, nahm die austrofaschistische Beschwichtigung der Nazis zu: Die Disziplinarverfahren gegen nationalsozialistische Studierende nahmen ab, die NS-nahen Professoren wurden schonend behandelt. Mit dem „Anschluss“ waren sie alle wieder da: Die professoralen NS-Haudegen übernahmen die Leitung der Universität und säuberten die Universität endgültig. Sofort wurden 2.230 jüdische Studierende der Universität verwiesen. (Erker, Die Universitat Wien im Austrofaschismus, S. 54). Der völkische Gedanke hatte gesiegt, alle Spielarten der Moderne waren nun vom Universitätsboden gewalttätig verbannt. Durch den Zivilisationsbruch, produziert von Nazis und Stalinisten in Massenverbrechen und durch den Zweiten Weltkrieg, wurde selbstverständlich auch die Wiener Universität in Mitleidenschaft gezogen. Aber dass im Wiederaufbau eine dermaßen starke Kontinuität von ehemaligen Austrofaschisten und Nazis auf Hochschulboden zu erkennen ist, ist schon außergewöhnlich. Diese Kontinuität zeichnet Linda Erker in einem sehr interessanten und institutionskritischen Kapitel nach. (Ebenda, S. 233-261). Die Weißwäscherei, Rehabilitierung und Reintegration ehemaliger Faschisten begann schnell und erhielt nach dem Staatsvertrag von 1955 noch einmal einen Schub. Für die schlecht integrierbaren Faschisten konnte die Akademie der Wissenschaften zu einer Art „Parkzone“ werden, was für ein Missbrauch wissenschaftlicher Institutionen! Wenig Energie wurde in die MAI2023 75