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Julia Schwaiger, Kunsthistorikerin, seit 2009 im Kunsthandel Widder tätig und mit der Aufarbeitung von künstlerischen Nachlässen betraut. Anmerkungen 1 Claudia Widder: Biographische Bruchstücke aus dem Leben des Malers Erich Schmid, in Claudia Widder, Roland Widder: Erich Schmid, Wien 1908 - Paris 1984, Bibliothek der Provinz, Weitra 2002. 2 Alexander Emanuely: Der Neinsager. Einige Notizen zu Erich Schmid. In: Zwischenwelt. Zeitschrift für Kultur des Exils und Widerstands. Jg. 29. Nr. 4. Nov. 2012 und Alexander Emanuely: Panische Flucht? — Einiges über den Maler Erich Schmid. In: Forschungsgesellschaft Quatuor Coronati Wien (Hg.): Quatuor Coronati Berichte. Wiener Jahrbuch fiir historische Freimaurerforschung 37/2017. Wien: Licker Verlag 2017. 3 Sabrina Bibl: Wien—Paris sans retour — das Leben des vergessenen Künstlers Erich Schmid. In: Osterreichisches Biographisches Lexikon (OBL). Auf: https://www.oeaw.ac.at/acdh/oebl/biographien-des-monats/2019/biographiedes-monats-jaenner-2019 Alisa Stadler Aus meinem Leben Im Nachlass von Alisa Stadler, der in der Osterreichischen Exilbibliothek im Literaturhaus Wien aufbewahrt wird, finden sich mehrere autobiografische Skizzen, die sich teilweise überschneiden, aber auch Unterschiedliches erzählen. Der vorliegende Text ist daher eine Zusammenführung von fünf verschiedenen Typoskripten, in denen Alisa Stadler auf ihr Leben zurückblickt. 17 glückliche Jahre verbrachte ich in Israel. Warum ich mein Land im Jahr 1955 verließ? Manchmal greifen Schicksalsschläge bestimmend in das Leben eines Menschen ein und werfen ihn aus der Bahn. Nun lebe ich in Österreich und bemühe mich, den Menschen das Judentum näher zu bringen. Ein schwieriges Unterfangen! Ein befreundeter Geistlicher, der auch im ORF tätig war und mit dem ich auf Vortragstourneen ging, sagte mir, als ich ihn um seine Unterstützung für Rundfunklesungen bat: „Sie haben zwei Handikaps: Erstens sind Sie eine Frau und zweitens eine Jüdin.“ Seither habe ich schr viel Erfahrungen mit verschiedensten Auditorien gesammelt. Bei nachfolgender Diskussion tritt immer der tief eingewurzelte Antisemitismus an die Oberfläche. Das erstaunlichste ist, daß besonders ältere Zuhörer empört jedes Wissen um die systematische Vernichtung der Juden im Zweiten Weltkrieg ablehnen. Die einzige Rechtfertigung für eine israelische Jüdin in Österreich zu leben ist, den Leuten das Judentum und die Sehnsucht der Juden nach dem Land ihrer Träume verständlich zu machen. Wenige Monate nach Ausbruch des ersten Weltkrieges wurde ich geboren — mein Vater war bereits an der russischen Front. Meine 40 _ZWISCHENWELT Auf der sich derzeit in Arbeit befindlichen Messingtafel, die am Wohnhaus Webgasse 28 in Mariahilf angebracht und am 19.10.2023 um 16:30 enthüllt werden wird, steht: In Erinnerung an Erich Schmid Maler 14.10.1908 — 30.12.1984 Sein Malstil bewegt sich zwischen Expressionismus und Surrealismus Schmids Werke vor 1938 sind verschollen Nach Flucht und Verfolgung 1940 in Paris verhaftet, entkam er 1943 dem Transport in ein Vernichtungslager. 1944 schloss er sich der Résistance an, nahm an der Befreiung Italiens teil. Danach lebte er als Maler in Paris, wo er auch starb. Hier wohnten auch Hermann Schmid, geb.1.10.1869 Pauline Schmid, geb. 1.10.1878 Wolfgang Peter Schmid, geb.19.12.1918 Alle deportiert nach Riga am 6.12.1942 Haben nicht überlebt Gestiftet von: Familie Pfeilstöcker Eltern hatten im Jahr 1914 geheiratet und sich in Perchtoldsdorf bei Wien niedergelassen. Dort wohnten meine Mutter und ich, zumindest zeitweise. Wir waren mittellos und daher meist bei Verwandten eingeladen. In Hamburg — von dort kam meine Mutter, oder in Eisenstadt bei der Familie Wolf, der mein Vater entstammte. Obwohl ich von den verschiedenen Onkeln und Tanten sehr verwöhnt wurde, muß mich doch die Heimatlosigkeit schr gestört haben, denn ich fragte meine Mutter: „Warum ziehen wir immer hin und her, laß uns jetzt hierbleiben!“ Damals war ich drei Jahre und wir feierten meinen Geburtstag daheim in Perchtoldsdorf — ich bekam zwei Gugelhupfe — der Tag ist mir noch genau in Erinnerung. Im Sommer 1920 kam mein Vater aus der sibirischen Kriegsgefangenschaft heim und das erste, was ich von dem fremden schwarzbärtigen Mann hörte, war: „Sie scheint ein schr schlimmes Kind zu sein.“ Nun, mein Onkel, der Sandor Wolf, war mir viel lieber. Ich kam schon mit fünf Jahren in die Volksschule und war dort die einzige Jüdin. Das wurde mir erst bewußt, als ich während der Religionsstunde die Klasse verlassen mußte. Auch die evangelischen Juden, wie ich sie nannte, wurden hinausgeschickt. Doch nach dieser Stunde wurde nur ich von den Buben verprügelt und zwar mit den Worten: „Du bist a Jüdin, der Herr Pfarrer hat gsagt, du kommst in d’Höll!“ Das war mir gar nicht angenehm und ich fragte meine Mutter, ob ich wirklich Jüdin sei. Ich war eine! Meine Eltern stammten aus streng religiösem Haus, doch sie hielten sich nicht an orthodoxe jüdische Gesetze und sprachen