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6. Jahrgang Nr. 2 Juni 1989 Preis: öS 10,— MIT DER ZIEHHARMONIKA Zeitschrift der Theodor Kramer Gesellschaft Nicht fürs Süße, nur fürs Scharfe und fürs Bittre bin ich da; schlag, ihr Leute, nicht die Harfe, spiel die Ziehharmonika. Theodor Kramer FRANZ KARL GINZKEY Franz Karl Ginzkey (1871— 1963), Militärgeograph und Schriftsteller, Dichter der niederösterreichischen Landeshymne („O Heimat dich zu lieben, getreu in Glück und Not, / im Herzen steht’s geschrieben als innerstes Gebot.“), NSDAPMitgliedsnummer 8.751.771, hätte aus Anlaß seines 25. Todestages, der in das „Gedenkjahr“ 1988 fiel, geehrt werden sollen. Die Gemeinde Seewalchen in Oberösterreich, deren Ehrenbürger er war, gedachte, ein Schulzentrum festlich nach ihm zu benennen. Ginzkey, der sich als Mitarbeiter der ,Literarischen Gruppe‘ des Kriegsarchivs in Wien 1914—18 nicht nur dem Riihmen von Kriegstaten widmete, sondern auch Schriftstellern wie Stefan Zweig und Rainer Maria Rilke einen unrühmlichen Unterschlupf bot, verließ 1933 das Wiener P.E.N.-Zentrum, als dieses gegen die Verfolgung von Schriftstellern im Deutschen Reich Stellung nahm. 1936 schloß sich Ginzkey dem Bund deutscher Schriftsteller Österreichs an, in welchem — unter dem Vorsitz Max Mells — die literarischen Kader des Kampfbundes für Deutsche Kultur (1927 von Alfred Rosenberg gegründet) Max Stebich und Josef Weinheber wirkten. Dem austrofaschistischen Regime stand Ginzkey gleichzeitig als „Staatsrat“ zur Verfügung. Die Namen anderer Würdenträger des „Systems“ scheinen auf den Listen der Transporte nach Dachau auf, Ginzkeys Name zierte das „Bekenntnisbuch österreichischer Dichter“, das Josef Goebbels anläßlich der „Reichstheaterwoche“ in Wien, Juni 1938, überreicht wurde. Die „Gesänge der Ostmark“, die als ein „Dichtergruß“ 1938 in Leipzig erschienen, stellte er selbst zusammen. 1954 erhielt er den Preis der Stadt Wien, 1958 verlieh ihm Heinrich Drimmel den Großen Österreichischen Staatspreis. Seewalchen ist eine ‚sozialistische‘ Gemeinde; die SPÖ stellt den Bürgermeister und 14 von 24 Gemeinderaten. Am 2. Mai 1988 richteten die Mittelschullehrer Reinhold Hangler, Hartmuth Kilgus, Christian Hawle und der SPÖ-Gemeinderat von Vöcklabruck Alois Sattleder einen offenen Briefan den Gemeinderat von Seewalchen, in dem sie den Gemeinderat ersuchten, von den für Juni 1988 geplanten Ginzkey. Ehrungen „Abstand zu nehmen“. Die Reaktionen, die der offene Brief hervorrief, sind in dem Buch „Der Fall Franz Karl Ginzkey und Seewalchen“ dokumentiert. Weitere Beiträge versuchen, der an Windungen und Wendungen reichen Karriere Ginzkeys zu folgen und ihn in das literarische und historische Umfeld einzuordnen. Vielleicht wird, wie kritisch anzumerken ist, in den Aufsätzen allzusehr auf einen vordergründigen Konsens abgezielt, indem Ginzkey als Deutschnationaler und Opportunist und zu wenig als Faschist, als der ersich schließlich bekannte, charaktierisiert wird. — Gegen die Stimmen von ÖVP und FPÖ hat der Gemeinderat von Seewalchen am 24.5. 1988 die bereits beschlossenen Ginzkey-Feiern abgesagt. Eine Ginzkey-Devotionalien-Ausstellung im Pfarrsaal fand dennoch statt. Die Aussetzung des Beschlusses, das Schulzentrum nach Ginzkey zu benennen, wurde von der SPÖ mit der mittlerweile bekanntgewordenen NS-Vergangenheit Ginzkeys und mit der Sensibilisierung der Öffentlichkeit durch das „Gedenken an die Ereignisse 1938“ begründet. Jedoch wurde festgehalten: „Die SPÖ hat keinen Grund, am Menschen oder Werk Ginzkeys Kritik zu üben oder vorher bezogene Standpunkte wegen seiner NS-Mitgliedschaft zu ändern. Nach heutigem Wissen war Ginzkey sicher kein Kriegsverbrecher oder Antisemit ... [...] Wir haben keinen Grund, Ginkeys Ansehen zu schmälern, ihm seine Ehrenbürgerwürde abzuerkennen oder sein Denkmal zu stürzen.“ Es ist natürlich schwer auseinanderzuhalten, in welchem Maße Mattigkeit der Gesinnung und in welchem Maße taktische Nötigung für solche Formulierungen verantwortlich sind. Was aber die Taktik betrifft — deren Erörterung der Aufzeichnung von Gesinnungsschwankungen vorzuziehen ist —, hat es den Anschein, daß der Pferdefreund in der Hofburg sie inspiriert hat, der vom hohen Roß erst steigen will, wenn er eines Kriegsverbrechens überführt ist. Weit Schlimmeres dokumentiert der Band über den Fall Ginzkey. Aber Fortsetzung auf Seite 2 Mit dem März 1938 und seinen Folgen vollendete sich die Spaltung der österreichischen Literatur in eine „Literatur im Reich“ und eine „Literatur im Exil“. Während sich die Exilierten heute eines gewissen internationalen Ansehens erfreuen, sind in Österreich nach wie vor Straßen und Plätze, Dichterwarten und Prunkräume nach den vorgeblich ‚heimattreuen‘ Dagebliebenen benannt. Den Platz, den die Exilierten in der Literaturgeschichte beanspruchen, nehmen die ewig Daheimgebliebenen in den Schullesebüchern ein. Der Tatbestand indiziert das Vorhandensein zweierKulturen in Österreich. Eine Täuschung darüber scheint nur so lange möglich, als man dem, was in der ‚Provinz‘ geschieht, keine kulturelle Relevanz beimift. Der Fall \ Franz Karl Gingfey und Seewalehen Eine Dokumentation Hrsg. vom MauthausenAktiv-Vöcklabruck, 4840 Vöcklabruck, Volkssiedlung, 15. 216 Seiten. Inhalt Franz Karl Ginzkey / Jura Soyfer Gesellschaft / Murray G.Hallzu Theodor Kramer — Preis der Stadt Wien 1928 — Buchrezensionen von Karl-Markus Gauß / Verstreutes.