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Heimgekehrt Der Maler Erich Schmid Enthüllung einer Gedenktafel für Erich Schmid zum 115. Geburtstag an seinem Geburts- und ehemaligem Wohnhaus Webgasse 28 in Mariahilf am 19.10.2023 um 16:30 Nur der Beharrlichkeit einer nunmehr 85 Jahre alten Dame ist es zu verdanken, dass die Gedenktafel an den Maler Erich Schmid zu seinem 115. Geburtstag an seinem ehemaligen Wohnhaus enthüllt wird. „Zeitzeugen gesucht“ dieser Zettel in der Einfahrt ihres Hauses machte Martha Pfeilstöcker neugierig. Es war ein Aufruf des „Kunsthandels Widder“, Wien Johannesgasse, der 2002 eine Ausstellung über Erich Schmid plante. Martha Pfeilstöcker besuchte diese Sonderausstellung im Rahmen der „Internationalen Kunst- und Antiquitätenmesse“ im November 2002 im Palais Ferstel. Aus dem Katalog erfuhr sie vieles über die ehemaligen Bewohner der Webgasse 28 und ihre Schicksale. Das Haus Webgasse 28 gehörte 1938 der „August Miller Stiftung“. Der Industrielle August Miller hatte bestimmt, dass nach seinem Iod 1916 eine Stiftung zur Förderung der Krebsforschung zu gründen sei. Neben dem Gebäude stand auch eines seiner Stahlgusswerke. Das Haus Nummer 28 wurde 1966 von einer Tante erworben und 1976 an die Familie Pfeilstöcker vererbt. Ein Zeitungsartikel über die „Steine der Erinnerung“, auch „Stolpersteine“ genannt, brachte Martha Pfeilstöcker auf die Idee, für Erich Schmid einen solchen Stein der Erinnerung vor dem Haus legen zu lassen. Metallplatten vor den Häusern der von den Nationalsozialisten Vertriebenen und Ermordeten geben Zeugnis vom Ausmaß der Verfolgung. Vorbild unserer Aktion in Wien war das Projekt „Steine der Erinnerung“ in der Wiener Leopoldstadt, das von Elisabeth Ben David-Hindler begonnen wurde. 2007 haben Irmtraut Karlsson und Manfred Kerry, beflügelt von Elisabeth Ben David-Hindler, den Verein gegründet. Und so wurde von Familie Pfeilstöcker der Verein „Steine der Erinnerung in der Josefstadt“ kontaktiert. Unser Verein ist, wie der Name sagt, auf die Josefstadt konzentriert. Dennoch überschreiten wir Bezirksgrenzen in Absprache mit den anderen in Wien tätigen Erinnerungsvereinen. Über das Leben von Erich Schmid standen uns einerseits der Ausstellungskatalog von Claudia und Roland Widder', sowie zwei Artikel von Alexander Emanuely? zur Verfügung. Erich Schmid, so ergeben diese Quellen, wurde am 14. Oktober 1908 als ältester Sohn des Herrenausstatters Hermann Schmid und dessen Frau Paulina in Wien geboren.’ Er hatte eine ältere Schwester Gerta, geboren 1907, und einen jüngeren Bruder Wolfgang Peter, geboren 1918. Sein Vater besaß in der Kärntnerstraße 16 ein Bertwaren-, Hemden- oder Kurzwarengeschäft, eine Pfaidlerei. In seinem behüteten, gutbürgerlichen Umfeld standen Erich Schmid alle Möglichkeiten offen. 1925 bis 1930 studierte er Psychologie und schloss daran eine Psychoanalyse bei Wilhelm Reich an. Erich Schmid studierte von 1930 bis 1934 Malerei an der Wiener Kunstgewerbeschule bei Eugen Steinhof. Mit dem jungen Wiener Hans Maier, der später als Jean Am£ry bekannt wurde, verband ihn seit damals eine enge, lebenslang währende Freundschaft. Für kurze Zeit besuchte Schmid auch die Kunstschule Reimann in Berlin. Er beteiligte sich an ersten Ausstellungen in der „Wiener Secession“. Besonders schätzte Schmid die Arbeiten seiner schon arrivierten Künstlerkollegen Oskar Kokoschka und Alfred Kubin, die ihn zu Ausstellungsbeteiligungen ermutigten. Die in den folgenden vier Jahren entstandenen Arbeiten sind jedoch alle verschollen, sie wurden wohl von den Nazis zerstört. Im März 1938 wurde die Karriere des aufstrebenden Malers jäh unterbrochen. Die Schmids befanden sich, wie alle jüdischen ÖsterreicherInnen, in Lebensgefahr und wollten sich vor den Nazis retten. Für jedes Mitglied existiert ein Auswanderungsbogen im Simon Wiesenthal Archiv. Dankenswerterweise wurden uns diese Dokumente zur Verfügung gestellt. Erich Schmids Plan war es, in die USA zu flüchten. Er konnte dafür sogar einen Kontakt in New York angegeben. Sein jüngerer Bruder Wolfgang Peter wollte nach Australien und gab den Beruf Landwirt an. Seine Schwester Gerta konnte nach Großbritannien flüchten. Den Eltern und dem jüngeren Bruder gelang die Flucht nicht. Sie mussten in die Sammelwohnung Lilienbrunngasse 5 Tür 12 ziehen. Am 6. Dezember 1942 wurden sie nach Riga deportiert, wo sie ermordet wurden. Erich Schmid kam zunächst nach Belgien, wo er auf seinen Freund Hans Maier traf. Anfangs lebte er in Antwerpen, dann in Brüssel. (Auswanderungsbogen vorhanden) Im Mai 1940 verließ Schmid Brüssel und tauchte in Paris unter. Dort wurde er am 29. Oktober verhaftet und zusammen mit Hans Maier in das Internierungslager Gurs eingewiesen. Erich Schmid wurde in das Lager St. Cyprien weiterverlegt. Schlussendlich landete Erich Schmid in Rivesaltes, von wo er entkommen und in Chambon-sur-Lignon untertauchen konnte. Im Juni 1944 schloss er sich der Resistance an und nahm an der Befreiung Lyons teil. Er ging zur Fremdenlegion und kämpfte im März 1945 bei der Befreiung Italiens mit. 1946 kehrte er nach seiner Demobilisierung nach Paris zurück und lernte die Malerin Eva Friedmann — eine Überlebende eines Konzentrationslagers — kennen. Er lebte mit ihr bis zu ihrem Tod 1954 zusammen. Untergebracht waren sie in einem Wohnheim für jüdische Flüchtlinge in der Rue Rollin 5. Zunächst verdiente sich Schmid durch Arbeit als Hausmeister ein Wohnrecht und bezog in weiterer Folge ein bescheidenes Wohnatelier. 1958 lernte er die amerikanische Malerin Gail Singer kennen. Sie war seine Lebensgefährtin, bis sie 1983 an Multipler Sklerose starb. 1984 starb Erich Schmid einsam in Paris. Österreich hatte er nach 1945 nie wieder betreten. „In ein Land, das einen vor die Tür gesetzt hat, kehrt man nicht zurück“, war seine Ansicht. Dennoch, die Gedenktafel am Haus Webgasse 28 soll eine späte Anerkennung seiner Person und seines Schaffens sein. Irmtraut Karlsson, ehem. Abgeordnete zum Bundesrat und Nationalyat, Vorsitzende „Steine der Erinnerung an die Opfer des NS-Regimes in der Josefstadt“. SEPTEMBER 2023 39