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von Mai und November 1938 wurde ein Visum nur noch in Ausnahmefällen erteilt. Wer bei der illegalen Einreise bereits das Grenzgebiet überschritten hatte und deshalb von der Grenzpolizei nicht mehr zurückgewiesen werden konnte, wurde mit Abschiebung und mit Haft- und Geldstrafe bedroht.‘ Für die Juden in Österreich wurde die Lage nach der Annexion von Tag zu Tag ernster. In wenigen Monaten wurden ihnen gegenüber die gesetzlichen und administrativen Maßnahmen nachgeholt, die sich in Deutschland aufüber fünf Jahre verteilt hatten. In bisher ungekanntem Ausmaß wurden Verhaftungen und Verschleppungen von Juden in Konzentrationslager vorgenommen, die zum Teil das Ziel verfolgten, sie ohne Rücksicht auf die Aufnahmebedingungen anderer Länder zum Aufbruch zu zwingen. Mit der Errichtung der Zentralstelle für jüdische Auswanderung unter Adolf Eichmann im August 1938 erhielt die Vertreibungspolitik ihre institutionelle Form.’ Die italienische Regierung erließ bereits am 18. März 1938, nur fünf Tage nach der Annexion, ein allgemeines Einreiseverbot für österreichische Juden, nachdem die deutschen Grenzbehörden unmittelbar zuvor eine Ausreisesperre nach Italien für Inhaber österreichischer Pässe verhängt hatten, soweit diese nicht mit einem Ausreisesichtvermerk der Polizei des Wohnorts versehen waren." Die Eile beider Seiten ist im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Sicherheitsma8nahmen beim Staatsbesuch Hitlers in Italien vom 3. bis 9. Mai 1938 zu sehen, bei denen die Gestapo und die italienische Polizei eng zusammenarbeiteten. Auf Grund der Informationen der Gestapo wurden während des Aufenthalts Hitlers in Italien einige hundert Emigranten aus Deutschland, überwiegend jüdische Flüchtlinge, und vereinzelt auch Österreicher bis zu vierzehn Tage in Haft genommen, unter Hausarrest oder unter Polizeiaufsicht gestellt. Die Verhaftungen waren für viele Emigranten ein traumatisches Erlebnis und bildeten oft den Anlaß, Italien zu verlassen. Nach dem Staatsbesuch nahm die italienische Polizei erstmals Abschiebungen an der französischen und der Schweizer Grenze von politisch unliebsamen Personen vor, die in Italien Unterschlupf gefunden hatten und lange Zeit ihrer Aufmerksamkeit entgangen waren." Das Einreiseverbot gegenüber österreichischen Juden war die erste restriktive Maßnahme der italienischen Regierung gegenüber jüdischen Flüchtlingen überhaupt. Nach der Aufhebung der Ausreisesperre von deutscher Seite nach Hitlers Rückkehr nach Deutschland versuchten immer mehr Juden in Österreich unter dem herrschenden Druck die Einreisesperre nach Italien zu überwinden. Sie dürften sich dabei kaum Illusionen über einen dauerhaften Aufenthalt in Italien hingegeben haben. Italien wurde von ihnen hauptsächlich als Sprungbrett zur Weiterwanderung in ein endgültiges Exilland betrachtet. Das Einreiseverbot ohne Visumzwang stellte die italienischen Grenzbehörden vor nahezu unlösbare Probleme, denn Juden waren an ihren Pässen bis zur Einführung des J-Stempels im Oktober 1938 kaum zu erkennen. Den Visumzwang wollte die italienische Regierung aber mit Rücksicht auf das Tourismusgewerbe und die Passagierschiffahrt mit italienischen Linien vorläufig noch nicht einführen. Das italienische Innenministerium riet daher der Grenzpolizei, Zurückweisungen nach jüdischen Namen vorzunehmen, was sie entweder überforderte oder Gutwilligen Gelegenheit zum Wegsehen bot. Drohte aber tatsächlich eine Zurückweisung, so legten die Reisenden oft Taufscheine vor und erklärten, sie seien katholisch. Das Innenministerium schärfte daraufhin den Grenzpolizeistellen ein, daß die Einreisesperre auch für zum katholischen Glauben Übergetretene gelte, wo26 mit es sich zum ersten Mal einer rassistischen Definition bediente, die den wenig später eingeführten Rassengesetzen voranging. Der Transit zur Einschiffung in einem italienischen Hafen blieb österreichischen Juden jedoch durchgehend erlaubt, wenn sie an der Grenze ein Einreisevisum für ein anderes Land und ein gültiges Schiffsbillet vorlegen konnten.” Das Innenministerium erkannte bald, daß die Aufrechterhaltung der Einreisesperre, wie es beschönigend hieß, „nicht ohne große Schwierigkeiten geschehen ist und geschieht.“ Die Zahlen sprechen in dieser Hinsicht eine deutliche Sprache. Beim Jüdischen Hilfskomitee in Mailand meldeten sich bis Ende März 86 österreichische Juden, die vermutlich hauptsächlich über Jugoslawien oder die Schweiz eingereist waren. Ende April schätzte das Komitee die Zahl der jüdischen Flüchtlinge aus Österreich auf 200-300, davon etwa 100 in Mailand. An sich galt nach wie vor die Regel, daß jemand, der illegal die Grenze passiert hatte, nicht mehr zurückgeschickt wurde, sobald er über den Befehlsbereich der Grenzpolizei hinausgekommen war und das Landesinnere erreicht hatte. Die meisten Präfekturen hielten sich daran. Lediglich in Triest, wo sich überdurchschnittlich viele Flüchtlinge ansammelten, spitzte sich die Lage zu, so daß im Juli und August 213 Abschiebungen, wahrscheinlich an der jugoslawischen Grenze, durchgeführt wurden. Beim „Zensus der ausländischen Juden“ im September 1938, der zur Vorbereitung der Rassengesetze diente, wurden 412 Personen mit österreichischen Pässen nachgewiesen, die überwiegend nach der Annexion nach Italien eingereist waren und eine reguläre Aufenthaltsgenehmigung erhalten hatten. Die größten Gruppen befanden sich in Mailand: 164, Bozen: 47, Como: 29 und Rom: 24. Hinzu kamen einige hundert Österreicher, denen die Präfekturen, analog dem Schweizer Vorgehen, einen Kurzaufenthalt von bis zu zwei Monaten zur Vorbereitung ihrer Weiterreise gewährt hatten. Nach allem kann man im Herbst 1938 auf eine Gesamtpräsenz von ungefähr 1.000 österreichischen Juden schließen, zu denen eine wesentlich geringere Zahl von Juden aus Österreich mit polnischen Pässen hinzukam.'* Diese Zahlen spiegeln jedoch die Fluchtbewegung nach Italien nur unzureichend wieder. In der Tat gelang es weit mehr Juden, die Grenzsperre zu unterlaufen. Nach einem Bericht des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartments gaben die Schweizer Konsulate in Italien, vor allem in Mailand, Venedig und Triest, entgegen den ihnen erteilten Weisungen 2.800 Einreisevisen in die Schweiz an jüdische Flüchtlinge aus Österreich aus. Zwei Angestellte des Mailänder Konsulats wurden deswegen später zur Rechenschaft gezogen. Der Schweizer Konsul in Venedig verteidigte sogar die weisungswidrige Praxis.'® Die Vorgänge in Venedig haben auch in den Akten der italienischen Polizei Spuren hinterlassen. Trotz verstärkter Kontrollen seien alle Flüge von Wien nach Venedig ausgebucht, und täglich träfen neue Gruppen mit dem Flugzeug ein. Ende Juli seien es an einem Tag 24 Flüchtlinge gewesen. Einige hätten der Aufforderung Folge geleistet, mit der nächsten Maschine zurückzukehren, die meisten aber hätten sich gegen die Umkehr gewehrt, bis ihnen das Schweizer Konsulat mit Einreisevisen zu Hilfe gekommen sei. Die Einreise von Italien in die Schweiz wurde Anfang August unterbrochen, nachdem der Schweizer Gesandte in Rom dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartment zugesichert hatte, bei der Visaerteilung mit größerer Umsicht vorzugehen und vor der Bewilligung eines Antrags das Polizeidepartment zu befragen. '‘ Es gab in Italien aber auch nichtjüdische Flüchtlinge, die in Österreich wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer politischen Orga