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in das Land, als sie sahen, daß die jüdischen Einwanderer eine fruchtbare Oase daraus gemacht hatten. Im Dezember 1938 fuhr ich zum ersten Mal nach Jerusalem, um im Funkhaus Verbindung mit dem Leiter der Hebräischen Abteilung aufzunehmen. Natürlich wollte ich auch etwas von dieser wunderbaren Stadt schen. Ich kam zur Klagemauer — Riesenquadern in einem engen Gäßschen — davor standen betende Menschen und steckten kleine Briefchen in die Steinritzen. Es war erschütternd zu schen, wie diese tief gläubigen Menschen ihr Herz vor der Mauer ihres zerstörten Heiligtums ausschütteten. Ich wollte weitergehen und einen Blick auf den Tempelplatz werfen. Doch da stand ein jordanischer Legionär, setzte mir das Gewehr an die Brust und knurrte: „Keinen Schritt weiter!“ „Ich möchte nur den Felsendom schen — gar nicht hineingehen“, bat ich ihn. Das Gewehr war erbarmungslos auf mich gerichtet und ich zog enttäuscht wieder ab. Nun zurück nach Tiberias mit seinen Schlangen, Skorpionen und Mäusen, die die Lieblingspuppe der Ruth bis auf den Kopf verzehrt hatten. Wir blieben nur eineinhalb Jahre dort, nach der Geburt meiner zweiten Tochter „Noomi“, übersiedelten wir nach Haifa. Dort erhielt mein Mann eine Krankenkassenstelle — und ich lernte eine wunderbare Reinhardtschauspielerin, die Berlinerin Hertha Wolf, kennen, die sich sogleich meiner annahm. Bald gründeten wir eine Theatergruppe und zogen an den Wochenenden im Land herum. Hertha war die Regisseurin und ich der Star — der Stern, meinem Namen entsprechend. Nach Ausbruch des Unabhängigkeitskrieges 1948 fuhr ich viel an die Front, um dort mit meinen Kollegen Kabarett zu machen. Ich werde nie vergessen, wie wir im Panzerwagen an die Front geführt wurden und wegen der glühenden Hitze die hinteren Türen aufmachten, um etwas Luft schöpfen zu können. Unsere Beine ließen wir hinausbaumeln, die vorbeipfeifenden Schüße gehörten zum Alltag. Sie wurden als etwas Unabänderliches hingenommen. Wie der Muslim sagt: „Inschallah“ — Wie Gott will! Im Radio Jerusalem, nunmehr „Kol Jisrael“, die Stimme Israels genannt, riet man mir, mich mit dem Alten Testament zu befassen. Das wäre äußerst wichtig für eine israelische Schauspielerin. Doch woher die Zeit nehmen? Ich führte den Haushalt recht und schlecht, gab Hebräischstunden für Einwanderer und spielte an den Wochenenden Theater. Ich hatte nie eine Beziehung zur Bibel gehabt. Ich sah nur wie schr sich meine Töchter in der Schule damit plagten. Das AT wird in jeder Schulstufe bis zur Matura immer aufs neue als Hauptgegenstand durchgenommen. Man erfährt darin nicht nur die Religion des Volkes, sondern auch seine Kultur und Geschichte. Übrigens Ruth wollte mit 15 Jahren katholisch werden. Wir waren mit dem italienischen Konsul in Haifa befreundet und als sie einmal mit ihm zur Mitternachtsmette ging, erklärte sie mir: „Ich will katholisch werden!“ — „Du bist doch Israelin.“ — „Das macht doch nichts, ich kann doch katholische Israelin sein.“ Da ich keinen Einwand erhob, vergaß sie diesen Wunsch. Die Zeiten wurden immer schwieriger und mein Mann beschloß, in die USA auszuwandern, seine Mutter und Schwester lebten in New York. Weder die Kinder noch ich wollten Israel verlassen. Im Herbst 1954 fuhr er nach N.Y., und ich mußte mir auf sein Geheiß ein Visum besorgen, um mit Noomi nachzukommen. Ruth hatte gleich nach der Matura geheiratet und studierte Musik. Ich dachte nicht daran, ihm zu folgen, ich wollte mich bereits seit Jahren scheiden lassen. Doch ohne Zustimmung des Mannes ist das in Israel unmöglich. Ich bekam für Noomi, die nicht maturieren wollte, ein Stipendium in einer Landwirtschaftsschule - seit 42 _ ZWISCHENWELT jeher ihr Traum. Doch im Jänner 1955 starb Noomi plötzlich an Nierenversagen, am Abend vorher hatte sie noch fröhlich an Volkstänzen teilgenommen. Die Welt brach für mich zusammen. Meine Eltern mußten aus England kommen und sie brachten mich nach Österreich. Mein Vater hatte seinen Lackbetrieb zurückbekommen, und dort sollte ich arbeiten, bis ich wieder nach Israel zurück und auf eigenen Füßen stehen könnte. Einige Monate später starb meine Mutter, mein alter Vater übersiedelte nach Wien, ich mußte bei ihm bleiben und die Firma führen. Als ein israelischer Regisseur nach Wien kam und in der Tribüne „Romanoff und Julia“ von Ustinov inszenierte, spielte ich drei Monate en suite im Kellertheater, und das Leben erschien mir wieder lebenswerter. Tagsüber arbeitete ich in Liesing in meines Vaters Betrieb. Später versuchte ich im ORF zu arbeiten, das war aber nur möglich, wenn ich eigene Texte las, und so fing ich an Bibeltexte zu übersetzen: Die Psalmen, das Hohelied, Ruth etc. Und ich las sowohl diese als auch Gedichte hebräischer Autoren, die ich ins Deutsche übertragen hatte. Einzelne Übersetzungen wurden in Anthologien und Zeitschriften gedruckt und im Jahr 1986 kam mein erstes Buch heraus: „Die Berge tanzten“, es enthält sämtliche Psalmen, und ich war dem Herold-Verlag schr dankbar, denn diese Psalmen moderten schon seit zehn Jahren in meiner Schublade. Ein Jahr danach erschien ein Buch bei Herder über Fröhliches und Besinnliches aus dem Talmud und im Vorjahr „Wie schön sind deine Zelte, Jakob“ von Amichai in meiner Übertragung bei Piper, dort sollte auch das nächste Buch „Die Welt ist ein Zimmer“ von demselben israelischen Dichter erscheinen. Mir liegt viel daran, hebräische Lyrik zu übersetzen und sie dann auch vorzutragen. Wobei ich mich immer der Illusion hingebe, daß ich durch meine Lesungen und Referate helfen kann, den Antisemitismus abzubauen. Die nun folgende autobiografische Skizze unterscheidet sich von den vorhergehenden insofern, als sie nicht allein die Vergangenheit, sondern auch das zum Zeitpunkt der Niederschrift gegenwärtige Israel in den Blick nimmt und darüber reflektiert, wie Israel nun aus der Perspektive einer Touristin anders wahrgenommen wird. Ich möchte vorausschicken, daß ich 17 Jahre in Israel gelebt habe von 1938 bis 1955 und dann durch die Umstände in meine frühere Heimat Österreich zurückverschlagen wurde. Seit 1955 fahre ich jedes zweite Jahr nach Israel und habe während meines Urlaubs Gelegenheit, viel mehr vom Land zu schen, als ich damals in den 17 Jahren meines ständigen Aufenthaltes sehen konnte. Nicht weiter verwunderlich, war ich nicht nur als Hausfrau und Mutter zweier Kinder beschäftigt, ich gab auch Ivrithstunden und trat zweimal wöchentlich als Schauspielerin auf, was natürlich auch Probenarbeit verursachte, mit einem Wort, ich war vollbeschäftigt. Geld für Urlaub hatte ich nicht, so waren meine Kenntnisse auf Tiberias, wo ich mein erstes palästinensisches Jahr verbrachte und auf Haifa, wo ich bis 1955 lebte, beschränkt. In der Kriegszeit nach der Staatsgründung wurde ich zwar Mitglied eines Frontkabaretts, das im Norden des Landes militärische Stellungen besuchte und dort seine Vorstellungen gab, aber zu diesen Vorstellungen wurden wir mit einem Panzerauto hingeführt, sodaß auch dadurch meine Landeskenntnisse nicht erweitert wurden. Einmal als ich zum Rundfunk nach Jerusalem fuhr, hatte ich ein paar Stunden Zeit und ging in die Altstadt und