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nisation oder der Ausübung eines hohen Staatsamts unter der Regierung Schuschnigg gefährdet waren. Allgemein galt auch für nichtjüdische Flüchtlinge in Italien die im April 1933 festgelegte Regel, daß Personen, „die aktiv in gegen den Faschismus gerichteten politischen Parteien tätig waren“, der Aufenthalt verwehrt werden sollte. Auf Mitglieder der Vaterländischen Front, Vertraute Schuschniggs, Legitimisten und etwa auch politisch tätige katholische Priester traf diese Regel aber nicht zu. Wenn gute persönliche Beziehungen zu politisch einflußreichen Italienern bestanden, konnten sie leicht Fürsprache und Protektion finden, zumal die Annexion von vielen selbst in der Faschistischen Partei nicht gutgeheißen wurde. Dem langjährigen Vorsitzenden der aufgelösten österreichischen Landsmannschaft in Italien, Karl Bambas, einem Anhänger der Vaterländischen Front, wurde mitgeteilt, daß ehemalige österreichische Staatsbürger, „die in den vergangenen Jahren für ihre Heimat eingetreten sind“, in Italien nichts zu befürchten hätten. Er wurde jedoch ausdrücklich gewarnt, daß sie sich jeder politischen Betätigung zu enthalten hätten. Tatsächlich wählte ein kleiner Kreis, kaum mehr als hundert Personen, von Mitgliedern und Anhängern austrofaschistischer Organisationen Italien zum Exil. Zum Teil waren es frühere Angestellte der Österreichischen Botschaft und der österreichischen Konsulate, die bis auf wenige Ausnahmen nicht in den deutschen diplomatischen Dienst übernommen wurden. Der bekannteste war der letzte österreichische Botschafter in Rom, Egon von BergerWaldenegg, der als Außenminister der Regierung Schuschnigg die Fäden zwischen Wien und Rom geknüpft hatte und für eine enge Anlehnung Österreichs an das faschistische Italien eingetreten war. Ein weiterer Prominenter war der persönliche Sekretär Schuschniggs, Viktor von Frölichsthal, der nach einer telephonischen Warnung, daß seine Verhaftung bevorstehe, von Wien über Ungarn und Jugoslawien nach Italien gelangte. Um von Berger-Waldenegg und von Frölichsthal vor einem deutschen Auslieferungsverlangen zu schützen, wurde ihnen vor der üblichen Frist die italienische Staatsbürgerschaft zuteil, und von Berger-Waldenegg trat der Faschistischen Partei bei.' Die von der faschistischen Regierung im November 1938 weitgehend nach deutschem Vorbild, aber ohne unmittelbaren deutschen Druck eingeführten Rassengesetze änderten die Lage der jüdischen Flüchtlinge grundlegend. Die italienischen Juden verloren durch die Rassengesetze ihre schon im Risorgimento erlangte Gleichstellung und wurden aufeinem minderen Status an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Anders als in Deutschland vollzogen sich die Entrechtung und die Ausschließung aus dem öffentlichen Leben wie aus weiten Bereichen der Berufstätigkeit im wesentlichen auf gesetzlichem und administrativem Weg, und es herrschte im allgemeinen kein StraBenterror. Soweit Gewaltakte gegen Synagogen und Gemeindeeinrichtungen vorkamen, waren sie das Werk örtlicher faschistischer Gruppen und gingen nicht auf zentrale Weisung zurück." Zu den ersten rassenpolitischen Maßnahmen gehörte das Dekret vom 7. September 1938, das allen nach 1918 nach Italien eingewanderten und geflohenen Juden, bereits im Sinn der Rassendefinition, das Aufenthaltsrecht entzog. Ihnen wurde eine Frist von sechs Monaten gesetzt, innerhalb derer sie Italien zu verlassen hatten. Andernfalls wurde ihnen die Ausweisung angedroht. Zudem wurde allen Juden die italienische Staatsbürgerschaft abgesprochen, wenn sie diese nach 1918 erworben hatten. In dem Rassengesetz vom 17. November 1938 wurde Personen über 65 Jahren und mit Italienern Verheirateten ei Zwei jüdische Kinder, begleitet von einem Mitarbeiter der Delasem, im Hafen von Genua vor der Einschiffung, 1939/40. Foto: Sammlung Klaus Voigt, Berlin Das Innenministerium mußte mit fortschreitender Zeit erkennen, daß es einem großen Teil der von dem Dekret vom 7. September 1938 Betroffenen nicht gelingen würde, die Frist von sechs Monaten zum Verlassen Italiens einzuhalten. Als erste legten die Präfekten und Quästoren darüber Rechenschaft ab. Sie konstatierten, daß die Juden an sich willig waren, dem Gebot Mussolinis Folge zu leisten, aber an den Einreiseschranken anderer Länder scheiterten. Diese durchaus einer faschistischen Logik entspringende Haltung stand immerhin in deutlichem Gegensatz zur Praxis der deutschen Polizei, die ohne Rücksicht auf die Aufnahmebereitschaft anderer Länder die Vertreibung forcierte. Zudem war die Ausweisung von einigen tausend Menschen praktisch kaum durchführbar, weil sie von den Anrainerstaaten nicht widerstandslos hingenommen worden wäre. So erklärte sich der Polizeichef, Arturo Bocchini, kurz vor dem Ablauf der Ausreisefrist, dem 12. März 1939, einverstanden, die Ausweisung auszusetzen und auf begründeten Antrag einen Aufschub der Ausreise von bis zu sechs Monaten zu gewähren. Am 12. März wurden 4.151 Juden gezählt, die sich noch im Land befanden.” 27