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Bericht, „Hachschariat Rischonim“, geschildert worden. Nachdem sie am Herzl-Gymnasium in Tel-Aviv das Abitur abgelegt hatte, kehrte sie nach Wien zurück, wo sie Publizistik, Geschichte, Romanistik und Anglistik studierte und das Studium mit der Promotion zum Dr. phil. abschloß. Später arbeitete sie als Übersetzerin und Dolmetscherin. Seit 1959 leitet sie ein eigenes Übersetzungsbüro in Wien, wo sie gleichzeitig publizistisch tätig ist. Sie ist Ehrenbürgerin von Celico und hat sich seit langem für die Errichtung einer ständigen Ausstellung auf dem Gelände des ehemaligen Lagers in Ferramonti-Tarsia eingesetzt, die im Frühjahr 2004 eröffnet wurde und vor allem auch der Opfer des nationalsozialistischen Völkermords unter den jüdischen Flüchtlingen in Italien gedenkt. Viele von ihnen, die während der deutschen Besetzung überwiegend nach Auschwitz deportiert wurden, waren zeitweise in FerramontiTarsia interniert gewesen. In Rita Kochs Erlebnisbericht „Das letzte Friedensjahr“, 1989 in der Zeitschrift Das jüdische Echo veröffentlicht, lebt ihre Kindheit in Mailand wieder auf. In der Erinnerung erscheint sie eher als unbeschwert. Neuartige Eindrücke erregten ihre Aufmerksamkeit. Von den Eltern behütet, nahm sie die Not und Mühsal des Exils nur beiläufig wahr. Ein weiterer, schon 1983 in derselben Zeitschrift erschienener Erlebnisbericht Rita Kochs, „Ein ferner Sommer“, ist der Zeit der Internierung in Celico gewidmet. Im Mittelpunkt steht eine Schilderung, wie die internierten Juden aus Spezzano della Sila, der Celico nächstgelegenen Ortschaft, auf Geheiß des faschistischen Bürgermeisters mit dem Zug in das von ihnen gefürchtete Lager in FerramontiTarsia abfahren sollten und das Vorhaben durch den Sturz Mussolinis verhindert wurde. Unvergeßlich haben sich der Verfasserin die Freudenfeuer eingeprägt, die nach dem Sturz des Diktators auf den Höhen der Sila entzündet wurden. Beide Essays sind im folgenden unverändert und, wie von Rita Koch gewünscht, ohne jede Kürzung wiedergegeben. Klaus Voigt Vorlagen: Rita Koch: Das letzte Friedensjahr. In: Das jüdische Echo 38 (1989), 45 — 48; Rita Koch: Ferner Sommer. In: Das jüdische Echo 32 (1983), 149 — 152. Literatur: Rita Koch: Hachscharat Rischonim. In: Die Gemeinde, Nr. 196, 3.4.1974, 9; Klaus Voigt:, Zuflucht auf Widerruf. Exil in Italien 1933 — 1945. Bd. 2. Stuttgart: Klett-Cotta 1993. Die Gewehrläufe mit Blumensträußen geschmückt, kehrten die Legionäre heim aus Spanien. Ganz Italien sang das Lied von der „Spanischen Gitarre“, die wie eine fröhliche Fanfare die Freiheit und den errungenen Frieden pries. ,,Suona chitarra spagnola come un’allegra fanfara... Canta la rambla in fiore, canta la sierra e il mare — oggi respira il cuore aria di liberta“... Die bliihenden Ramblas, die Berge und das Meer singen, heute atmet das Herz die Luft der Freiheit ein. Spanien war niedergerungen worden, seine Städte und Dörfer lagen in Schutt und Asche, zerbombt von der Legion „Kondor“, zermalmt von einem gnadenlosen Bürgerkrieg. Das Volk war verblutet, zermürbt und enttäuscht, die Demokratie geschlagen. Das war die furchtbare Wirklichkeit, die hinter der siegreichen Heimkehr der gefeierten Legionäre stand. Und niemand wußte oder wollte es begreifen, daß die Intervention Deutschlands und Italiens im Spanischen Bürgerkrieg eine große Generalprobe darstellte für das, was die Diktatoren im Schilde führten: die Niederringung der Demokratie weltweit, die Etablierung ihrer Gewaltherrschaft in Europa und im ganzen Mittelmeerraum. Einstweilen holte man die Früchte der Appeasement-Politik ein und sprach vom ewigen Frieden. Am 15. März 1939 hatte Hitler gewaltlos die Tschechoslowakei in Besitz genommen, am 22. Mai schlossen Deutschland und Italien den „Stahl-Pakt‘ — nun herrschte Frieden. Ein alter Herr, der jüdische Publizist aus Mailand, GuidoL. Luzzatto, einer der wenigen Überlebenden der großen italienischen Familien mit uralter jüdisch-zivilisatorischer Tradition jenseits der Alpen, schreibt dazu: „Jene Tage von 1939 wiederzuerleben muß für alle, die sich noch daran erinnern, bedeuten, Bilder heraufzubeschwören, die wegen der langen Zeit, die dazwischen liegt, verblaßt sind. Es geht darum, die Stimmung von damals, deutlich und ohne Abstrich, wieder ins Gedächtnis zu rufen. Wir waren damals optimistischer als heute, denn damals hatten wir noch nicht all die furchtbaren Schrecken ge66 sehen, all die unerhörten und unvorstellbaren Grausamkeiten miterlebt, die nachher kamen. Wir hatten Vertrauen und waren noch voller Illusionen, und man soll sich nicht schämen, von jenen Hoffnungen und dem damaligen Zukunftsglauben zu reden. Niemand von uns hätte jemals an eine so furchtbare und sinnlose Grausamkeit geglaubt, wir waren alle davon überzeugt, daß die Menschen in Europa besser waren, als sich später herausstellte. Da wir die kommenden Erfahrungen noch nicht kannten, stand es uns zu, uns zu täuschen.“ 1939 in Italien — die große Täuschung. Freiheit, Friede, Optimismus... In den süßen Frühlingslüften vermengten sich Düfte mit Melodien. Giuseppe Lugo, ein strahlender Tenor, schmetterte den Schlager ‚„‚Vento“, und das ausgelassene Lied „Voglio vivere cosi, col sole in fronte“ war fast zur Nationalhymne geworden. Schaffenskraft und Tatendrang hatten das ganze Land, auf allen Ebenen, erfaßt. Diese Aufbruchsstimmung, dieser unbändige Optimismus hatten sich auch derer bemächtigt, die eigentlich einen krassen Widerspruch und Anachronismus im Mailänder Frühling von 1939 darstellen sollten und deren Los tatsächlich all dem entgegenstand, was da vorgetäuscht wurde: die vielen deutschen und österreichischen Juden, denen es gelungen war, nach Italien zu flüchten. Sie hatten alles verloren, waren fremd, arm, in Sorge, unsicher, existenzlos, aber es schien ihnen doch, daß das Ärgste nunmehr hinter ihnen lag. Sie hatten es überstanden, die Welt war heil... Noch waren Coventry, Dresden und Warschau, Hiroshima und Nagasaki schöne, intakte historische Städte, die man vom Hörensagen, aus Literatur und Oper kannte. Noch niemand kannte Auschwitz, Maidanek, Bergen-Belsen, Mauthausen, Treblinka... So wie Italien schien ganz Europa entspannt und glücklich. Der Frieden war ja gerettet. Wen kümmerte es, was in Deutschland und in den besetzten Gebieten geschah. Man muß