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selbst und andere Vergewaltigendes. Sich der autoritativen Macht jener Säulenheiligen und intellektuellen Superstars der grausamen Lust nicht zu unterwerfen, bedeutet, sich nicht in „selbstverschuldete Unmündigkeit“ zu begeben. Jene Ideologen der Grausamkeit wollten gefährlich sein, „gefährlich leben“, wie eine Maxime aus der „Fröhlichen Wissenschaft“ lautete, das transgressorische Geheimnis konsumieren, welches Nietzsche darin verhieß: „um die größte Fruchtbarkeit und den größten Genuss vom Dasein einzuernten“. Doch sind dies immer noch subjektivistische Unternehmungen: allerdings mit dem Anspruch, den Käfig der Individuation und des bürgerlichen Subjekts auseinanderzureifen. Man könnte zuspitzend sagen, es handle sich um einen wildgewordenen Platonismus, der sich in den Körpern inkarnieren soll, ein Materialismus, der zu einem MARTERIALISMUS BUCHZUGÄNGE verkümmert ist. Der arme Menschenkörper soll es nun bringen - alles. Es ist der Götzendienst des Kreuzes ohne Auferstehungsverheißung. Laufen jene Ideologien der Grausamkeit nicht bei aller Attitüde der Revolte bei einigen ihrer Anhänger doch wieder nur auf eine arrogante — meist misogynistische - „Herrchen-Philosophie“ hinaus? Auf Frustration, dieam Anfang und am Ende steht? Ein Witzbold meinte einmal nicht ganz unzutreffend, das Wort Sadismus müsste man eigentlich SADismus schreiben, denn er agiere vor dem Hintergrund misanthropischer Traurigkeit und Depression. Jene Theorien in ihrer teilweise originellen, aber historisch bedingten Ausgestaltung möchten zum einen, wie Ulrike Heider es in diesem Buch unternimmt, ideologiekritisch beleuchtet und hinterfragt werden, um vielleicht zum andern jene spielerische Distanz und Leichtigkeit zu gewinnen, sie als interessante, insbesondere die Kunst inspirierende Gebilde persönlicher Konfession und Passion ihrer zu Klassikern der Moderne und Postmoderne piedestalisierten Autoren zu betrachten, doch so, dass sie nicht unbedingt mit tierischem Ernst eins-zu-eins umgesetzt werden müssten. Sie bilden Gipfel mit ihren Tücken und Unglücken, eingebildeten und echten Fkstase-Stücken. Galerist, nicht Funktionär der Ideen sein. Überspanntheit droht ständig — und entlässt. Peter Hodina Ulrike Heider: Die grausame Lust. Sadomasochismus als Ideologie, Stuttgart: Schmetterling Verlag 2023. 244 S. — 19,80, Günther Anders: Die Totenpost. Elegien. Hg., kommentiert und mit einem Nachwort von Alexander Knopf. Göttingen: Wallstein 2022. 208 S. Euro 26,80 Giinther Anders: Gut, dass wir einmal die hot potatoes ausgraben. Briefwechsel mit Theodor W.Adorno, Ernst Bloch, Max Horkheimer, Herbert Marcuse und Helmuth Plessner. Hg. von Reinhard Ellensohn und Kerstin Putz. München: C.H.Beck 2022. 458 S. Euro 38,Giinther Anders: Visit Beautiful Vietnam. ABC der Aggressionen (damals wie heute). Erweiterte Neuedition. Mit einem Nachwort von Bernd Greiner, herausgegeben von Gerhard Oberschlick. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 2023. 327 S. Euro 32,Bettina Bannasch, Doerte Bischoff, Burcu Dogramaci (Hg.): Exil, Flucht, Migration. Konfligierende Begriffe, vernetzte Diskurse? Jahrbuch Exilforschung Band 40/2022. Berlin, Boston: Walter de Gruyter 2022. 301 S. Euro 39,95 Angelica Bäumer: Die Geschichte eines Kindes von 1932 bis 1945. Mit Bildern von Eduard und Valerie Bäumer und von der Verfasserin selbst. Wien: Theodor Kramer Gesellschaft 2022. 124 S. Euro 30,Helmut Braun: “Du hast mit deinen Sternen nicht gespart.” Rose Ausländer und Paul Celan. Aachen, Weilerswist: Rimbaud, Ralf Liebe 2021. 127 S. Euro 24,Jürgen Brokoff: Literaturstreit und Bocksgesang. Literarische Autorschaft und öffentliche Meinung nach 1989/90. (Kleine Schriften zur literarischen Ästhetik und Hermeneutik Bd.7) Göttingen: Wallstein 2021. 152 S. Euro 16,50 Cécile Cordon: Zwischen Hölderlin und Hitler. Die Schriftstellerin Imma Bodmershof und ihre Zeit (1895 - 1982). Leipzig: Eudora 2020. 384 S. Euro 27,Erinnerungen. Lebensgeschichten von Opfern des Nationalsozialismus, hg. vom Nationalfonds, Teil 7: Exil in Neuseeland. Hg. von Renate Meissner. Wien: Eigenverlag 2022, 2 Bände, deutsch/englisch, 323 und 269 Seiten. Bezug zum Selbstkostenpreis. Besonders für Schulen aufbereitet wurden 20 Lebensgeschichten von 250 nach Neuseeland geflüchteten österreichischen Juden und Jüdinnen, mit einer historischen Einleitung von Margit Wolfsberger. Man begegnet zum Beispiel Peter Fleischl, dem Enkel des Architekten Arnold Barber, dem Mathematiker Hans Offenberger, einem Freund von Karl Popper, und den drei Brüdern Hoffmann aus Mistelbach, unter ihnen der Germanist Paul Hoffmann, der ab 1970 in Tübingen lehrte.- EA. Michael Ellenbogen: Wilhelm Ellenbogen. Visionär und Menschenfreund. Mit einem Vorwort von Michael Ludwig. Eigenverlag, 208 S, Euro 29,90. Erhältlich bei: ellenbogen_buch@ yahoo.com Dieses reich illustrierte Buch erinnert im ersten Teil an die Verdienste des späteren Arztes, Reichstags- und Nationalratsabgeordneten Wilhelm ELlenbogen (1863 - 1951), der als Sohn des Lehrers und Leiters der jüdischen Volksschule in Breclav (Lundenburg) David Ellenbogen geboren wurde. Michael Ellenbogen sieht seinen Großvater als „eine intellektuelle Persönlichkeit, die in keine ideologische Schublade seiner Partei passte“. Nach seiner Flucht 1940 in die USA wurde sein Wunsch, in Wien zu sterben, von der SPÖ abgelehnt. Der Autor schreibt: „In der österreichischen Nachkriegspolitik blendete man das Schicksal der alten sozialdemokratischen Garde der Vorkriegszeit aus.“ Weitere Kapitel des Buches widmen sich allgemeinen Fragen der sozialdemokratischen Frauen-, Energie-, Verkehrs- und Umweltpolitik. Reinhard Federmann: Das Himmelreich der Lügner. Mit einem Nachwort von Günther Stocker. Wien: Picus 2023 (Neuausgabe). 528 S. Euro 28,Else Feldmann: Flüchtiges Glück. Reportagen aus der Zwischenkriegszeit. Hg. von Adolf Opel und Marino Valdez. Wien: Edition Atelier 2022. Zweite Auflage. 168 S. Euro 24,Dieses schmucke Buch wurde nach dem Tod von Adolf Opel 2018 neu aufgelegt und ihm gewidmet, „an dessen unermüdlichen Einsatz für die Literatur wir uns immer ein Beispiel nehmen werden“. Im Vorwort zitiert Opel aus dem ersten 1912 nachweisbaren Zeitungsartikel der Autorin in „Dr.Blochs Wochenschrift. Zentralorgan für die gesamten Interessen des Judentums“. Feldmann beschrieb darin einen Sederabend in einer kleinen Spitalssynagoge in Wien. Ein berührendes Dokument ist auch ihr aus dem „Neuen Wiener Journal“ vom 23.2.1919 nachgedruckter Bericht über einen Besuch beim 81jährigen Josef PopperLynkeus. Weiters begegnen wir in diesem Buch MAI 2023 85