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den könnten“. Die Behörden befürchteten, daß die antiitalienischen Gefühle und die irredentistischen Tendenzen im Land durch die Ausbreitung des Nationalsozialismus in der Südtiroler Bevölkerung begünstigt würden. Die Zunahme des nationalsozialistischen Gedankenguts und der massive Andrang von Flüchtlingen spitzten den in der lokalen Bevölkerung schon tief verwurzelten Judenhaß noch zu. Antijudaismus christlichen Ursprungs und Judenfeindlichkeit, denen sich in jüngerer Zeit der moderne politische Antisemitismus hinzugesellte, haben in ganz Tirol eine lange und fest verwurzelte Tradition. Schon 1933 ereigneten sich in Meran antisemitische Vorfälle: Beschimpfungen von Juden, Verbreitung von Flugblättern, beleidigende Schriften. Im August desselben Jahres wurde, wiederum in Meran, ein Hilfskomitee ins Leben gerufen, das den aus Deutschland kommenden jüdischen Flüchtlingen beistehen sollte. Über ihre alltäglichen Lebensumstände ist nur wenig bekannt. Viele lebten in prekären finanziellen Verhältnissen und wurden von der Israelitischen Kultusgemeinde unterstützt. Im September 1938 informierte die Bozener Präfektur das italienische Innenministerium, daß die jüdischen Flüchtlinge kaum Kontakte mit der einheimischen Bevölkerung geknüpft hätten und fast gänzlich isoliert lebten. Im Juni 1936 lebten in dieser Grenzprovinz 227 „ausländische Juden“, darunter 104 deutsche Staatsbürger und 37 Österreicher. Im Mai desselben Jahres forderte das Innenministerium die Präfekten auf, eine Erhebung der „jüdischen Flüchtlinge aus Deutschland“ durchzuführen, wobei explizit darauf hingewiesen wurde, daß die „Betroffenen“ nichts davon erfahren sollten? In Südtirol waren die Flüchtlinge einer minutiösen Kontrolle unterworfen: Nach 1936 wurde ihre Korrespondenz einer präventiven Zensur unterzogen, und spätestens seit 1937 wurde bei der Polizeibehörde ein Register der in der Provinz anwesenden „ausländischen Juden“ angelegt. Das erste Einreiseverbot nach Italien für Flüchtlinge betraf die aus Österreich kommenden „ehemaligen jüdischen Staatsbürger Österreichs“ und wurde am 18. März 1938 erlassen. Schon am 12. desselben Monats hatte das Innenministerium den Präfekten mitgeteilt, daß „jüdische Elemente“ Österreich verlassen würden, und sie aufgefordert, diese zu überwachen und zu melden sowie ihren Ortswechsel mit „besonderer Sorgfalt“ zu kontrollieren. In Wirklichkeit war es nicht einfach, an der Grenze festzustellen, welche Flüchtlinge Juden waren und welche nicht, denn erst nach dem 29. September 1938 war in den Reisepässen der deutschen Juden ein „J“ für Jude eingetragen. Am 19. März bat die Generaldirektion für öffentliche Sicherheit des Innenministeriums den Präfekten, Mastromattei, um die Bestätigung der Meldung einer „österreichischen Staatsbürgerin“. Dieser antwortete daraufhin, daß er den entsprechenden Namen und die Namen anderer in der Annahme, es handle sich um „Jüdische Elemente“, bereits übermittelt habe. Er fügte weiter hinzu: „Derartige Meldungen beruhen auf den Namen der Reisenden sowie auf deren Verhalten, da es keine anderen Bewertungselemente gibt.“ Die Schwierigkeiten bei der Kontrolle sind unverkennbar. Es ist nicht leicht festzustellen, wie viele Emigranten aus Österreich sich in der Provinz Bozen aufhielten. Dieselben Namen scheinen nämlich in verschiedenen Quellen unterschiedlich auf, das heißt sowohl als „ehemalige Österreicher“ als auch als „deutsche Staatsbürger“. Einige Informationen können dem „Zensus der ausländischen Juden“, einer im September 1938 vom Innenministerium beschlossenen Erhebung zur Quantifizierung der „ausländischen Juden“ in Italien, entnommen werden. Danach war ihre Gesamtzahl im Trentino mit 39 Personen niedrig. In Südtirol hingegen hielten sich im Oktober 1938 insgesamt 671 „ausländische Juden“ auf. Ein Großteil von ihnen waren deutsche und polnische Staatsbürger, die meistens schon vor 1933 nach Italien gekommen waren. Die Anzahl der als „ehemalige Österreicher“ verzeichneten jüdischen Flüchtlinge betrug 31. Sie hatten sich hauptsächlich in Meran niedergelassen. Weitere Daten können aus einer am 22. August 1938 auf gesamtstaatlicher Ebene durchgeführten Zählung gewonnen werden. Sie bezweckte die Erhebung, Analyse und vor allem die möglichst genaue Registrierung sowohl der italienischen als auch der ausländischen Juden. Genaue und definitive Zahlen der in den zwei Provinzen vorgenommenen Erhebung zur „Rassenzugehörigkeit“ sind nicht vorhanden. Laut der am 12. Oktober 1938 in der italienischen Presse verkündeten Teilergebnisse wurden in Südtirol 938 und im Trentino 51 Personen gezählt. Zwischen August und Dezember 1938 wurden in Meran 909 Juden verzeichnet, von denen über 750 Ausländer waren. Aus den Erhebungen geht außerdem die Zahl von 61 Österreichern hervor, von denen 23 im Jahr 1938 eingereist waren. Über Flüchtlinge, die aufgrund ihrer politischen Tätigkeit aus Hitler-Deutschland geflüchtet waren und sich im Trentino und in Südtirol niederließen, ist nichts bekannt. Die antijüdische Gesetzgebung, die von der faschistischen Regierung vom Spätsommer 1938 an eingeführt worden war, erschwerte die Situation der jüdischen Flüchtlinge und Einwanderer sehr. Das erste Gesetzesdekret, das am 7. September 1938 erlassen wurde, richtete sich gerade gegen die „ausländischen Juden“. Sie wurden gezwungen, das Land binnen sechs Monaten zu verlassen, andernfalls sollten sie ausgewiesen werden. Eine weitere Maßnahme vom November desselben Jahres sah diesbezüglich einige wenige Ausnahmen vor.‘ Für alle, die trotz des Widerrufs der Aufenthaltsbewilligung in Italien blieben, war Schwarzarbeit die einzige Einkommensquelle. Die zensurierte Korrespondenz zeigt deutlich, in welchem Zustand der Angst, Unsicherheit und Sorge die „ausländischen Juden“ in Südtirol leben mußten. Schon am 9. August — also noch vor den antijüdischen Verordnungen, doch schon inmitten der antisemitischen Hetzkampagne — schrieb ein Fliichtling: „Erschütternde Gerüchte sind zu hören, und niemand weiß Näheres. [...] Eigentlich weiß niemand etwas. Sicher ist nur, daß auch Italien seinen Rassenkampf führen wird. [...] Folglich herrscht hier unter den deutschen Juden Panik. Aus Angst übertreiben die Leute, und sie leben in ständiger Ungewißheit: Man hört nichts als ‚Raus aus Italien’ !““ Am 29. August 1938 schrieb der aus Innsbruck gebürtige V.K.: „Ich bin ein österreichischer Emigrant jüdischer Herkunft, jedoch seit 21 Jahren Katholik. Jetzt bin ich in Bozen, aber auch hier stellt mich aufgrund der rassistischen Kampagne niemand ein, so daß ich gezwungen bin auszuwandern. Ich bin mittellos und brauche dringend eine Anstellung. Ich nehme jede Arbeit an, obwohl ich eigentlich Kaufmann bin.‘ Einige „ausländische Juden“ begannen ihr Hab und Gut zu verkaufen. Ein Geschäftsinhaber mit früherer österreichischer Staatsbürgerschaft gab in einer Schweizer Tageszeitung folgende Annonce auf: „Ein elegantes Pelzwarengeschäft im Kurort Meran, sehr gut ausgestattet und mit großer Kundschaft, wird zu einem günstigen Preis verkauft.“ Das Meraner Hilfskomitee für jüdische Flüchtlinge schrieb am 27. August 1938: Wir wissen nicht, wie wir den armen Flüchtlingen, die nach Meran gekommen sind, helfen können. [...] Was wird aus ihnen werden, wenn plötzlich strengere 33