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der UNESCO, ihn für die Evakuierung eines Kinderheims nahe Charkiw zu kontaktieren. Jachan sagte, das könne er nicht, er habe dort keine persönlichen Kontakte. „Wie hätte ich das machen sollen?“ Die Russen, wo waren sie genau, wohin ... Wo er persönliche Kontakte hat, wagt er sich weit vor: 115 Evakuierungen hat er mit seinen ukrainischen Freunden durchgeführt. Mit der Hilfe eines Bekannten vom britischen Geheimdienst holten sie Menschen aus dem russisch besetzten Cherson. Die Caritas wandte sich an Jachan, ob er die Leitung des Logistikzentrums in der Westukraine übernehmen wolle? Jachan lehnte ab. Seine Kontakte sind seine Freunde im Donbas und am Schwarzen Meer. Über Valerijs rumänische Freunde entstanden Verbindungen zu Chernivtzy. In Kirchen, Ställen, alten Lagern und Garagen richtete der Verein für weltweite Nothilfe Verteilerlager ein, Menschen aus Winnyzja, Sumy, Charkiw kamen und holten mit Minibussen Nachschub. Auf der Fahrt nach Odessa mussten sie umkehren, vor ihnen wurden Menschen erschossen. Jachan plante Bachmut zu beliefern. Dann ging auf dem Schlachtfeld alles schnell. Nach Bachmut ist er nie gekommen. Bald überall Minen. Das Wichtigste beim Fahren: „Nicht ausweichen!“ Lieber einen Unfall als an den verminten Straßenrand fahren. Minen - als wir am 20.5.23 das Gespräch führten, blockierte die ÖVP-Verteidigungsministerin gerade das Ersuchen der Ukraine um Hilfe bei der Entminung, um die der ukrainische Präsident schon ein Jahr zuvor gebeten hatte. Es gibt Länder, die schweres Gerät schicken, es gibt Länder, die ukrainische SoldatInnen und Freiwillige ausbilden (zB Albanien), es gibt Länder, die selbst SoldatInnen und Freiwillige schicken. Die ÖVP sagte, nichts geht, Österreich ist neutral, Österreichs Soldaten dürfen nicht gefährdet werden, würden mit österreichischer Hilfe entminte Wege von der ukrainischen Armee für „Angriffe“ verwendet werden, wäre Österreichs Neutralität verletzt. „Da geht es nicht um neutral, sondern um Moral. Das ist moralisch verkommen. Das ist Anbiedern an die Braunen“, sagt Jachan. Er erzählt von Minenratten, die in Bosnien eingesetzt wurden: Dressierte Ratten, die sogar Plastikminen, die von den Metalldetektoren nicht gefunden werden, riechen können. Wenn Österreich keine Helfer und kein Gerät schicken will, solle es eben Minenratten schicken! Ob diese Forderung ernst oder tiefschwarzer Humor, ist, lasst sich nicht sagen. Man weiß 96 _ZWISCHENWELT es selbst nicht. Man weiß nur: Österreich fällt aus der Zeit. Wer aus der Zeit fällt, kann nicht mehr die Hand reichen. Schließlich stellte Österreich, nach dem guten Zureden des Bundespräsidenten, 2 Millionen Euro bereit. Was geht sich damit aus? Ein schweres Gerät? Fineinhalb? „Den Geruch kriegst du nicht mehr los.“ „Welchen Geruch?“, frage ich. Ich weiß nicht, wie Explosionen riechen. Den Geruch des russischen Vernichtungskrieges. „Aasgeruch. Leichen. Abgase. Müll. Pulverschmauch. Ich brauch nur die Bilder sehen und hab den Geruch in der Nase.“ Bei Antoniwka sind sie unter Beschuss gekommen. Sie standen gerade am Platz mit den EinwohnerInnen, darunter Kinder, und erklärten den Ablauf der Hilfslieferung, als neben ihnen die Granaten einschlugen. Dann kreisten zwei Drohnen über ihren Fahrzeugen. Die Russen hatten sie geortet, Drohnen schicken die Information an die russische Artillerie. Russischer Angriff auf das, was man „zivile Ziele“ nennt. Der Fahrer des Roten Kreuz Wagens, auch ein Militärkaplan, aus Pokrowsk, war so erschüttert, dass er zu weinen begann. Der Verein für weltweite Nothilfe existiert als Verein seit etwas mehr als zwei Jahren. Wenn Jachan für einen Transporter helfende Hände braucht, kommen Freiwillige von weit her: Grafenwörth, Krems, Tulln, Wien. Aus Gföhl helfen vor allem Frauen. Viel unsichtbare Arbeit steckt hinter einem Transport, ohne HelferInnen wäre kein Einsatz möglich. In der Umgebung helfen Firmen. Das Schuhgeschäft Mold spendet Schuhe, die Spedition Brantner Logostik Transporte bis Rumänien. Jachan kann auf ein Netzwerk zählen, aber: Das große Spendenaufkommen von 2022 ist völlig eingebrochen. Er sieht dies als Erfolg der russischen Propaganda. Wie sie sich ausbreitete, konnte man auch bei den Kindern beobachten. „Es sind dieselben Kanäle“. Von seinem ehemaligen Mentor, dem Philosophen und Ethiker aus der „Friedensbewegung“ hörte Jachan, die weißen Bänder (der gefesselten Hände der Ermordeten von Butscha) seien Zeichen gewesen, dass sich die Menschen den Russen ergeben wollten -und dann seien sie deswegen von den Ukrainern erschossen worden. „In der Ukraine sind sie froh über die Befreiung“, sagte sein chemaliger Freund. „Warst du dort oder war ich dort?“, fragte ihn Jachan. Mit einer Ukrainerin übt Jachan Deutsch. Ein Mann bei einem Geschäft in Krems will mit Jachan über die Ukraine diskutieren. Jachan, mit der Ukrainerin neben ihm, sagt: „Du kannst Anna neben mir fragen, die kommt aus Charkiw.“ Antwort des Mannes: „Owa da Selenskyj is a Saujud!“ Jachan: Du weißt schon, dass Jachan ein polnischer Name ist, wir sind polnische Juden. „Isch scho guad, Jachan.“ Mit diesen Worten geht der Mann. Tatsächlich weiß Jachan über seine Vorfahren fast nichts, weder wo der Name herkommt noch wer welchen Glauben hatte, aber Bekannte in Tschechien meinten, der Name Jachan käme wahrscheinlich aus Polen, wahrscheinlich jüdisch. Vielleicht macht er sich einmal auf Spurensuche, nach dem Krieg. Ob ich die Putin-Biographie von Thomas Réper kenne? Nein. Ich schlage nach: Röper ist der Biograph Putins. Titel: „Vladimir Putin. Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?“ 2022: 5. Auflage. Beschreibung Amazon: In den westlichen Medien wird viel über Putin geschrieben. Aber Putin kommt praktisch nie selbst zu Wort und wenn doch, dann stark verkürzt. Man kann Putin mögen oder auch nicht, aber man sollte wissen, was Putin selbst zu den drängendsten Fragen unserer Zeit sagt, um die Entscheidung darüber treffen zu können. Thomas Réper lebt seit 1998 überwiegend in Russland, spricht fließend Russisch und lässt den russischen Präsidenten Vladimir Putin selbst in diesem Buch in ausführlichen Zitaten zu Wort kommen. Sehen Sie, was Putin zu den drängendsten internationalen Problemen sagt, ob zu Syrien, der Ukraine, der weltweiten Flüchtlingskrise, zu dem Verhältnis zu Europa und Deutschland oder auch zu Fragen der Pressefreiheit. Putins Aussagen einmal komplett zu lesen, anstatt nur Zusammenfassungen oder aus dem Zusammenhang gerissene Ausschnitte zu lesen, ergibt eine interessante Sicht auf die Probleme der heutigen Welt. Das Ergebnis ist eine schonungslose Kritik an der Politik des Westens, wenn Putin die Dinge mal mit Humor und mal mit bitterem Ernst deutlich beim Namen nennt, denn — egal ob dies gut oder schlecht ist — er ist kein Diplomat und findet sehr deutliche und unmissverstandliche Worte. Putin redet nicht um den heißen Brei herum und nach dieser