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Gewöhnung zurück, auf den der Distanzierung: Sie ist uns zur zweiten Natur geworden. Unter Berufung auf die ungarisch-italienische jüdische Zeitzeugin Edith Bruck schreibe ich in Die Entfremdung ist ein Untermieter der Hoffnung: Für Edith Bruck ist ganz Europa passiv am Nationalsozialismus beteiligt gewesen, obwohl sich im nachhinein jeder distanzierte. Die Distanzierung ist nichts als die Weiterführung dieser passiven Beteiligung, erfüllt geradezu den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung. Die bloße Distanzierung als „Linie des geringsten Widerstandes“ (Peter de Mendelssohn über Ernst Jünger), ist Bedingung der Möglichkeit Robert Streibel Nur der Rehbock hat ein Denkmal der Fortführung bzw. Wiederholung der nationalsozialistischen Verbrechen. Eine ganze Generation ist mit dieser Lüge der Distanzierung aufgewachsen. „Auschwitz leugnen“ - das bedeutet nur im engsten Sinn ein Bestreiten der Tatsache des Massenmordes, sondern bedeutet: keine Konsequenz daraus zu ziehen. Man vergleiche zum Thema Alexander Emanuelys Essay Luegers antisemitischer Terrorismus. Ein dokumentarischer Beitrag zur Diskussion um das Lueger-Denkmal in Zwischenwelt Nr. 3-4/2022, den Leserbrief von Markus Vorzellner in Nr. 1-2/2023 und die entsprechende Passage im Editorial von Nr. 3-4/2022. In den Wäldern zwischen Jaidhof und Eisenbergeramt gibt es ein sonderbares gemauertes Denkmal. Das Marterl mit einer Metallplatte erinnert an den letzten Rehbock, den Wolfgang Gutmann an diesem Platz 1964 geschossen hat. Ein Denkmal für einen Rehbock, aber kein Zeichen für die hier tätigen sicherlich hundert Zwangsarbeiter, darunter für einige Monate auch mehrere dutzend ungarische Jüdinnen und Juden. Das Gut , wo das Denkmal steht und die ZwangsarbeiterInnen im Wald arbeiten mussten, hatte Wilhelm Isak Wolf Ritter von Gutmann 1884 gekauft. Unter Max Ritter von Gutmann war der Besitz ausgebaut worden. Es gab eine Gärtnerei, Meierei, Zimmerei, Tischlerei, Wagnerei, Satlerei, ein eigenes Elektrizitätswerk sowie eine Betriebsfeuerwehr. Wolfgang von Gutmann hatte das Gut Jaidhof nach dem Tod seines Vaters 1930 übernommen. Während des 2. Weltkrieges wurde das Schloss vom Reichsforst übernommen und durch die NSDAP besetzt. Erst im Jahre 1947 kam es zur Rückgabe an die Familie Gutmann. Wolfgang Gutmann starb 1964, kurz nach dem er sich über seinen letzten erlegten Rehbock gefreut hat. Dass nichts an die Zwangsarbeiter mahnt, gehört zum österreichischen Alltag 2023. Doch selbst die Erinnerung an diese Arbeitssklaven ist verblasst, beziehungsweise verdrängt und vergessen. Zum Glück gibt es den Landwirt Karl Enzinger, der mit seinen 95 Jahren immer noch aktiv ist und zumindest ein Quartier dieser Arbeitssklaven kennt: Die Augusta Mühle. Viele Zwangsarbeiterlnnen konnten sich nach dem Krieg oft nicht an die Orte, in denen sie gewesen sind erinnern. Die fremde Sprache machte eine Orientierung überdies schwierig. Im Interview, das die beiden Schwestern der Familie Greenwald, Deborah, die von allen Vera gerufen wurde, und Esther für Yad Vashem gegeben haben, ist das Wort Eisenbergeramt deutlich zu verstehen. Vor vier Jahren starb Vera, die Großmutter von Eran, Roi und Edit. Als sie nach der Befreiung aus Bergen-Belsen nach Palästina kam, wünschte sie sich, noch viele Urenkel aufwachsen sehen zu können. Als sie starb waren es an die 60. Roi Harel hat fünf Kinder und schmunzelt, als wir im Auto Richtung Krems unterwegs sind: „Wir haben ihren Wunsch erfüllt.“ Eran, Roi und Edit haben beschlossen, endlich auch den Ort zu suchen, an den ihre Großmutter mit ihrer Familie nach der Deportation aus Ungarn gebracht worden war. Über den Verein Arbeitsgruppe Strasshof, der die Geschichte des Durchgangslagers Strasshof dokumentiert, kamen sie in Kontakt mit Bernhard Blank. In einem Mail wandte er sich an den Verfasser, ob ich schon einmal von einem Lager für ungarische Jüdinnen und Juden in Eisenbergeramt gehört hätte. Das Lager für die 1944 aus Ungarn Deportierten in Dross hatte ich schon 1997 erforscht und Interviews mit Überlebenden in Israel und den USA geführt. Durch die Kooperation mit den Bundesforsten gibt es in Dross eine Gedenktafel und auch einen Wanderweg, der an die Geschichte dieser Juden erinnert. Die Berichte des Landrates über den Einsatz der Juden sind kurz und auch von der Furcht diktiert: Wir haben alles getan, um die Juden aus unserer Heimat zu vertreiben und jetzt kommen sie wieder. Einen Vormittag lang telefoniere ich mit Personen in der Umgebung von Eisenbergeramt und Jaidhofund werde an Karl Enzinger verwiesen. Er freut sich, als ich ihn nach der Vergangenheit frage, und darüber, dass sich überhaupt jemand für die Geschichte interessiert. So einfach ist es, der Vergangenheit auf die Spur zu kommen. Wer wissen will, was war und Fragen stellt, der kann auch nach fast 80 Jahren noch Hinweise auf NS-Verbrechen entdecken. Es sind Spuren der Unmenschlichkeit, aber auch Hinweise auf Menschen, die selbst in den Jahren zwischen 1938 und 1945 die Menschlichkeit nicht verlernt haben. Auch in Eisenbergeramt Eran, Roi und Edit in Eisenbergeramt SEPTEMBER 2023 27