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Hat man seinen Forschungsschwerpunkt auf Künstler der Zwischenkriegszeit gelegt, so ist man zwangsläufig mit Emigration und Exil konfrontiert. Bei meinen Recherchen zur Biographie von Künstlerinnen und Künstlern der Zwischenkriegszeit bin ich oft auf den Hinweis „nach Italien emigriert“ gestoßen. Für das Leben danach aber sind oft nur sehr wenige Daten bekannt. Bei manchen Künstlern kennt man nicht einmal das exakte Sterbedatum. Ich möchte hier exemplarisch drei Künstlerinnen und Künstler vorstellen, die nach Italien fliehen konnten, dabei aber sehr unterschiedliche Schicksale erfahren haben. Italien als Exilland ist zumindest von österreichischer Seite her bislang kaum beachtet worden. Während deutsche und italienische Wissenschafter sich mit diesem Thema schon seit längerem auseinandergesetzt und auch einen Schwerpunkt auf die Wissenschaften und die Künste gelegt haben', sind in Österreich die nach Italien geflohenen Künstler noch kaum behandelt worden. Teilweise werden sie unter anderen Gesichtspunkten erinnert, das heißt, es wird — wie so oft — auf das Schicksal nach 1938 nicht mehr eingegangen oder nur lapidar festgestellt, daß sie emigriert sind. Andere sind völlig in Vergessenheit geraten. Als Beispiel möge der Architekt Walter Franke dienen. Seinen Namen habe ich in einem Gespräch mit Dr. Klaus Voigt zum ersten Mal gehört. Italienische Wissenschafter, die sich mit dem Schicksal der in Castelnuovo di Garfagnana internierten Juden befaßt haben’, hatten zwar Unterlagen zu Walter Franke, der am 30. Jänner 1944 nach Auschwitz deportiert wurde, wußten aber nichts über sein Leben vor 1939. In Wien wiederum erscheint der Architekt zwar in der Datenbank des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, in der die österreichischen Holocaustopfer namentlich erfaßt sind, auf. Über sein Leben ist hier jedoch nichts bekannt. Eine erste Recherche blieb ergebnislos — die gängigen Kunstlexika kannten keinen am 26. Juli 1902 in Wien geborenen Walter Franke (berücksichtigt wurden auch die Varianten Frankl, Frankel, Fraenkel, Fraenkl ...), wohl aber einen Walter Frankel, der, geboren am 12. Marz 1879, als Maler in Erscheinung getreten war und ebenfalls Opfer der Nationalsozialisten wurde. Er wurde am 4. Marz 1943 aus dem Lager Drancy bei Paris in das Vernichtungslager Sobibor deportiert. Sollte es sich also um eine Verwechslung handeln? Dem widersprachen aber die Einträge der Datenbank des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, wo neben Walter Frankel auch der Gesuchte unter dem Namen Walter Frank] dokumentiert ist. Erst eine Kollegin, die Architekturhistorikerin Iris Meder, konnte weiterhelfen. Sie wies mich auf Publikationen von innenarchitektonischen Arbeiten in der Zeitschrift Österreichische Kunst hin und bestätigte somit, daß es einen Architekten Walter Franke oder Frankl gegeben haben muß.’ Der nächste Schritt war, in den in Frage kommenden Ausbildungsstätten Nachforschung zu halten, doch konnte ich zu keinem Ergebnis kommen. Ich erhielt den Rat, es auch an der der Technischen Hochschule in Graz sowie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich zu versuchen‘, was ebenfalls erfolglos blieb. Dafür half ein Hinweis auf die Möglichkeit weiter, daß jemand, der als Architekt oder Architektin arbeitet, gar nicht studiert haben muß, sondern eine entsprechend ausgerichtete Staatsgewerbeschule absolviert haben kann. Zwar sind die Unterlagen zur entsprechenden Schule selbst, der Staatsgewerbeschule Wien Schellinggasse, durch Bombenschäden verloren gegangen, doch es hat sich im Österreichischen Staatsarchiv ein Akt erhalten, in dem ein Ansuchen von Walter Franke (!) an das Bundesministerium für Handel und Verkehr um die Verleihung der Befugnis eines Architekten dokumentiert ist.‘ Aus diesem dünnen Akt läßt sich doch ein wenig mehr zu seinem Leben rekonstruieren. Wie erwähnt, kam er 1902 in Wien zur Welt, der Vater war Staatsbeamter im Handelsministerium, in der sozialpolitischen Sektion. Nach dem Besuch eines Realgymnasiums bestand Franke die Aufnahmeprüfung der Staatsgewerbeschule Schellinggasse 13, absolvierte vier Jahrgänge der Baufachschule und maturierte 1922. Anschließend trat er als Zeichner und Bautechniker im Architekturbüro Spielmann und Teller ein. Diese Wiener Bürogemeinschaft war „eine der meistbeachteten und erfolgreichsten Partnerschaften, die die intensive Baukonjunktur vor dem Ersten Weltkrieg hervorgebracht hatte“.” Es folgten teilweise nur Halbtagsstellen in weiteren Architektenbüros wie denen von Otto Bauer, Georg Groebscher oder Fritz Feuer. Die übrige Zeit benutze er bereits zu selbständigen Arbeiten. Einer seiner ersten Aufträge war ein Villenneubau in Sievering, der ganz nach seinen Plänen ausgeführt wurde. Wie viele andere Architekten und Architektinnen wandte er sich aufgrund der durch die schlechte Wirtschaftslage bedingten, geringen Bautätigkeit dieser Jahre der Innenarchitektur zu. Der Großteil seiner Arbeiten war daher Inneneinrichtungen und vor allem Umbauten von Wohnungen, Geschäftslokalen sowie der Gestaltung von Portalen gewidmet. Bis 1937 hatte Franke 138 Aufträge ausgeführt. Leider ist die Kundenliste, die dem Ansuchen beigelegt gewesen sein muß, nicht mehr erhalten. Einige dieser Arbeiten wurden in den Jahren 1936-1938 in der Zeitschrift Österreichische Kunst sehr lobend besprochen. So konnte Franke auf die vollste Zufriedenheit seiner Auftraggeber sowie auf den Umstand verweisen, daß seine Arbeiten nie Anlaß zu irgendwelchen behördlichen Beanstandungen gegeben hatten. Seit Juli 1929 war er verheiratet und lebte mit seiner Frau Elisabeth, geb. Weiß, in einer kleinen Wohnung, die ihm gleichzeitig auch als Büro diente. Grund des im Staatsarchiv erhaltenen Ansuchens, das Einblick in Frankes Leben gibt, war ein neu erlassenes Gesetz zur Verleihung der Befugnis eines Architekten. Am 6. April 1938 ließ sich Franke die beim Bundesministerium für Handel und Verkehr eingereichten Unterlagen wie Geburtsurkunde, Heimatschein, Reifezeugnis, Leumundsnote sowie diverse Zeugnisse ausfolgen. Eines der wahrscheinlich letzten ihn betreffenden behördlichen Schriftstücke ist ein Dienststück vom 24. Oktober 1939.’ Darin wird festgehalten, daß „Walter Franke am 12.2. 1938 sämtliche Gesuchsbeilagen übernommen und sie seither nicht wieder zurückgestellt hat. Das Ansuchen kann nicht weiter behandelt werden, weil er weder 61