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Karl Müller Am 8. Juni 2005 wurde Univ.Prof. em. Erika Weinzierl die Ehrenmitgliedschaft der Theodor Kramer Gesellschaft verliehen (im Rahmen der Präsentation des Trägers des Theodor Kramer Preises für Schreiben im Widerstand und im Exil 2005, Georg Stefan Troller, in den Räumen der ESRA, 1020 Wien). Nein, Staats- und Wissenschaftspreise, Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst oder höchstrangige Ehrenmedaillen und Auszeichnungen für Ihr in unseren Augen in jeglichem Sinne so reiches wissenschaftliches Werk, für Ihre außergewöhnlichen publizistischen Leistungen und Ihre bewunderungswürdig aufrechte geistige und politische Haltung haben wir als Theodor Kramer Gesellschaft (TKG) freilich nicht zu vergeben. Die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft unserer Gesellschaft, die nach dem wohl größten Lyriker Österreichs im 20. Jahrhundert und tief mit Österreich verbundenen NS-Verfolgten und Exilanten Theodor Kramer benannt ist, und der Sie, sehr verehrte Frau Prof. Weinzierl, als eine der ganz wenigen akademischen Persönlichkeiten Ihrer Generation angehören, mag im Lichte der genannten Ehrungen gering und unbedeutend erscheinen, kam aber bisher nur zwei Persönlichkeiten, nämlich der Exillyrikerin Stella Rotenberg und dem ersten Vorsitzenden der TKG und Nachlassverwalter von Theodor Kramer, Prof. Erwin Chvojka. Freilich, in Wahrheit ehren Sie durch Ihre Mitgliedschaft die Anliegen und die Arbeit der Theodor Kramer Gesellschaft — wir sind uns dessen sehr bewusst. Denn wir wissen, wen wir mit Ihnen in unseren Reihen haben, welche Wissenschaftlerin und couragierte Österreicherin und Frau wir in Ihnen ehren. Als eine der ersten Universitätshistorikerinnen der Zweiten Republik, wenn nicht als die erste überhaupt, ja als die erste, haben Sie — früh geprägt und aufgerüttelt durch ein anti-faschistisches und österreichisch-patriotisches Elternhaus und durch bedrängendste persönliche Erfahrungen mit Rassismus, Nationalsozialismus und Krieg — systematisch und schließlich unablässig den skandalösen Zivilisationsbruch des 20. Jahrhunderts in das Zentrum ihrer wissenschaftlichen und publizistischen Arbeit gerückt, haben immer wieder nach der Verantwortung nicht nur jedes einzelnen/jeder einzelnen, sondern insbesondere nach den tiefen historischen, gesellschaftlichen und geistig-seelischen Wurzeln von Antijudaismus und Antisemitismus, nicht zuletzt nach der Rolle und Verantwortung von kirchlichen Repräsentanten, aber natürlich auch anderer Institutionen und Instanzen gefragt — gestern und heute. Damit haben Sie es sich in keiner Weise leicht gemacht, ja, Ihre wegweisenden Forschungen — etwa „Zu wenig Gerechte. Österreicher und Judenverfol72 gung 1938-1945“ — mussten sich erst gegen eine nach 1945 überlang dauernde Hegemonie des Vergessenmachenwollens, des Verdrängens, des Verniedlichens, ja gegen alle möglichen Formen und Versuche von Geschichtsfälschung Gehör und Stimme verschaffen. Nie haben Sie in Ihren Arbeiten die Tragödie der Opfer des rassistischen Wahns und jene, die Widerstand geleistet haben, aus den Augen verloren. Ihrem inneren Festhalten am Streben nach Gerechtigkeit in aller lebendigen Widersprüchlichkeit des Faktischen begegnen wir mit großem Respekt. Geschichte war für Sie nie Vergangenes, sondern unmittelbar Gegenwärtiges, dessen Schoß nicht frei zu werden scheint von Kontinuitäten und Phänomenen des Rassistischen, des Inhumanen, des Vorurteils. Daraus ergibt sich Ihr authentisches öffentliches Engagement — in der Einmahnung von politisch-moralischer Verantwortung bei den politischen Eliten ebenso wie bei den Staatsbürgern, Ihre pazifistische Haltung, Ihr Eintreten für eine humane Asyl- und Migrationspolitik, Ihre Menschenrechtsaktivitäten. Ihre wissenschaftlichen Arbeiten leisteten und leisten einen unverzichtbaren Beitrag für das, was man heute ,,Gegenerinnerung“ nennt, die es bis heute nicht leicht hat in diesem Osterreich, dem Sie in Zuneigung und zugleich Sorge verbunden sind, wie Sie kürzlich einmal gesagt haben. Daß wir Sie für Ihre Mitgliedschaft in der TKG ehren können, hat seinen Grund auch in der Vielseitigkeit, mit der Sie sich den Fragen unserer Zeit nähern, der selbstverständlichen Kenntnisnahme nicht nur des im engeren Sinne Historischen, sondern auch der Literatur, der Kultur, der Sphären, in denen sich nicht allein Objektivität darstellt, sondern Subjektivität gestaltet. Ihre Forschungen und die vielen, vielen Forschungen, die Sie angeregt und die eine Generation von Historikern entscheidend vorangebracht haben, waren immer auch eine Grundlage und Voraussetzung unserer Arbeit. Was Sie erreicht haben, ist Ihr ganz großer persönlicher Erfolg — gegen viele Widerstände. Aus all dem ergibt sich genuin Ihre Verbundenheit mit dem österreichischen intellektuellen und künstlerischen Exil, jener Dimension einer bedrängenden Vergangenheit und Gegenwart, die auch im Zentrum der vielfältigen Arbeit der Theodor Kramer Gesellschaft steht. Erika Weinzierl, geb. 1925 in Wien, gehörte als Geschichte- und Kunststudentin in der NSZeit der widerständigen Gruppe um den Geistlichen Karl Strobl an. 1948-1964 am Haus-, Hof- und Staatsarchiv tätig, problematisierte sie schon 1963 das Verhalten der katholischen Kirche in der NS-Zeit. Als Universitätsprofessorin in Salzburg und Wien setzte sie sich für eine kritische Erforschung der österreichischen Zeitgeschichte und für die Exilforschung ein und gab ab 1973 die Zeitschrift „Zeitgeschichte“ heraus. Langjährige Präsidentin der „Aktion gegen den Antisemitismus “; Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats der von ihr mitbegründeten Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung. Herausgeberin und Verfasserin zahlreicher Bücher, u.a. „Zu wenig Gerechte. Österreicher und Judenverfolgung 19381945“ (1969) und „Frauen in Österreich im 20. Jahrhundert“ (Neuausgabe 2005). — Karl Müller, Germanist, Universitätsprofessor in Salzburg, ist Vorsitzender der Theodor Kramer Gesellschaft. Emmerich Kolovic Richard Kovacevic (2.3. 1930 — 15.5. 2005) Als ich den in Baden bei Wien aufgewachsen Richard Kovacevic in den späten Fünfzigerjahren kennen lernte, hatte er seine jugendlichen Interessen, wie Klettern und Handballspielen, schon längst ad acta gelegt, ebenso gehörten seine Tätigkeiten als Sportlehrer und Erzieher bald der Vergangenheit an. Mehr als das Geigenspiel und die Liebe zur Alt-Wiener Volksmusik reizte ihn die Schriftstellerei. Am stärksten aber war sein Drang zum Lesen. Daraus resultierte — so wie eins und eins zwei ist — der Brotberuf eines Bibliothekars, den er dann für die Wiener Städtischen Büchereien bis zu seinem 65. Lebensjahr ausübte. Er war kein eigentlicher Büchernarr, der vielleicht nur sammelte oder alles, was ihm unter die Augen kam, verschlang, sondern ein an der Literatur, die nicht unbedingt belletristisch sein mußte, stets Interessierter.