OCR
Zivilcourage zu. Keineswegs apathisch, sondern voll kämpferischer Zuversicht blickt Mark Siegelberg in die Zukunft. Mit seinen beiden Romanen gibt er kommenden Generationen die stärksten Waffen mit, die ihm zu Verfügung stehen: Das Wissen um die Vergangenheit. Eine aufmerksame Wachsamkeit, damit sich nicht wiederholt, was sich nicht wiederholen darf. Und einen unerschütterlichen Glauben an das Gute im Menschen - an einzelne Individuen, die sich auch unter Lebensgefahr nicht davon abhalten lassen, sich für andere einzusetzen. Seine beiden Romane sind in jeder Hinsicht höchst lesenswert und zu empfehlen. Zu danken ist Dr. Wilfried Seywald, der das literarische Werk Mark Siegelbergs wiederentdeckt und seinen Nachlass gesichert hat, sowie Dr. Tomas Sommadossi, der die beiden Romane in der vorliegenden Ausgabe im Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft neu herausgegeben hat. Astrid Nischkauer Mark Siegelberg: Schutzhaftjude Nr. 13877. Ein Mann namens Brandt. Zwei antifaschistische Romane aus dem Exil und Nachexil. Hg. von Tomas Sommadossi. Wien: Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft 2022. 567 S. Euro 30,Ein Kriminalroman mit jüdischer Thematik, kenntnisreich mit schwarzem Humor von einer in Südafrika aufgewachsenen deutschen Jüdin geschrieben, findet sich ähnlich wohl kaum auf dem deutschen Büchermarkt. Der Titel: „Die kunstvolle Entsorgung meiner Familie“, lässt einen biografischen Hintergrund vermuten, ist jedoch nur der Schlüssel für eine recht amüsant zu lesende Gaunergeschichte mit überraschenden Pointen über einen unerwarteten Erbfall mit dokumentarischem Hintergrund für einen breit gefächerten Leserkreis. Ruth Weiss ist keine junge, unbekannte Autorin: Beim Verlag Edition AV sind allein seit 2017 sieben Bände der jüdischen Familiensaga „Die Löws“ erschienen (zuvor Veröffentlichungen beim trafo-Verlag Berlin), ergänzt durch weitere ebenso spannend zu lesende Romane um die Geschichte des jüdischen Volkes und die Vorgänge auf dem afrikanischen Kontinent, wie es im Klappentext des vorliegenden Buches heißt. Auch die neue moderne Story, vom Protoganisten lakonisch selbst als detailreiche Lebensgeschichte erzählt, wurde geschrieben von einer inzwischen über 90-jährigen Autorin auf Basis ihrer nicht alltäglichen Lebenserfahrungen. Die 1924 in Fürth als Ruth Löwenthal geborene deutsche Jüdin wuchs in Südafrika auf, nachdem die Mutter mit ihr und der Schwester dem bereits emigrierten Vater nach Südafrika gefolgt waren, wo die Familie ein Lebensmittelgeschäft betrieb. Sie besuchte die High School und arbeitete zunächst als Angestellte in einem Rechtsanwaltsbüro. Nach der Heirat 1956 mit dem Journalisten und Verleger Hans Leopold Weiss war sie vier Jahre in dessen Buchhandlung tätig und danach weitere vier Jahre für ein Versicherungsbüro. Einen ersten Emanzipationsschritt vollzog sie mit dem Wechsel zum Verlag „Elek Books“ in London, ging aber nach zwei Jahren wieder zurück nach Südafrika. Neben ihrer erneuten Tätigkeit bei einer Versicherung war sie wieder Assistentin ihres Mannes, der als Korrespondent für deutsche Medien schrieb (teilweise unter Nutzung ihrer Ideen und Vorlagen), ihr jedoch von einer literarischen Kariere abriet. Doch 1960 hatte sie endlich so viel Selbstbewusstsein, um zumindest eine selbstständige journalistische Karriere zu wagen, die rasch eine internationale Resonanz erfuhr. Nach zwei Jahren als Business Editor beim „Newscheck“ in Johannesburg ging sie 1965 zur „Financial Mail“, war von 1966 bis 1968 für diese in Salisbury (1982 umbenannt in Harare, Hauptstadt von Simbabwe) als Büroleiterin tätig. Sie ging aber wieder nach London zum „Guardian“. Als Wirtschaftsjournalistin und Mitarbeiterin südafrikanischer, sambesischer sowie englischer Medien setzte sie sich fortan nachdrücklich gegen die Entrechtung der schwarzen Bevölkerung ein. Auch als Afrika-Expertin der Deutschen Welle 1975 bis 1978 in Köln, wo sie mit ihrem 1966 geborenen Sohn als Alleinerziehende lebte, war ihr Schwerpunkt stets die Verteidigung des legitimen Anspruchs der schwarzen Bevölkerung Afrikas auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Nach ihren persönlichen Erfahrungen mit Verfolgung in Nazi-Deutschland konnte sie den unmenschlichen Rassismus, besonders in Südafrika, einfach nicht widerspruchslos ertragen. „Auch wenn man keine luxuriöse Existenz führte, wurde man als Weifge automatisch zum Teil des „Systems“. Es gab also nur Opposition und am Ende ein neues Exil. „Nachdem ich später aus Rhodesien ausgewiesen wurde, glaubte ich nie wieder Wurzeln schlagen zu können - vielleicht ist mir mein Judentum aus diesem Grunde wichtig“, bekannte sie später in ihrer Autobiografie. Es folgten vier Jahre Freelance in London, wo sie u. a. an der Gründung der Journalistengruppe „Link-up“ beteiligt war. Doch ab 1980 begleitete sie aktiv die Unabhängigkeitsreformen Zimbabwes und organisierte mit Unterstützung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn ein erstes Medienseminar für das neue Informationsministerium. 1982 zog sie mit ihrem Sohn sogar nach Harare um für den „Zimbabwe Mass Media Trust“ und als Ausbilderin für Wirtschaftsjournalisten tätig zu sein. In den folgenden Jahren übernahm sie zudem Aufträge als freie Journalistin, arbeitete an verschiedenen Büchern und Filmen, oft verbunden mit Vortragsreisen und Seminaren in Europa. Bemerkenswert war auch Ihr Engagement ab 1987 in Harare für das „Zimbabwe Institute for Souther Africa (Zisa)“ unter dem Dach von „Cold Comfort Farm Trust“, denn Zisa organisierte geheime Treffen zwischen Vertretern der Befreiungsbewegungen und weißen Südafrikanern zur Überwindung der Apartheid. Im Juni 1990 konnte Ruth Weiss daraufhin erstmals wieder seit 1966 Johannesburg besuchen. Doch 1992 entschied sie sich endgültig für einen Umzug nach England. In ihrer Autobiografie bilanzierte sie am Ende des Kapitels „Reisen in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“ gleichsam als Übergang zu einem neuen Lebensabschnitt „Meine Liebe zu Afrika blieb uneingeschränkt, genau wie mein Interesse. Ich schrieb in jenem Jahrzehnt mehr Bücher denn je: Über Frauen und Kinder, über Apartheid, über die Wirtschaft, arbeitete an einem Frauen-Apartheid-Film mit dem Titel: „Weint nicht, wenn sie unsere Hütten abreißen“ für den WDR, half beim „Southern African Economist“, nahm an internationalen Konferenzen teil und entwickelte langsam meine eigenen Ruhestandspläne — die doch ganz anders wurden“. (S.244). Auf der Isle of Wight wollte die inzwischen 68-Jährige fortan ihren „Ruhestand“ in der Nähe ihres Sohnes als freie Journalistin und Buchautorin verbringen. Aber dessen überraschender Umzug 2002 nach Dänemark führte zu einem erneuten Problem, dahin wollte sie ihm wegen der Sprachbarriere nicht folgen. Bis 2015 lebte sie deshalb in Lüdinghausen im Münsterland, bis sie letztendlich doch zu der kleinen Familie ihres Sohnes nach Dänemark zog. Ihre 1994 erstmals erschienene Autobiografie „Wege im harten Gras. Erinnerungen an Deutschland, Südafrika und England“ mit einem Nachwort von Nadine Gordimer SEPTEMBER 2023 79