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Es ist nicht bekannt, daß eine Gemeinde im Trentino (bis 1918
im Süden der Habsburgermonarchie) einem Militär Kaiser Franz
Josephs die Ehrenbürgerschaft gewährt hätte. Außer in einem
Fall: Moena, ein Dorfin den Dolomiten von Fassa, verlieh die¬
se 1916 einem jungen Wiener Offizier, der während des Krieges
1914-1918 eine Art Schutzengel des Dorfes geworden war. Wer
ist dieser Offizier?

Es ist ein Bauingenieur, der schon 1912 zur k. u. k. Genie¬
direktion Trient gesandt wurde und danach Leiter der k. u. k.
Bauleitung von Moena war, wo ihn die Menschen liebten, ein
Jude, der 1938 aufgrund der antijüdischen Gesetze aus Wien
nach Italien fliehen mußte und 1944 verhaftet und mit seiner
gesamten Familie nach Auschwitz deportiert wurde, von wo er
nie zurückkehrte. Sein Name ist Richard Löwy. Sein Leben ist
sinnbildlich für Millionen Schicksale des 20. Jahrhunderts. Es
lohnt sich also ihm zu folgen, von den Anfängen in Böhmen
bis zum Ende im Inferno von Auschwitz.

Richard Löwy wurde am 7. September 1886 als Sohn einer
deutsch-jüdischen Familie in Zasmuk (heute Zasmuky), einem
Dorf ca. 45 Kilometer östlich von Prag, geboren. Böhmen war
seit Jahrhunderten ein florierendes Zentrum des Judentums. Einst
wechselte auch hier das Leben der jüdischen Gemeinde von
Zeiten des Friedens und der Prosperität zu Zeiten der Verfol¬
gung, der Zerstörung von Synagogen und der Gewalt jeglicher
Art. Die Kirche, die jahrhundertelang die irdische Gesellschaft
beherrschte, nährte die Verachtung für die „perfiden Juden“, die
als schuldig befunden wurden, den Messias nicht erkannt und
ihn gekreuzigt zu haben. Es galt erst das Toleranzpatent Josephs
II. von 1781 und die Konstitution von 1849 mit den ihr folgenden
Gesetzen von 1867 abzuwarten, bis die vollständige Befreiung
der Juden erreicht war. In den Jahrzehnten zwischen dem 19.
und dem 20. Jahrhundert kamen Dutzende der Hervorragendsten
in vielen Disziplinen gerade aus Böhmen und Mähren. Es wa¬
ren dies die besten Jahre der deutsch-jüdischen Kultur, der großen
Prager deutschen Literatur, deren bekannteste Vertreter Juden
waren; es waren die Jahre, in denen das klassische Geschenk
für jüdische Kinder zur Bar Mitzwah die Werke von Goethe,
Schiller und Hölderlin waren ... nur wenige Jahrzehnte später
sollte Deutsch die Sprache der Mörder, der Urheber der Shoah
sein.

Am 15. März 1939 marschierten die Truppen Hitlers in den
noch bei der Tschechoslowakei verbliebenen Teil Böhmens ein,
und ab September 1940 mußten die Juden dort „sichtbar auf der
linken Seite der Kleidung“ den Davidstern tragen, gelb, mit der
Aufschrift Jude. Die Männer mußten zu ihrem eigentlichen
Namen Israel hinzufügen, die Frauen Sara. In kürzester Zeit
war die tausendjährige Geschichte der Juden in Böhmen zer¬
stört. Die Leere, die danach in Europa blieb, wurde nie mehr
ausgefüllt.

Richard Löwy ist ein Sohn dieser verschwundenen deutsch¬
Jüdischen — oder österreichisch-jüdischen — Welt. Am Beginn
des 20. Jahrhunderts zog er mit seiner Familie (Vater Karl
Joachim, Mutter Hedwig und Schwester Martha) nach Wien,
in den neunten Bezirk, Sechsschimmelgasse 20 — wie heißt es

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doch im Sprichwort: „Jeder dritte Wiener ist ein Böhme.“ Ri¬
chard besuchte die Realschule, dann die Wiener Handels¬
akademie und erwarb 1913 mit dem Staatsprüfungszeugnis der
k. k. Technischen Hochschule in Wien den Titel „Bauingenieur“.
Schon als 18jähriger meldete er sich 1904 als „Einjährig¬
Freiwilliger auf eigene Kosten“ zum Artillerie-Regiment Nr. 2.
Er stieg vom Unterkanonier zum Feuerwerker auf, nahm an ver¬
schiedenen Kursen für Offiziersanwärter teil und war 1910 un¬
gefähr ein Jahr lang beim Landwehrinfanterieregiment Nr. 26
in Cilli (heute Celje, Slowenien), bis er 1912 mit dem Grad ei¬
nes Fortifikationsfähnrichs i. d. Reserve endgültig der k. u. k.
Geniedirektion in Trient zugewiesen wurde.

Von dort kam er nach einigen Versetzungen im Raum Trient
(wie z.B. zur Technischen Abteilung der k. u. k. Bauleitung
Castel Tesino) als Leiter der örtlichen k. u. k. Bauleitung mit
dem Grad eines Leutnants, später eines Oberleutnants 1914 nach
Moena im Fassatal.

Hier beginnen die besten, die erfülltesten Jahre seines Lebens.
Es gibt Jahre im Leben eines Menschen, die wie Jahrzehnte
zählen. Für Richard Löwy waren es nicht mehr als drei: die vor¬
hergehenden wirken wie ein Präludium, die folgenden wie der
traurige Epilog.

Es ist Krieg. Dem Kommandanten Löwy gelingt es, viele jun¬
ge Männer aus Moena vor Ort zu behalten, statt daß sie an der
Front, in Galizien oder in der Bukowina, den Heldentod ster¬
ben. Sie werden in den Trupps der Bauleitung zur Anlage von
Brücken, Schützengräben und Militärstraßen eingesetzt; die
Arbeit ist gut entlohnt. Löwy teilt darüber hinaus die Dienste
so ein, daß die Männer auch den gewohnten Arbeiten am Feld
und im Wald nachgehen können. Er richtet eine Schneiderei ein,
wo die Frauen von Moena Fußlappen für die Soldaten und Über¬
schuhe aus Weiden und Stroh anfertigen, die vor der Kälte schüt¬
zen sollen, und auch eine Wäscherei. Alles das sichert den
Familien ein regelmäßiges Einkommen. Unzählig sind seine
Verdienste für das durch den Krieg gepeinigte Dorf. Der jun¬
ge Leutnant zeichnet sich durch Nächstenliebe und Organi¬
sationstalent aus. Für seine Verdienste wurde er 1916 mit dem
Signum laudis, der höchsten Auszeichnung des Kaisers für die
Offiziere im Krieg, dekoriert. Im Dezember des gleichen Jahres
erklärt der Gemeinderat von Moena: „In Anbetracht der viel¬
fältigen Gunstbezeugungen, die Herr Leutnant Levi der Gemein¬
de und einzelnen Privatpersonen entgegen gebracht hat, ernennen
wir ihn zum Ehrenbürger und erteilen ihm die seinen Verdiensten
angemessene Anerkennung durch eine in ihrer Höhe noch fest¬
zusetzende, jedenfalls aber erhebliche Gratifikation.‘“ - in der
etwas unbeholfenen Amtssprache der Bergbewohner sind das
Worte voller Dankbarkeit.

1917 erhielt Löwy das Karl-Truppenkreuz und 1918 sogar
die Silberne Militärverdienstmedaille. Aber seine persönlichen
Erfolge ändern den Lauf der Geschichte nicht. Am 24. Oktober
1918 wurde die deutsch-österreich-ungarische Armee bei Vittorio
Veneto geschlagen. Das multinationale Habsburgerreich war in
Zerfall begriffen. Ab diesem Zeitpunkt kommt auch das Leben
von Richard Löwy in eine Schräglage: der begabte Steuermann
wird allmählich zum Schiffbrüchigen.