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Wieder in Wien, heiratete er 1929 die Wiener Apothekerin Johanna Liebgold. Übergehen wir die Einzelheiten seines Lebens zwischen den beiden Weltkriegen (sie zeitigten ohnehin nicht die Erfolge seiner Moenaer Zeit) und kommen wir zum 12. März 1938, dem Tag, an dessen Vormittag die Truppen Hitlers in Österreich einmarschierten: Die Panzer der Wehrmacht werden mit Blumen beworfen und bahnen sich einen Weg durch die jubelnde Menge, während Sigmund Freud in sein Tagebuch notiert: „Finis Austriae!“ Die „Nürnberger Gesetze“ von 1935 treten auch in Österreich in Kraft: die Juden werden zu „Untermenschen“ erklärt, jeglicher Rechte beraubt, in Gefängnisse gebracht, ermordet, zur Emigration gezwungen, nachdem man ihnen alles Hab und Gut weggenommen hatte. Am 16. August 1938 verließen auch Richard Löwy und seine Frau Wien für immer und flohen an den einzigen Ort der Welt, wo sie wußten, Freunde zu haben: nach Moena. Einige Monate später folgten ihnen seine Schwester Martha gemeinsam mit ihrem Mann Hermann Riesenfeld und die schon kranke Mutter Hedwig. Auch die Löwys mußten vor der Auswanderung das umfangreiche ‚Verzeichnis über das Vermögen der Juden“ ausfüllen und minutiös ihren gesamten Besitz auflisten, einschließlich „Altenteils- und Rentenrechte“ (die bereits geleisteten Pensionszahlungen). Alles mußte natürlich in den Kassen des Deutschen Reichs zurückbleiben. Die Angaben waren an die berüchtigte Zentralstelle für jüdische Auswanderung unter dem Befehl des späteren SSObersturmführer Adolf Eichmann gerichtet, der in Wien am Beginn seiner unheilvollen Karriere als einer der schlimmsten Verfolger der Juden stand. Wie wurden die fünf Juden auf der Flucht im Moena der Mussolini-Ära empfangen? Trotz der Propaganda des Rassenhasses, die nunmehr auch in Italien verbreitet war, nahm das Dorf in den Dolomiten die Löwys wie die seinen auf. Eine Lehrerin stellte ihnen sofort eine Wohnung zur Verfügung. Zwanzig Jahre nach seiner Abreise fand der ehemalige Kommandant der Bauleitung eine Bevölkerung vor, die nicht aufgehört hatte, ihn zu schätzen und zu lieben. Er sah die jungen Leute, mittlerweile Familienväter, wieder, die unter seiner Leitung Schützengräben und Brücken gebaut hatten. Viele von ihnen verdankten ihm das Leben, und das hatten sie ihm nicht vergessen. Aber wovon lebt der jüdische Flüchtling? Hin und wieder führte Löwy eine technische Zeichnung für jemanden aus, gab einige Deutschstunden, fertigte mit seiner Frau Tischlampen an. Anfangs, aber nicht lange, erhielt er etwas Unterstützung vom jüdischen Hilfskomitee in Mailand. Aber vor allem halfihm die Dankbarkeit der Bevölkerung von Moena für die vom Kommandanten Löwy während des Krieges 1914-1918 erhaltenen Wohltaten. Ihn verband eine tiefe Freundschaft mit der Lehrerin Valeria Jellici; beide teilten die Leidenschaft für Literatur, für Sprachen und für die Berge. Viele Zeugnisse sind uns von den Gesprächen, Literaturabenden, Bergtouren und glücklichen Stunden der Ehepaare Löwy und Riesenfeld mit der Freundin Valeria erhalten geblieben. Stunden, die sie für kurze Zeit die sich nähernde Weltkatastrophe vergessen ließen. Am 10. Juni 1940 erklärte Italien Frankreich und Großbritannien den Krieg. Fünf Tage später erließ der Chef der faschistischen Polizei in Rom den Befehl, alle Juden zu verhaften und zu internieren. Wie aus heiterem Himmel begann damit auch für die Löwys die letzte Phase der Tragödie. Anfang Juli werden alle fünf verhaftet. Der schwerkranken Mutter wird erlaubt, in Soraga, einem Ort nahe Moena, zu bleiben; ihre Tochter Martha darf sie betreuen. Richard und sein Schwager Hermann Riesen feld werden aber wie Verbrecher in das Gerichtsgefängnis von Trient gebracht und nach zwei Wochen im Konzentrationslager von Notaresco (Provinz Teramo in Mittelitalien) interniert. Johanna, Richards Frau, ereilt das gleiche Schicksal: Sie wird im Frauen-Konzentrationslager Casacalenda (Provinz Campobasso in Süditalien) interniert. Richard Löwys Briefe aus dem Lager an seine Freundin Valeria Jellici — wenngleich verhalten formuliert, um nicht der Zensur zum Opfer zu fallen — lassen uns ahnen, was der Internierte empfand: „Manchmal glaubt man, dass man sich mit dem Schicksal abgefunden hat, aber dann kommen Momente, in denen einem alles zu viel wird ... die meisten meiner Kameraden sind mir wenig sympathisch ... die Butter ist in relativ gutem Zustand angekommen, dank Deiner sorgsamen Verpackung.“ (Aufgrund der Zensur im Lager mussten die Schreiben auf Italienisch abgefaßt sein das Richard Löwy zum Glück sehr gut beherrschte.) Die Sehnsucht nach der Wahlheimat Moena, dem letzten ihm wohlgesonnenen Ort, hielt unvermindert an: „Extra Moena non est vita, et si est vita, non est ita““ — das Leben, fern von Moena, ist kein Leben, und wenn es Leben ist, ist es nicht wie in Moena, schrieb Richard in einem anderen Brief, nicht ohne ironische Melancholie. 37