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Ehrengabe der Israelitischen Kultusgemeinde ‘Theodor Kramer c/o Mrs. Few, 16, Manor Road, Guildford, Surrey. 29. Maerz 1957 Sehr geehrter Herr Amtsdirektor, Ich gestatte mir, Ihnen und dem Vertreterkollegium der Israelitischen Kultusgemeinde fuer Ihre freundlichen Worte und die Ehrengabe anlaesslich meines 60. Geburtstages meinen aufrichtigen Dank auszusprechen — nicht nur, weil mir die Gabe sehr willkommen ist, sondern weil ich es zu wuerdigen weiss, dass die Repraesentanz der in Oesterreich lebenden Juden mich durch sie ehrt. Ich kann nicht behaupten, dass ich im juedischen Leben Oesterreichs eine aktive Role gespielt habe, aber ich glaube sagen zu koennen, dass ich mich stets und insbesondere auch in der Emigration wuerdig benommen habe. In meinem in London wachrend des Krieges erschienenen Gedichtband “Verbannt aus Oesterreich” habe ich den Aengsten und Sorgen der Verfolgten Ausdruck gegeben und auch in einem Gedicht meines verstorbenen Vaters gedacht. Ein anderes Gedicht “Winterhafen”, welches noch aus der Zeit vor 1938 stammt, ist dem Schicksal eines juedischen Hausierers — Moses Vogelhut - gewidmet. Evelyn Adunka Wilhelm Jerusalem (1854 - 1923) Wilhelm Jerusalem war einer der beliebtesten und bekanntesten österreichischen Philosophen. Seine Einleitung in die Philosophie im Braumiiller Verlag von 1899 wurde bis 1923 zehn Mal neu aufgelegt. Sein Wirken ist in der österreichischen Geistesgeschichte nicht ganz vergessen; seine ausgeprägten jüdischen Interessen werden hier erstmals dargestellt. Wilhelm Jerusalem wuchs als Sohn des Gutspächters Markus Jerusalem im Dorf Drenitz in Ostböhmen in einem religiösen Elternhaus auf. Nachdem er mit neun Jahren seinen Vater verloren hatte, kam er zur Ausbildung in die benachbarte Kleinstadt Luze zum dortigen Rabbiner Abraham Kauders, einem berühmten Talmudkenner und ausgezeichneten Prediger. Im Gymnasium entzog er sich jedoch dem Wunsch seines verstorbenen Vaters, der ihn zu einem Rabbiner machen wollte, und beschloss, sich der Wissenschaft zu widmen.' Er absolvierte das Gymnasium in Prag und studierte Philologie an der dortigen deutschen Universität. In Prag heiratete er 1878 Katharina Pollak, die 1856 geboren wurde und in der Kleinstadt Jicin in Böhmen aufwuchs. Sie war eine Absolventin der deutschen Lehrerinnenbildungsanstalt in Prag.’ Nochmals herzlichen Dank fuer Ihre freundliche Hilfe. Mit den besten Empfehlungen Ihr ergebener ‘Theodor Kramer Auf die Stellung Kramers zum Judentum wirft diese Korrespondenz mit der Israelitischen Kultusgemeinde ein kleines Licht. In seinem Dankschreiben gibt Kramer einige Gründe dafür an, dass es mit ihm kein Unwürdiger ist, der da bedacht worden ist. Er weist aufjüdische Themen in seinen Gedichten hin, aber auch auf seine Haltung im Exil, derer man sich nicht zu schämen brauche. Kramer, der sich 1938 noch im Unterschied zu seiner Frau Inge Halberstam als Assimilant bezeichnete, bekennt sich angesichts erlittener Verfolgung und der Shoah nun zu seinem Judentum (er wurde auch nach jüdischem Ritus begraben). Religiös geworden ist Kramer auf seine alten Tage allerdings nicht. Es finden sich zwar im „Lob der Verzweiflung“ einige Zeilen, die religiös konnotiert sind, doch kann man davon auf keine ‚persönliche Religiosität Kramers schließen. Bei der Wiener Kultusgemeinde hatte sich Kramers Freund, der Anwalt Fritz Lothar Brassloff, für Kramer eingesetzt. Brassloff schrieb auch einen Artikel über ihn in der „Gemeinde“ am 23.Mai 1958, den unsere Zeitschrift im nächsten Heft veröffentlichen wird. — Über Theodor Kramers Darstellung von Juden sprach Ruth Klüger in ihrer Rede zum Theodor Kramer Preis 2011. (Nachzulesen in: Vom Nicht-Beigeben. Theodor Kramer 1897 — 1958. Einführung in Leben und Werk, S. 177-185). Nach zwei Jahren als Hilfslehrer an einem Gymnasium in Prag wurde Jerusalem 1878 Gymnasialprofessor in Nikolsburg. Sein berühmtester Schüler Karl Renner erinnert sich, dass Jerusalem durch seinen Vortrag und seine Anleitung dem Schüler „philosophische Tiefe, dichterische Schönheit und menschliche Größe“ erschlossen habe.? Edmund Jerusalem schrieb: „Mein Elternhaus war, glaube ich, der einzige Ort in Nikolsburg, wo Juden und Christen einander privat begegneten.“* Während der sieben Jahre in Nikolsburg verkehrte das Ehepaar Jerusalem fast täglich im Haus des dortigen Landesrabbiners Meir Feuchtwang.’ Dieser, ein Schüler von Johann Friedrich Herbart, machte ihn auf Wilhelm Wundt aufmerksam und las mit ihm Aristoteles.‘ 1885 übersiedelte Jerusalem nach Wien, wo er bis 1920 am Piaristengymnasium im achten Bezirk unterrichtete. Einer seiner Schüler war der Dichter Anton Wildgans; er verfasste zum 60. Geburtstag seines Lehrers ein Gedicht, das in der Festschrift Jerusalems abgedruckt wurde. In einem Brief an Jerusalem schrieb der Dichter: „Ihre milde Weisheit [war] die erste Offenbarung eines Menschentums, das mir seither nie mehr so nahe begegnet ist.“ In seinem Nachruf rühmte er die Güte Jerusalems und führte aus: SEPTEMBER 2023 29