Maßnahmen getroffen werden? Es leben hier viele Familien,
die gänzlich mittellos und ohne Arbeit sind. [...]. Meran ist klein
und die jüdische Gemeinde auch eher arm. Wir müssen uns
schwere Bürden auferlegen, um diesen unseren Armen wenig¬
stens ein bißchen helfen zu können. Unsere Mittel sind am Ende,
und die Folgen werden katastrophal sein. Wir laufen Gefahr,
daß viele von ihnen vor Hunger sterben oder Selbstmord be¬
gehen werden.’
Die Auswirkung der Bestimmungen gegen die „ausländischen
Juden“ war überall verheerend, vor allem aber in Südtirol, wo
der weitaus größte Teil der jüdischen Bevölkerung aus Aus¬
ländern bestand. Am 12. März 1939 — der Frist, innerhalb de¬
rer Italien zu verlassen war — waren schon 278 Personen ins
Ausland abgereist, andere bereiteten sich auf die Emigration vor.
Zu den staatlichen Gesetzen kam in Südtirol noch eine lo¬
kale Bestimmung in Verbindung mit dem deutsch-italienischen
Abkommen über die Möglichkeit der Option des deutschspra¬
chigen Südtiroler Bevölkerungsteils zugunsten der deutschen
Staatsbürgerschaft hinzu. Am 23. Juni 1939 trafen sich in der
Reichshauptstadt die Delegationen der Regierungen Roms und
Berlins, um zu einer Vereinbarung über die Lösung der „Südtirol¬
frage“ zu kommen. Das Abkommen sah für die „Volks¬
deutschen“ — so die Definition der italienischen Staatsbürger
„deutscher Sprache und Abstammung“ — die Möglichkeit zu
„wählen“ vor: Die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen und
ins Reich auswandern oder als italienische Staatsbürger in der
Heimat bleiben, allerdings ohne Schutz als Sprachminderheit.
Ende Juli 1939 verfügte Mastromattei, daß alle „ausländischen
Juden“ Südtirol binnen weniger Stunden zu verlassen und sich
in andere Teile des Staatsgebietes zu begeben hatten. Schon am
9. Juni waren alle ihre Handelslizenzen widerrufen worden.
Einige beschlossen, in die angrenzende Provinz Trient zu zie¬
hen, weil sie hofften, daß es ihnen von dort aus möglich wäre,
an ihre früheren Wohnorte zurückzukehren, um ausstehende
Geschäfte zu erledigen oder Kontakte aufrechtzuerhalten. Aber
bald mußten sie auch diese Provinz verlassen.
Die Zahlen sind vielsagend: Wurden zwischen August und
Dezember 1938 allein in Meran ungefähr tausend Personen „,jü¬
discher Rassenzugehörigkeit“ gezählt, so lebten 1941 in ganz
Südtirol nur mehr knapp über hundert. Die Quellen sind sich
einig, daß die Bestimmungen mit äußerster Strenge angewandt
und die Kontrollen kontinuierlich und akribisch durchgeführt
wurden. Der Aufenthalt von Juden in Südtirol war nur mit ei¬
ner Sondererlaubnis möglich. Viele „ausländische Juden“, die
das Gebiet verlassen mußten und keine Einkünfte hatten, wa¬
ren gezwungen, ihre Liegenschaften unter dem realen Marktwert
zu veräußern und ihre Handelstätigkeiten aufzulassen.
Nach dem Kriegseintritt Italiens waren im allgemeinen we¬
der die Provinz Bozen noch die Provinz Trient Internierungs¬
gebiete, da sie ob ihrer geographischen Lage als militärische
Sicherheitszone erachtet wurden. War es in Südtirol nur einer
einzigen internierten Frau erlaubt, sich dort aufzuhalten, wur¬
de dies im Trentino einer größeren Anzahl von Personen gewährt:
Es waren vorwiegend „ausländische Juden“, die seit geraumer
Zeit dort ansässig waren. Jedenfalls handelte es sich immer um
Einzelfälle.
Am 8. September 1943 wurde der von Italien und den
Alliierten unterzeichnete Waffenstillstand bekanntgegeben.
Schon wenige Stunden später begann die Wehrmacht mit der
Besetzung der gesamten italienischen Halbinsel. Durch Hitlers
Befehl und eine daran anknüpfende geheime Anweisung erfolgte
am 10. September die Aufteilung des Landes in „besetztes
Gebiet“ und „Operationszonen“. Es gab zwei Operationszonen:
die Operationszone Alpenvorland, die die Provinzen Bozen,
Trient und Belluno umfaßte, und die Operationszone Adriati¬
sches Küstenland mit den Provinzen Udine, Triest, Görz, Pola/
Pula, Fiume/Rijeka und Laibach/Ljubljana. Die Gauleiter der
beiden angrenzenden Gebiete des Deutschen Reichs tibernah¬
men die politische Führung: In der Operationszone Alpenvor¬
land wurde der Gauleiter von Tirol und Vorarlberg, Franz Hofer,
zum Obersten Kommissar ernannt, in der Operationszone Adria¬
tisches Küstenland der Gauleiter Kärntens, Friedrich Rainer.
In keiner der beiden Operationszonen trat die antisemitische
Gesetzgebung der Repubblica Sociale Italiana in Kraft: Die
Entscheidungen hinsichtlich der Verhaftung von Juden und der
Enteignung jüdischen Besitzes wurden direkt von den zwei ober¬
sten Kommissaren getroffen. Im „Alpenvorland“ wurde über
die „jüdische Rassenzugehörigkeit“ aufgrund der Reichs¬
gesetzgebung entschieden.
Am 12. September 1943 erließ SS-Brigadeführer Karl Brun¬
ner einen nur für Südtirol gültigen Befehl zur Verhaftung aller
„Volljuden“. Vier Tage später wurden bei einer Razzia in Meran
22 Juden verhaftet. Es waren vor allem alte und kranke Personen.
Sie wurden stundenlang in einem Gebäude ohne Wasser und
Nahrung festgehalten, mußten brutale Verhöre über sich erge¬
hen lassen und wurden aller Wertgegenstände beraubt. Noch am
selben Abend wurden sie in das Durchgangslager Reichenau bei
Innsbruck deportiert, wo einige von ihnen verstarben. Die Über¬
lebenden wurden Monate später, wahrscheinlich im März 1944,
nach Auschwitz deportiert. Ein genaues Datum ist nicht bekannt.
Die 22 Meraner Juden wurden von SS-Männern und Mitgliedern
des Sicherungs- und Ordnungsdienstes (SOD) festgenommen.
Dieser war ein Selbstschutzverband der Optanten, der sich den
deutschen Behörden zur Verfügung gestellt und die Aufgaben
einer Hilfspolizei übernommen hatte.
Schon am Morgen des 9. September waren in Bozen und Auer
im Unterland fünf Juden verhaftet worden: Es handelte sich da¬
bei um die allerersten Festnahmen auf italienischem Gebiet.
Insgesamt wurden in Südtirol 42 Juden festgenommen. Nur zwei
von ihnen überlebten.
In der Provinz Trient betrafen die einen Monat später ein¬
setzenden Verhaftungen 14 Personen: Unter ihnen befanden sich
auch die Ehepaare Löwy-Riesenfeld, über deren Schicksal ein¬
gangs berichtet wurde." Zu den Festgenommenen gehörten auch
Jacob Augapfel und seine Frau Rosa, geborene Wallach, die bei¬
de österreichische Staatsbürger waren und sich seit 1938 in
Italien aufhielten. 1941 waren sie von Meran nach Levico, ei¬
nem Kurort und Thermalbad im Trentino, gezogen. Wegen ih¬
res fortgeschrittenen Alters war ihnen der Aufenthalt im
Königreich Italien erlaubt worden. Sie wurden vor dem 31. Mai
1944 festgenommen — das genaue Datum ist nicht bekannt —
und im Konzentrationslager Fossoli in der Provinz Modena in¬
terniert. Dieses Lager diente von Dezember 1943 bis August
1944 als Internierungs- und Durchgangslager für politische und
Jüdische Häftlinge. Von dort aus wurden die Ehegatten Augapfel
am 26. Juni 1944 nach Auschwitz deportiert, wo sie unmittel¬
bar nach ihrer Ankunft ermordet wurden. Ein Zeuge erinnert
sich, daß einer der Söhne mit den alliierten Truppen in der lei¬
der vergeblichen Hoffnung nach Levico gelangte, seine Eltern
noch lebend wiederzusehen.
Auch die Entscheidung über die Enteignung des jüdischen
Besitzes lag ausschließlich bei den deutschen Besatzungs¬
behörden. Die wenigen Juden, die unmittelbar nach dem Krieg
nach Südtirol zurückkehrten, fanden ihre Wohnungen, Büros