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Studien zur Geschichte der mdw — Universität für Musik und darstellende Kunst Wien Band 2. Wien: Eigenverlag 2023, 344 S. Studierenden und 36 Lehrenden. BRIEFE Peter Paul Wiplinger: Haslach (Be-)Denken. Wien: edition tarantel 2023, 216 S. Mit Beiträgen von Erich Fried, Gerald Grassl, Corinna Griesbach, Peter Gstettner, Ludmilla Leitner, Dominik Reisinger, Magdalena Pierzchalska, Arletta Szmorhun. Liebe Sonja Frank, als ich 1968 nach Wien kam, erfüllt von der radikalen Kritik am Bestehenden, schloss ich mich in kürzester Zeit einer Gruppe an, die sich damals Föderation Neue Linke nannte, FNL - wie Federation Nationale de Liberation, der algerische Befreiungskampf war noch immer sehr gegenwärtig. Diese Gruppe unterschied sich in bemerkenswerter Weise von der 1968erGruppe, die sich im heimatlichen Innsbruck gebildet hatte, sie bestand nämlich überwiegend aus den wach gewordenen Kindern der meist aus England nach Österreich zurückgekehrten Young Austrians, der Jugendorganisation des Austrian Centre in London, wo schon früh eine nationale Wiedergeburt Österreichs als Kampfziel formuliert wurde. Die Geschichte dieser Elterngeneration, deren Eltern wiederum vielfach Opfer des nationalsozialistischen Massenmords wurden, ist eine »große Geschichte« zwischen Kindertransport, Internment Camp, Deportation nach Kanada oder Australien, Eintritt in die alliierten Streitkräfte, schließlich die Rückkehr nach Österreich, um hier ein demokratisches Land aufzubauen, das seinen Bewohnern Arbeit, Hoffnung, und Gerechtigkeit bieten sollte. Sie wurden vielfach enttäuscht, prallten gegen eine Mauer ungebrochenen Antisemitismus, gerieten in den Zwiespalt zwischen den »Dagebliebenen« und dem Exil, doch prägten sie auch das kulturelle und geistige Leben des Landes in Verbindung mit anderen Re-Emigranten, man denke nur an das Theater der Courage, an das »Neue Iheater in der Scala« an die Intellektuellen-Zeitschrift »Osterreichisches Tagebuch«, an die Jugendbuchkultur, mit einem ganz neuen, rebellischen Geist, der nicht Unterwerfung, sondern Selbstständigkeit lehrte. Auch die Gründung und Entwicklung des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands wäre ohne die Mitwirkung von Re-Emigrant:innen nicht denkbar gewesen. Wenige jüdische Rückkehrer:innen konnten ähnlich einflussreiche Positionen und Anerkennungen erreichen, wie die jüngst Verstorbenen, Maria Dorothea Simon und Hannah Fischer 86 _ZWISCHENWELT (2003 Otto-Glöckel-Medaille der Stadt Wien). Ohne die Young Austria Re-Emigranten hätte sich in Wien nicht einmal ein kleines 1968erFlämmchen entzünden lassen. Das offizielle Österreich hat kulturell an die Stelle des Widerstandes in den letzten Jahren mehr und mehr die Erinnerungan den Wiener Aktionismus und eine Avantgarde, die es nicht gab, geschoben, die Verfolgten des Nationalsozialismus werden vielfach nur mehr als bedauernswerte Opfer ohne eigene Lebendigkeit und Moral gewürdigt. Sonja, du hast durch deine jahrzehntelange Arbeit des Sammelns, Interviewens in Zusammenarbeit mit deinem Mann Martin, mit Albert Hirl, mit Historiker:innen und sogar mit Politiker:innen — Du hast es immer wieder verstanden, andere in Deine Arbeit hineinzuziehen, einer großen Gruppe von Verfolgten ein Gesicht zu geben, und sei es nur ein Foto, die Aufzeichnung elementarer Lebensdaten und der wichtigsten Tätigkeiten, und damit den jungen Flüchtlingen vor dem Naziterror eine Beachtung erwiesen, die sie sich selbst oft nicht mehr erwiesen, waren doch ihre Zukunftsträume zerstoben, ihre politischen Ambitionen gescheitert, trotz all der Intelligenz, Geschicklichkeit und Ausdauer, die sie in hohem Maße besaßen. Liebe Sonja, Du gehörst wieder einer anderen Generation an als der, die ich im Kellerlokal der Föderation Neue Linke 1968 antraf. Du gehörst dem Jahrgang nach einer Zwischengeneration an, die nicht da und nicht dort ganz dazugehört. Du musstest daher selbst eine Orientierung, eine Lebensaufgabe finden, und ich bin sehr stolz darauf, dass ich dabei eine kleine Rolle spielen konnte, durch einige wenige Ratschläge und einen gewissen Rückhalt, den ich durch die Theodor Kramer Gesellschaft geben konnte - als ein Verlag, Kooperationspartner, derauch dann noch da war, wenn sich andere Organisationen zurückzogen. Eine ähnliche, produktivere Rolle, spielte Robert Streibel als Leiter der VHS Hietzing. Ich weiß nicht, wenn ich damit fortfahre, kann mir nur der Lapsus passieren, jemanden ganz wichtigen nicht zu nennen. Bleibe ich also bescheiden bei mir selbst. Ich glaube, liebe Sonja, deren vielfältige Verwandtschaftsverhältnisse ich nie ganz richtig memoriert habe, dass es von großer Bedeutung ist, dass du immer auch nach eigener künstlerischer Kreativität gesucht hast, dass du dieses Kreative mit dem Sachlichen verbinden konntest, dass der Seitenblick auf Kunst und Dichtung nie wegprofessionalisiert wurde. Das hat zur Lebendigkeit deiner Projekte beigetragen, die heute als ein Monument für eine Gruppe von Menschen dastehen, eine Gruppe mit einer eigenen Geschichte und einer ganz großen Ausstrahlung, ohne die Wien ein trostloser Ort gewesen wäre. Liebe Sonja: Gratulation zum 60. Geburtstag. Gratulation zu Deinen Leistungen. Danke dafür, dass du da bist! Konstantin Konstantin Kaiser, Wien, 31. März 2023 Zu ZW 1-2/2023 Lieber Konstantin, Vortreflich und aufwühlend wie immer. Besonders habe ich mich gefreut über den Afghan-Bericht von Sabine Haupt. Bin selber im Bereich tätig und verzweifle an der Indifferenz aller Staaten, die das Land und bes. die Frauen schon aus ihrem Blick verbannt haben. Frau Wagenknechts Widerlichkeit erlebe ich in Deutschland fast tagtäglich. Du hast klare Worte gefunden. Neutralität (das gilt auch für die Schweiz) ist eine ausgesuchte Form von Feigheit, von Komplizenschaft, von Kollaboration. Zum Raub der 16°000 Kinder aus der Ukraine: Hier sind auch die SOS-Kinderdörfer involviert, die leider immer noch Spendenbitten versenden, in denen dies nicht aufgearbeitet wird. Dir viel Kraft und Gesundheit. Wo nimmst Du die her, das frage ich mich immer wieder. Und auch: Wer gibt Dir die Zeit, all das zu tun, was Du machst! Dir ganz liebe Grüße von Charles Charles Ofaire, 30.6.2023