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Für drei Jahre Dienst in der US-Armee stehen Troller ein Darlehen von 10.000 Dollar zu oder ein Hochschulstipendium für vier Jahre. Er geht nach Kalifornien, studiert dort englische, deutsche, französische Literatur und cinc Menge anderes. Er gibt sich Neugierigen gegenüber als Pariser, als Schotte, als Sizilianer zu erkennen. Jedes mal meinen die Leute, er sähe „typisch“ für seine Herkunft aus. Aber manche halten ihn doch für einen Mexikaner, der nachts über den Rio Grande kam. Warum kehrt er nicht die Straßen oder pflückt Obst? Denn man ist ja vorwiegend blond in Kalifornien. Blonde schmalthiiftige Gotterjiinglinge ritten auf Wellenbrettern durch die Brandung, und schwellende blonde Géttinnen erwarteten sie wohlgemut am Strand. Trollers platinblonde Hauswirtin hat auch nichts mit Europäern am Hut: „Jemand, der sich erst wohl fühlt, wenn’s ihm schlecht geht!“ sonders hinter B. Traven, das sind seine literarischen Götter. Am Ende landet er in Guatemala-City, ohne Geld, ohne Papiere, der amerikanische Konsul hilft ihm. Und dann ist Troller schon wieder in Wien, er kann es nicht lassen. Er studiert Theaterwissenschaft, sein Kindheitstraum. Nein, kein Mensch stänkert mich an. Es regnet sogar Freundlichkeit. Es scheint nun mit den Juden ein Geheimabkommen zu geben: „Wir verpflichten uns, Sie von nun an als pittoresk und althergebracht zu führen. Sie, Herr Jud, erbieten sich im Gegenzug, uns nicht mehr mit der Nase in den Hitlerdreck zu stoßen.“ Die Juden — mit Ausnahme von Nazijdger Wiesenthal — haben sich sogar brav daran gehalten. Die anderen weniger. Der Neuanfang schafft eine Verdrängungsgesellschaft. Das stellt Troller auch im Theaterwissenschaftlichen Institut fest. Der Direktor heißt Professor Heinz Kindermann. Einst eine Leuchte völkischer Literaturbetrachtung und NS-Wurzelrethorik. Dem es sogar gelang, Goethe zu einem Nazi zu machen. ... Und wiederum sind Wahlen in Österreich fällig, und Jetzt geht es gar nicht mehr so lammfromm zu, wie seinerzeit abgesprochen. ... Ein Plakat zeigt das Land von einem tiefen Graben durchschnitten. Rechts ein braver Mann, der hilfreich eine Dlanke über diesen Gruben schiebt. Wem schiebt er diese rettende Planke zu? Einem Volksgenossen, mit dem zarten Wort „NS-Problem“ beschriftet. Und wer schmeißt hinten roten Dreck auf diesen Akt der Nächstenliebe? Zwei sozialistische Rowdies mit Judennasen. Und wie betitelt sich das Ganze? „Sie reden vom ewigen Frieden und wollen ewigen Hass. Troller verlässt Wien und geht nach Paris, an die Sorbonne, seine Eingabe um ein Stipendium wurde von den Amerikanern bewilligt. Aber vorher nimmt er Abschied. Einen ganzen Tag läuft er durch den Herbstwald, bis hinaus über Klosterneuburg. Nein, eine zweite Landschaft wie diese ließ sich auf der ganzen Welt nicht finden. Es gab keinen Grund, dass ich nicht noch hundertmal nach Wien kommen konnte, wenn ich dazu Lust verspürte. Allerdings nie mehr mit dem Anspruch nach Heimkehr. Das war jetzt vorbei. Aus der Traum. Aber nicht nur dieser Traum war ausgeronnen, sondern das Träumen überhaupt. Ich meine diesen Zustand naiver Wundergläubigkeit und Unverletzbarkeit, der mich über meine Jahre hinaus angetrieben und wahrscheinlich auch vor allen Fährnissen beschützt hatte. Und aus dem ich jetzt endgültig ausschlüpfen musste. Nicht wie der Schmetterling, der bunte, aus der grauen Raupe. Sondern, so kam mir das vor, eher umgekehrt. Paris, keine unbekannte Stadt für Troller. Von Prag war er im Frühjahr 1939 nach Paris geflohen, denn die Tschechei war nicht mehr sicher. In Paris, und dann im Süden, das lange, enervierende Warten aufein Visum für die Überfahrt nach Amerika. Die Deutschen überwältigen Frankreich. Internierung als verdächtiger Ausländer. Dann endlich aufnach Amerika, von Marseille aus. Doch in Casablanca schon das vorläufige Ende, Internierung in einem Lager in der Wüste. Nach zwei Monaten aber schlussendlich doch auf dem Weg nach New York. Und jetzt erneut Paris. Ließen sich die Dozenten herbei, zu erscheinen, so lasen sie im Gegensatz zu Amerika oder Wien nicht etwa über Themen, die ihre Hörer studieren wollten. Sondern über solche, die sie selber interessierten. Oder vielleicht in ferner Jugendzeit einmal interessiert hatten, als Literatur für sie noch flüssiges Feuer war und nicht erstarrte Lava. Als Troller erfährt, dass er eine Kleine These von zirka 300 Seiten schreiben soll sowie eine große von so 1.000 Seiten, rechnet er sich aus, dass er nach Bewältigung dieses Manuskriptberges, den kein Mensch je lesen wird, bestimmt längst das dreißigste Lebensjahr weit überschritten haben würde. Und er betritt die Sorbonne nie mehr wieder. Da er bereits 1945 bei Radio München gearbeitet hatte, Gründungsmitglied Nummer sieben des späteren Bayerischen Rundfunks, bewirbt er sich bei einer amerikanischen Radiostation in Paris. Als ehemaliger Österreicher produziert er nun Beiträge