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Museum in Brzezany (Berezany) geht es hauptsächlich um die „unvermeidliche Glorifizierung der nationalistischen Milizen von Petljura und Bandera“ (S. 59); in Stryj kommt er zur Einsicht, Stepan Bandera stehe jetzt ,,fiir einen Helden, der in Kiew und der gesamten Ukraine verehrt wird und in dessen Namen man begonnen hat, die russischsprachige Bevélkerung des Donbass zu terrorisieren“ (S. 69); in der Exposition des regionalgeschichtlichen Museums von Truskawiec werde absichtlich verschwiegen, dass „unter den Mördern und den Hilfstruppen der Gestapo speziell von den Deutschen ausgebildete ukrainische Milizionäre waren“ (S. 93); in Jesseniv, nicht weit von Brody, wurde ein Ehrenmal für die SS-Division „Galizien“ aufgestellt, und „keine internationale Institution war in der Lage, es zu verhindern“ (S. 124); am Ortseingang von Kossow (Kossiw) wird man „von einer doppelten Beflaggung empfangen: der offiziellen blau-gelben Fahne der Ukraine und der schwarz-roten Flagge der UPA (Ukrainische Aufstandsarmee), deren Farbsymbolik auf die nazistische „Blut- und Boden“-Ideologie anspielt. Wie in vielen Städten der Region gehört der Bürgermeister von Kossow der weit rechtsstehenden Partei „Swoboda“ an“ (S. 140) und usw. Überall sieht er nur solche belastende Zeichen, die die Ukrainer als radikale Nationalisten und „Faschisten“ zu erkennen geben. Wenn Sagnol von den Sprachen berichtet, die heute in Lwiw gesprochen werden, — das sind Ukrainisch, Russisch und Polnisch — so stellt er mit Bedauern fest: „Von diesen dreien ist das Ukrainische die beherrschende und das Russische die unterdrückte Sprache“ (S. 39). Die „radikale Ukrainisierung“ in Czernowitz „soll vergessen machen, dass die Stadt einst drei-, wenn nicht viersprachig war“ (S. 170). Im größeren Essay „Rückkehr nach Leopolis“ geht es über das polnische Lwöw der Zwischenkriegszeit. An einer Stelle beschreibt der Autor den eleganten Lebensstil der damaligen Stadtbürger und bemerkt dazu: „Niemand hätte sich zu dieser Zeit ausmalen können, dass die Stadt ukrainisch werden könnte, und wäre die Rote Armee nicht zweimal, 1939 und dann noch einmal 1944, in Lwöw einmarschiert, dann hätten die Ukrainer niemals die Kontrolle über diese polnische Stadt übernehmen können“ (S. 188). Daraus folgt schlussendlich, dass die Ukrainer selbst unfähig seien, ihren eigenen Staat zu bilden, ja sogar eine einzige Stadt erfolgreich zu führen, sie sind doch, wie die Putinsche Propaganda behauptet, eine „künstlich“ von Österreichern geschaffene Nation, die offensichtlich nur unter einer fremden, bevorzugt russischen Führung existieren kann. Nicht weniger verwundert auch die nächste Passage wenn der Autor an der Wand eines Lwiwer Kaffeehauses die Signatur „Tov. klub rusynok u Lvovi“ (Verein „Klub ruthenischer Frauen von Lwiw‘“) sieht und daraus eine merkwürdige Schlussfolgerung zieht, „dass selbst in Galizien das Russische und das Ukrainische als gleichberechtigte Sprachen der ruthenischen Bevölkerung betrachtet wurden und die heutige Sprachpolitik, die das Russische unterdrückt und es als „Fremdsprache“ behandelt, ganz und gar willkürlich ist“ (S. 201). Offensichtlich verwechselt der Autor hier die Begriffe „ruthenisch“ (die ältere, in der k. u. k.-Monarchie geläufige Bezeichnung für ukrainisch) und „russisch“. Als nächste drängt sich eine begründete Frage auf: wieso sprechen die ukrainischen Frauen in Lwiw der 1920er Jahre aufeinmal Russisch? Und woher kommt seine These von der standigen Unterdriickung der russischen Sprache in der Ukraine? Sie ist doch bekanntlich ftir Russland einer der Gründe gewesen, die Ukraine zu überfallen, um die „russischsprachige Bevölkerung“ vor den ukrainischen „Faschisten“ zu schützen. Solche und ähnliche Passagen lese ich mit gemischten Gefühlen. Einerseits erfassen mich Schmerz und Trauer um die unzähligen jüdischen Menschen, die während der Shoah in Galizien unschuldig ermordet wurden. Hier sind Sagnols Beschuldigungen verständlich, das kann man nicht mehr wiedergutmachen — die zeitweilige Kollaboration der Ukrainer mit den deutschen Nazis beweist der Autor aufgrund authentischer Zeugnisse und historischer Dokumente. Andererseits vermisse ich bei ihm auch die kleinste Empathie mit dem Volk, das allein im letzten Jahrhundert durch so furchtbare historische Kataklysmen gehen musste wie den von den Bolschewiki angeziindeten grausamen Bürgerkrieg der 1918-1920 Jahre, den durch den Diktator Stalin und seine Schergen organisierten Holodomor (Hungersnot), der nicht nur die gesamte ukrainische Bauernschaft, sondern auch jedes Zeichen des Widerstands für Jahrzehnte getilgt hatte, den Zweiten Weltkrieg, dessen Schauplatz hauptsächlich die Ukraine war und der dem ukrainischen Volk Millionen Opfer gekostet hat, die Katastrophe von Tschernobyl und schließlich den heutigen, von Russland entfesselten verbrecherischen Krieg gegen die Ukraine, in dem ihre Soldaten mit dem Preis von tausenden und tausenden Leben ganz Europa vor den angeblich von hoher Kultur geprägten wilden russischen Horden verteidigen. Natürlich war der Zweite Weltkrieg in der Tat ein schwarzes Kapitel in den Beziehungen zwischen den Ukrainern und den Juden, denen es durch historische Umstande beschieden war, immer dicht nebeneinander und miteinander zu leben. Die Ukrainer waren in dieser Hinsicht nicht besser und nicht schlechter als andere europäische Völker — überall in Europa gab es seit Jahrhunderten antisemitische Strömungen, wenn wir an mittelalterliche Vertreibungen der Juden aus Deutschland oder Spanien, an unzählige Pogrome in Russland, an den Fall Dreifuß in Frankreich und besonders an die „Endlösung der jüdischen Frage“ im Dritten Reich denken. Das waren Handlungen, für die wir uns als Europäer heute schämen und um Vergebung bitten müssen. Sicher gab es während des Zweiten Weltkrieges Kollaborateure mit den Deutschen auch unter den Ukrainern in Galizien, und manchmal haben sie sich an der Misshandlung und Ermordung der Juden unter dem deutschen Kommando in organisierter Form wie der SS-Division „Galizien“ oder dem Bataillon „Nachtigall“ beteiligt. Man muss aber dieses verhängnisvolle Bündnis der Ukrainer mit dem Dritten Reich im Kontext der ukrainischen Geschichte sehen. Das Land Ukraine existierte damals nicht als politisches Subjekt, es wurde vom kommunistischen Regime unterjocht, das mit unerhörter Grausamkeit die Bevölkerung der neubesetzten westukrainischen Gebiete drangsalierte, ganze Familien nach Sibirien verschleppte und die des bürgerlichen Nationalismus Verdächtigte - und das waren vor allem ukrainische Intellektuelle — vor Ort erschoss und massakrierte. Um sich vor dem unmenschlichen kommunistischen Regime zu retten, suchten die Ukrainer damals Unterstützung bei den Deutschen. Idealistisch veranlagte junge ukrainische Patrioten, die den deutschen Einheiten wie der SS-Division „Galizien“ oder dem Bataillon „Nachtigall“ beitraten, waren durch die Nazi-Propaganda tückisch betrogen und später selber zu Opfern Hitlers geworden, der ihnen zuerst die Unabhängigkeit ihres Landes versprach, später aber die nationale ukrainische Bewegung zu ersticken versuchte. Der militärische Bund der betrogenen galizischen Ukrainer mit den Nazis war kurzfristig und hat sich als ein tragischer Irrtum herausgestellt. Daher richteten sie sehr bald ihre Waffen nicht nur gegen die Sowjets, sondern auch gegen die Deutschen. Ja, die Figur des Leiters der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) Stepan Bandera ist historisch gesehen recht zwielichtig und stark belastet, er verbrachte aber fast alle Kriegsjahre als Haftling im Berliner Zentralgefangnis, spater im KZ-Lager Sachsenhausen. An der Spitze der ukrainischen Militäreinheiten standen in der Regel Nazi-Offiziere. Dass die Ukrainer ihm heute Denkmäler aufstellen oder Straßen nach ihm benennen, rechtfertigt keinesfalls seine antisemitischen Ansichten. Und doch ist er mit der Zeit zum Symbol des Kampfes gegen den in Russland wiedererstandenen Stalinismus geworden, der heute in schlimmsten Formen des verbrecherischen Putin-Regimes erscheint. Schließlich wurde Bandera 1959 von einem SEPTEMBER 2023 83