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und Installationen in die Innenstadt. Wieder mit unserer Tochter unterwegs besuchten wir die Installation zu den Kindern der Ukraine. Eine Frau fiel uns im Gespräch mit jemandem auf, ich sprach sie an. Sie, Fotografin aus der Ukraine, fragte mich nach einem kurzen Austausch, ob sie mich zu meinen Einschätzungen als Österreicherin interviewen dürfe. Ich sagte auf Englisch: Es tut mir leid, dass Österreich nicht stärker hilft, dass Österreich noch immer Geschäfte mit Russland macht, dass Österreich damit den Angriffskrieg mitfinanziert, dass es in Österreich viel russische Propaganda gibt, dass ich glaube, dass es in Österreich generell an Widerstandskultur mangelt, dass wir aufgrund des nicht geleisteten militärischen Widerstands gegen den Einmarsch der Soldaten Nazideutschlands falsche Schlussfolgerungen verinnerlicht haben, dass ich in den Tagen nach dem 24.2.22 tatsächlich gehofft hatte, dass es Österreich diesmal ganz anders machen würde, dass ich dachte, es wäre an der Spitze der Helfenden. Dass Österreich vom Widerstand der Frauen und Männer der Ukraine lernen sollte. Konstantin Kaiser erinnerte mich später an Kaiser Franz Josephs „An meine Völker“ zum Ersten Weltkrieg: Kämpfen sollten vor allem die „Völker“ im Osten und Süden, nicht die Kernösterreicher. „Das geht viel tiefer“, sagt er. Die Fotografin erzählte mir, dass UkrainerInnen nächtens durch die Stadt Wien gehen, um die „Z“ zu übermalen, mit denen Gebäude, Geschäfte, ukrainische Solidaritätszeichen, ukrainische Installationen und Autos mit ukrainischen Kennzeichen beschmiert wurden. Wiederholt hätten sich die Inhaber von Geschäften froh über das beherzte Vorgehen der UkrainerInnen gezeigt. Ein Täter der Kriegsverherrlichung konnte sogar ausgeforscht werden. Für die Verwendung des Symbols könne er allerdings nicht belangt werden, dafür fehle in Österreich noch immer die rechtliche Grundlage, so das mit dem Fall befasste Gericht. Zum Abschied empfahl die Fotografin das Buch von Peter Pomerantsev „Nothing Is True and Everything Is Possible“. Sie hätte gedacht, schon alles über die Funktionsweisen der russischen Propaganda zu wissen, doch nein. Das Buch sei ein wahres Aufklärungswerk. Nachts sah ich einen „Kollegen“ in euronews oder France 24: Ein Mann, um die vierzig Jahre, sagte im Interview am 24.2.23 in Großbritannien: We should learn from the ukrainian resistance. 94 _ ZWISCHENWELT Inzwischen ist es Sommer 2023 geworden und „Z“ ist in Österreich noch immer ein bloßer Buchstabe des Alphabets, noch immer nicht im Symbole-Gesetz gelistet, und das, obwohl mit Deutschland ein Land im gleichen Sprachraum Vorbild sein könnte. In Deutschland informierte das Bundesinnenministerium bereits im März 2022, dass strafrechtliche Konsequenzen für die Verwendung des „Z“-Symbols drohen. Grundlage ist Paragraf 140 des Strafgesetzbuches, das besagt, dass die Billigung eines Delikts eine Straftat ist. Strafmaß: bis zu drei Jahre Haft. Nachzulesen ist dies im „Merkur“ des 17. Juli 2023 in einem Bericht über Österreichs Säumnis‘’, nachdem in der Seestadt in Wien gleich mehrere Autos mit ukrainischen Kennzeichen mit dem Symbol des russischen Vernichtungskrieges „Z“ angesprüht oder zerkratzt worden waren. Das „Z“ drückt eine unmittelbare Bedrohung aus und genau so fühlen sich die Betroffenen: Sie haben Angst, sind schockiert, können nicht begreifen, warum das hier, so weit weg von Russland, möglich ist. In meinem Auto, einem kleinen alten Skoda, liegt seit einer Spendenabgabe beim UkraineZentrum im Frühjahr 2022 auf der Hutablage ein schönes weißes Kapperl mit einem blaugelben Herz. Es ist das Ukraine-Kapperl meiner Tochter und ihr Lieblingskapperl. Eines Tages im Herbst 2022: Zigarettenstummel und Müll aufder Windschutzscheibe. Es sah grauslich aus und ich spürte Ekel — sogleich muss man sich dagegen stemmen, dass der Ekel nicht in den eigenen Körper kriecht. Mir war das noch nie passiert, ich lebe seit acht Jahren in Wien. Zufall? Kein Zufall war, dass ich für einen Moment überlegte, das Kapperl aus dem Auto zu nehmen. Oder es abzudecken. Oder umzudrehen. Kofferraum auf. Kofferraum zu. Gegenüber die Mauer eines Geschäfts. (Jüdische Geschäfte in unserer Straße. Tschiks und Dreck reichen, um mich zu verstecken, bin ich blöd?) Das Kapperl blieb, aber ich weiß auch: Ich würde mich nicht trauen, alleine einen ukrainischen Informationsstand zu betreuen. Im Brückenbauerland Österreich! Sehr bald nach dem 24.2.22 hat mich meine Tochter gefragt: „Was passiert, wenn Putin gewinnt?“ „Er wird nicht gewinnen.“ „Aber was passiert, wenn er gewinnt? Kommen dann Raketen?“ „Nein. Sie brauchen keine Raketen. Wenn Putin gewinnt, gewinnt die FPÖ. Dann macht Österreich mit Ungarn und Serbien eine Diktatur.“ Sie ist acht und hat nicht gefragt: „Und was passiert dann?“ Auch nicht: „Und was machen Papa und Du dann?“ Sie weiß nur, dass wir nicht FPÖ wählen (den Kurz fand sie eine Zeitlang fesch), sie kann Selenskyj von Putin unterscheiden - Selenskyj nennt sie: „der gute Präsident“ -, sie weiß, dass ich mit meiner besten Freundin nach Prag reisen und Petr Pavel hören will und ihn viel besser finde als den österreichischen Präsidenten, aber wie Österreichs Demokratie mit dem ukrainischen Widerstand zusammenhängt, kann sie sich schon alleine deshalb nicht vorstellen, weil sie noch nie in der Ukraine war und die Ukraine weit weg ist, obwohl die Distanz zwischen Lwiw und Wien mit knapp 800 Kilometer der von Dallein, wo ihre Oma wohnt, nach Bregenz entspricht, wenn man bloß 200 Kilometer dazugibt. Gerade war ein Mädchen, das sie kennt, von den Ferien auf einer Alm im Montafon zurückgekommen. Aber was ein Kind immer versteht, ist der Ton in der Stimme: Es ist ernst. Sie ist übrigens cool. In der Schule fragte sie immer wieder, zwischendurch, beim Spielen oder im Garten: Bist Du für oder gegen die Ukraine? Und wenn dann ein - „die Ukrainer haben ein Auto nicht parken lassen!“ oder „die haben eine Autotür kaputt gemacht!“ (von der FPÖ hochgeschaukelter und verdrehter Vorfall aus der Wiener Innenstadt) kam, fragte sie nach und wir redeten. Die Mehrheit hilft zur Ukraine, sagte sie. Der, der „für beide“ sagte, hat inzwischen gesagt, für Putin ist er doch nicht. „Bist Du für oder gegen die Ukraine?“ - Eigentlich sollte ich mich wie mein Kind trauen, diese Frage in Gesprächen zu stellen. Mai 2023 Ich muss wieder hin, ich muss meinen Beitrag leisten Georg Jachan Georg Jachan, der Obmann des Vereins für weltweite Nothilfe, ist in Gföhl ein bunter Hund. Jeder weiß, wo er steht. Auf den Verein war ich ein halbes Jahr zuvor gestoßen und habe mich gefreut, denn ich wusste nicht, wer — Monate nach der Totalinvasion — im Waldviertel noch Hilfstransporte durchführt. Warum organisiert die österreichische Regierung nicht kontinuierliche Hilfe für die Ukraine gemeinsam mit der Bevölkerung in Österreich? Sie pflegt doch Österreichs Selbstbild des großen humanitären Helferlandes, das gerade deshalb so stark humanitär hülfe, weil es neutral ist! Für Weihnachten initiierte Jachan eine Christkindlpackerlaktion für die Kinder im Donbass. Ich brachte ihm eine Autoladung, bevor mein Mann, unsere Tochter und ich auf Weihnachtsferien nach