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gab es einen Aufscher wie Severin Worell in Dross, der versuchte zu helfen. Diese wenigen, die es nicht übers Herz brachten, die Frauen, alten Männer und Kinder wie Untermenschen zu behandeln, werden bis heute nicht geehrt und nur ein kleiner Kreis ist stolz auf sie. Das ist eine Tatsache, mit der sich der Verfasser und einige andere nicht abfinden wollen. Der Name des Aufsehers, der die Großmutter und ihre Familie in Eisenbergeramt und Ulreichsberg menschlich behandelt hat, ist bislang noch nicht bekannt. Aber die Hoffnung, dass noch mehr herauszufinden ist, wollen die Enkel von Deborah und Esther sowie alle an dieser Spurensuche Beteiligte nicht aufgeben. Wie auch die Gruppe in Dross stammte die Familie von Deborah/Vera und Esther aus Debrecen, von wo sie deportiert und nach Strasshof gebracht wurden. In den Interviews und Gesprachen in der Familie hat Vera immer davon gesprochen, dass ein Aufseher von den Deutschen erschossen worden sei, weil er die Gefangenen zu gut behandelt habe. Wird sich diese Geschichte bestatigen lassen? Ein Ziel der Reise von Eran, Roi und Edit ist es, auch diesen Aufseher zu finden und seiner Familie zu danken. Mit einem schalkhaften Lacheln wartet Karl Enzinger auf uns in Jaidhof vor dem Forsthaus und meint, er hoffe, dass es uns und unseren Autos nichts mache, wenn wir zur Augusta Mühle fahren, denn wir müssten zwei Mal durch den Bach. Bis wir den Platz der ehemaligen Mühle erreichen, müssen wir insgesamt vier Mal durch den Bach fahren. Angesichts des starken Regens in den Vortagen ist das ein mittleres Wagnis. Dem 95-Jährigen hat es sichtlich Spaß gemacht, für uns den Weg zu erkunden und vorauszufahren. Von der Mühle sind heute nur mehr einige Mauerreste erhalten, auf dem freien Platz stand ein Haus, in dem die Zwangsarbeiter untergebracht waren. Wir fühlen uns am Ende der Welt und trotzdem funktioniert hier sogar das Internet und Eran Shterenberg spielt uns jene Passage des Video-Interviews vor, in der Deborah/Vera und Esther von Eisenbergeramt erzählen, von den Forstarbeiten, davon, dass die Kinder sich selbst überlassen wurden und Gras aßen und manche auch von giftigen Beeren kosteten. Bäume wurden gefällt, die Äste entfernt und die Stämme auf ein Meter lange Stücke zurrechtgeschnitten, Lali, der jüngste war gerade zehn Jahre alt. Wie sie das geschafft haben, ist ihr bis zu ihrem Tod schleierhaft. „that remains locked in mystery“. Geschlafen wurde auf dem Boden, der mit Stroh bedeckt war. Vera erwähnt 67 Personen in einem Raum. Aufgrund der hygienischen Bedingungen und des Vitaminmangels hatten die Kinder mehr Schorf als Haare am Kopf. Die Erinnerungen der Überlebenden sind die einzigen Zeugnisse, die an das Lager in Eisenbergeramt erinnern. Chaim Schonfeld, der Lali gerufen wurde, erzählt: Wir wurden in ein kleines Dorf namens Eisenbergeramt gebracht. Hier blieben wir ein paar Monate vor Ort. Die Erwachsenen mussten arbeiten. Meine 15-jährige Schwester Vera fällte Bäume in einem Wald. Wir Kinder blieben im Haus. Wir waren etwa 60 Juden. Dort befanden sich auch einige russische Kriegsgefangene, die ebenfalls für die Deutschen arbeiteten. Eve Suranyi berichtet: Eine Gruppe von etwa 60 Leuten ging zum Eisenbergeramt, da war dieser riesige Raum, in dem sie alle auf dem Stroh schliefen. Meine Cousine Vera musste im Wald Bäume fällen, mein Bruder trug Wasser, wir waren so hungrig, dass wir Gras aßen. Wir hatten unsere eigene Kleidung und einen Rucksack, um unsere eigenen Sachen zu transportieren. Ich erinnere mich, dass an diesem Ort einige russische 28 — ZWISCHENWELT Gefangene waren, die etwas mehr Essen bekamen. Irgendwann gab mir ein russischer Soldat eine Scheibe Brot. Auch unter diesen Bedingungen wurde der Schabbat gefeiert. „Meine Mutter zündete Kerzen an, meine Tante Sara war sehr religiös und betete regelmäßig“, berichtet Eve. Im September 1944 wurde die Gruppen verlegt. Die nächste Station war Ulreichsberg in St. Aegyd am Neuwalde im Bezirk Lilienfeld. Dort hat Eve Suranyi einen Bauern besonders in Erinnerung: Dieser Bauer war kein wirklich schlechter Mensch, tatsächlich erinnere ich mich an eine Zeit, als er alle Kinder versammelte und uns Brot mit Honig gab. Als ich krank war, rief er sogar den Arzt. Er war nicht so schrecklich wie die meisten von ihnen. Bis November 1944 blieb die Gruppe in Ulreichsberg, dann hatte der Bauer keine Arbeit mehr für sie und die Gruppe wurde zurück nach Strasshof gebracht und später nach Bergen-Belsen deportiert. Nicht alle haben die Befreiung erlebt, denn der Zug wurde von alliierten Flugzeugen für einen Militärtransport gehalten und bombardiert. Eran, Roi und Edit haben die Wälder geschen, den Ort und vielleicht den Platz, wo die jüdische Gruppe für einige Monate gelebt hat. Bei der Rückfahrt machen wir ein Foto beim Ortsschild von Eisenbergeramt, auch das steht mitten im Wald. Hat wirklich niemand etwas von diesem Lager gewusst? Karl Enzinger ist ungefähr der Jahrgang der Großmutter, auch wenn er sich nur an die Franzosen und andere Zwangsarbeiter erinnern kann, hat er eine wichtige Spur zur Augusta Mühle gelegt. Im Gasthofin Gneixendorf trinken wir noch einen Kaffee und die drei Israelis ein Bier, denn das ist überall koscher. Wir sprechen Englisch, Deutsch und Hebräisch durcheinander. Einige Tische weiter sitzt eine Wandergruppe. Ich berichte von der NS-Zeit in Krems und Umgebung, vom größten Kriegsgefangenenlager und den Recherchen über die jüdischen Zwangsarbeiter in Droß und plötzlich ist es ganz still im Raum und mein Eindruck täuscht mich sicherlich nicht, dass die Gespräche am Nebentisch plötzlich verstummen, zumindest für kurze Zeit. Eran, Roi und Edit wollen wiederkommen, vielleicht gibt es bei ihrem nächsten Besuch nicht nur ein Erinnerungszeichen für einen Rehbock und dann wollen sie auch Ulreichsberg besuchen und Mauthausen, denn auch dort wurden einige Familienmitglieder gequält. Arye Grünwald war der Cousin seiner Großmutter, nach einem Arbeitseinsatz wurde er nach Mauthausen deportiert. Auf dem Todesmarsch hat der 13-jährige Arye seinen fünfjährigen Bruder Asher auf dem Rücken getragen und ihm so das Leben gerettet. Asher lebt heute, 84-jährig in Israel. Robert Streibel, geb. 1959, Direktor der VHS Hietzing, Historiker und Gedenkarbeiter. Realisierung verschiedener Gedenkaktionen in NÖ und Wien, Publikationen zu Krems in der NS-Zeit, Widerstand, Exil und Eugenie Schwarzwald. Zuletzt erschienen: „April in Stein“ (Residenz Verlag), ein Roman über das Massaker im Zuchthaus Stein am 6. April 1945. Mitarbeit am Band „Mahnmal Friedenskreuz St. Lorenz. Über die Verwicklung Wachauer Bürger im Partisanenkrieg im Zweiten Weltkrieg (Studienverlag). Herausgabe der Erzählung Bora von Louis Mahrer über den Widerstand zweier Wehrmachtssoldaten in Serbien. „Der Wein des Vergessens“ über die verdrängte Geschichte der Winzergenossenschaft Krems, die auf eine „Arisierung“ zurückgeht (gemeinsam mit Bernhard Herrman)