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Remigration der vertriebenen Wissenschaftler gesteckt, diese Zeugen des Zivilisationsbruchs waren nicht willkommen. Das NachkriegsÖsterreich leistete sich rückwärtsgewandte Wissenschaftsinstitutionen, eine Fehlinvestition kapitalen Ausmaßes! Dass ein Vorsitzender der Deutschen Studentenschaft der 1930er Jahre, Heinrich Drimmel, in den 1950er Jahren Unterrichtsminister wurde und in dieser Funktion auch für den „Aufbau“ der österreichischen Universitäten verantwortlich war, sagt viel. Erst mit dem Zwang des Übergangs zur Massenuniversitätab den 1970er Jahren konnte mühsam etwas frische Luft in die österreichische Universitätslandschaft kommen. Österreich brüstet sich heute mit den wissenschaftlichen Aufbrüchen, die hier von der Jahrhundertwende an bis in die 1930er Jahre geschehen konnten. Dass sich diese wesentlich außerhalb der Universität und der Akademie vollzogen und ihre ProtagonistInnen kaum universitäre Absicherung genossen, wird großzügig Die Judith im Nerz Der Wunsch nach politischer Veränderung in der kommunistischen Tschechoslowakei um 1960 ist groß, tschechische SchriftstellerInnen reklamieren an vorderster Front Reformen. Zeitgleich entwickelt sich die Shoah zu einem Hauptmotiv in der tschechischen Prosa. So erscheint der bislang weitgehend unbeachtete Autor und Shoahüberlebende Arnost Lustig auf der Bildfläche. Neben einer Biografie, die eine Gratwanderung zwischen Authentizität und Fiktion unternimmt, und seinem ausgeprägten politischen Engagement (er sollte wenige Jahre später eine führende Persönlichkeit im Prager Frühling werden), verfügt Lustig zudem über einen eklektizistischen Schreibstil. Dieser zeichnet sich durch einen besonders unkonventionellen Gebrauch der Innenperspektive aus. Mit dieser bewaffnet führt Arnost Lustig den tschechischen Leser erst ganz sanft, dann beinhart an die Realität von Leben und Sterben im Schatten der Shoah heran. Bislang war es der tschechische Leser, wenn er sich denn an diesen bis dato durchwegs tabuisierten Gegenstand wagte, namlich gewohnt, von „aktivem kommunistischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ zu lesen. Einen Bruch mit dieser politisch motivierten literarischen Tradition begeht Arnost Lustig insofern, als seine Werke häufig gänzlich unheroische Personen zum Helden haben: Meist sind es Kinder, junge Frauen oder Figuren aus der Peripherie. Sie geben einen Einblick in ihr Erleben der Shoah und deren Folgen, bleiben dabei aber um Moral bemüht. Lustig, der Theresienstadt, Auschwitz und Buchenwald überlebte, mischt nicht selten 76 _ZWISCHENWELT übersehen. Es kann kaum eine schlechtere Leistungsbilanz für eine Universität geben als die Tatsache, dass fast alle wissenschaftlichen Innovationen außerhalb dieser Institution entstehen mussten. Und die Vertreibung des produktivsten wissenschaftlichen Nachwuchses in den 1930er Jahren hat entscheidend dazu beigetragen, dass ein erfolgreicher Wiederaufbau der österreichischen Universitäten nur mäßig ausfallen konnte. Dass Linda Erker diese Verlustanzeige nicht stark eingearbeitet hat, ist ihr nicht vorzuwerfen. Sie hat sich der Kärrnerarbeit unterzogen, die schlimmen Tendenzen der Universitätsentwicklung zu analysieren, was eine notwendige Voraussetzung zu später Umkehr wäre. Sie hat enorme Energie in die Aufklärung behindernder Prozesse gesteckt. Es ist zu hoffen, dass die von ihr gewonnenen Erkenntnisse in der Weiterentwicklung der österreichischen Universitäten fruchtbar gemacht werden können. Ob Optimismus angesichts der neoliberalen Reform angebracht ist, darf allerdings bezweifelt werden. autobiografische Erlebnisse in seine Erzählungen. Die Shoaherfahrung sollte zum lebenslangen Ihema in seinen Werken werden. 1964 erscheint Lustigs bekannteste Novelle: „Ein Gebet für Katharina Horowitzovä“. 1990 wird das Werk ins Deutsche übersetzt. Katharina Horowitzovä hat viele Attribute: Tänzerin, Jüdin, bildschön und unschuldig. Zudem ist sie „Weib und Mädchen in einem“, es hinge davon ab, was man mit ihr anzustellen vorhabe, wie es Scharführer Emmerich Vogeltanz vordenkt. Katharina findet sich zwischen den Zahnrädern der erbarmungslosen Todesmaschinerie wieder, die zu verstehen sie noch nicht reif genug ist. Lustig stützt sich hier auf eine wahre Begebenheit, die sich 1943 in Auschwitz abspielte und zum "Thema der einen oder anderen polnischen, deutschen und tschechischen Literarisierung wurde. Im Zentrum steht eine Gruppe amerikanischer Juden, die nach ihrer Gefangennahme in Italien nun gegen in den USA festgehaltene deutsche Kriegsgefangene ausgetauscht werden soll. Die Kosten für den Austausch, der eine beschwerliche und komplizierte Reise vorsicht, sind von den Gefangenen selbst zu tragen. Diese sind allesamt überaus finanzkräftig und guten Glaubens, den "Tod bestechen und sich das Ticket in die Freiheit gegen entsprechendes Moos erkaufen zu können. Zwar fragt man sich, was denn nun der Preis der Freiheit wäre, müsste man ihr ein Preisschild anstecken... - zu einem Schluss kommt man allerdings nicht: Das Geld fließt, ohne dass man sich mit Bagatellen aufhält. Angeleitet wird der Austausch vom janusköpfigen SS-Mann Arthur Allein die Tatsache, dass der qualifizierte österreichische wissenschaftliche Nachwuchs auf den Universitäten keine langfristigen Anstellungsperspektiven hat, weil ihm eine Anstellungsvoraussetzung — internationale Karriere — meist fehlt, lässt die deutsche Konkurrenz, bei gleicher Kompetenz, zu einer erdrückenden Übermacht werden. Nichts gegen deutsche ProfessorInnen, aber muss die nationale und demokratische Wissenschaftsentwicklung in einem neoliberalen europäischen „Setting“ derart in die Defensive geraten? Bernhard Kuschey Linda Erker: Die Universität Wien im Austrofaschismus. Österreichische Hochschulpolitik 1933 bis 1938, ihre Vorbedingungen und langfristigen Nachwirkungen, Schriften des Archivs der Universität Wien, Band 29. Göttingen, Wien: VER unipress, Brill 2021. Euro 52,Brenske, der den ihm unterstellten Arrestanten mit vagen, aber deswegen nicht weniger wortgewaltigen Aussagen Sand in die Augen streut und sie zu niemals enden wollenden Zahlungen nötigt. Das Thema „Sprache zur Manipulation“ ist in der tschechischen Literatur omnipräsent (so etwa bei Karel Polä&ek und Väclav Havel) und begegnet uns auch in dieser Novelle. Brenske, dem Katharina und ihre geheimnisvolle Schönheit auf der Ankunftsrampe im Lager ins Auge stechen, beschließt, sie von ihrer Familie zu trennen und dem Austausch anzuschließen. Hauptakteur der Auszutauschenden ist Geschäftsmann Hermann Cohen, welcher beim Anblick Katharinas sofort großzügig anbietet, sämtliche für sie anfallenden Kosten zu tragen. Zwar bleiben die anwesenden Männer von Katharinas Wirkung nicht verschont, dennoch beschließen sie im stillen Einvernehmen ein oberstes Gebot: den Respekt vor Katharinas Kindlichkeit. Niemand, von Brenske und Konsorten abgesehen, wagt es, ihre unschuldige Reinheit mit unangebrachten Blicken zu beflecken. Zum dicken, fertigen Rauch, der die Luft erfüllt und die Anwesenden erahnen lässt, was sich im Lager abspielt, bildet Katharina einen willkommenen Kontrast. Einen weniger willkommenen Kontrast hingegen bildet der Lagerschneider, der mit der Aufgabe betraut wird, die Gefangenen für den bevorstehenden Austausch nach Maß einzukleiden. Er ist ebenfalls Jude und Gefangener, einzig wohlhabend ist er nicht - und damit für den Austausch auch nicht zweckdienlich. Mit seinem blau-weiß gestreiften Gewand verkörpert er für die Beteiligten