OCR
Noch zuletzt las er Briefe von Ernest Hemingway, einem Autor, der ihm schon zu Beginn seiner Schreibversuche ein Ansporn war, vor allem dessen Kurzgeschichten. Und die kurze Prosa war es auch, wo er sich zu Hause fühlte. Wenn es so etwas wie eine Stufenleiter für den Bekanntheitsgrad gäbe, so wäre Richard Kovacevic nicht einmal auf der untersten Sprosse zu finden. Trotzdem zeugen zahlreiche Veröffentlichungen von seinem schriftstellerischen Wirken. Wie so viele junge Autoren begann auch er in den Neuen Wegen zu publizieren und schrieb dann für verschiedene Tageszeitungen und Zeitschriften; nicht nur Kurzgeschichten, auch Aufsätze und Rezensionen. Mit dem Wiener jüdischen Schriftsteller Hermann Hakel trat eine Persönlichkeit in sein Leben, bei der er viele seiner Dienstleistungen für die Literatur erlernen konnte. Dort auch begegneten wir einander und beschlossen eine Partnerschaft, deren Früchte eigenartigerweise auf dem dramatischen Gebiet geerntet wurden. Als Preisträger in einem Einakterwettbewerb des Steirischen Herbstes 1969 und eines Theaterstückwettbewerbs der Ödön von HorvathStiftung 1971 gelangten wir so für kurze Zeit auf eine Bühne, sowie ins Fernsehen und Radio. Jörg Mauthes legendäres WatschenmannTeam ließ uns dann für die nächsten zehn Jahre an der aktuellen Wiener Satire teilnehmen, ein Genre, das später die Herausgabe vier kleiner Bände aus der hundertfünfzigjährigen Geschichte der Wiener Witzblätter entstehen ließ. Unsere „K.undK.“-Zusammenarbeit erstreckte sich auch auf die Publikation der nachgelassenen Schriften von Hermann Hakel, wobei der Band mit den Impressionen und Träumen unter dem Titel „Zu Fuß durchs Rote Meer“ von Kovacevic allein gestaltet wurde. Die letzte gemeinsame Arbeit war die Vorbereitung eines Brief-Bandes Hakel/Amanshauser, der in diesem Herbst erscheinen wird. Sein 75. Geburtstag im März dieses Jahres war Anlaß für zwei Vorlesungen aus dem ProsaCEuvre und fiir sein letztes öffentliches Auftreten im Rahmen des Osterreichischen Schriftstellerverbandes, der nun mit ihm ein langjähriges und treues Vorstandsmitglied verliert. Hier über die Eigenschaft des Richard Kovacevic zu sprechen, hieße, ihn aufzuscheuchen aus seiner schon zu Lebzeiten gepflogenen Lautlosigkeit, mit der er an allem Künstlerischen teilnahm. Was er nie wollte war: von-sich-reden-machen. Auch das ist eine Kunst, die nur wenige können. Ebenso das Hinterhören, eine ihm eigene Sensibilität für die Umgangssprache. Seinen Gedankengängen zu folgen, fiel nicht immer leicht; sie standen mit seinem sonst schlichten Wesen oft in Widerspruch. Skepsis und Abneigung gegenüber der technisierten Gesellschaft von heute teilte ich mit ihm. Weniger seine Einstellung zum Alltagsleben, für das er sich — was auch der Tatsache entspricht — keine grauen Haare wachsen ließ. Italien, Tschechien, Paris und jahrzehntelang das Ausseerland waren alles, was er sich von der großen Welt zu Gemüte führte. Wünsche oder Ansprüche auf irgendwas besonderes äußerte er nie, auch nicht, was nach seinem Abgang geschehen soll. In sein Tagebuch schrieb er einmal, daß zu befürchten sei, auch nach dem Tode nicht erfahren zu können, was das Leben eigentlich bedeutet hat. In diesem Tagebuch sind noch viele Seiten leer geblieben. Jetzt aber muß es geschlossen werden. „Denn morgen kommt ein Tag wie alle Tage. Aber nicht für dich.“ Richard Kovacevic Zeitvertreib Wir haben mitunter ein äußerst laxes Verhältnis zu gewissen Worten und Begriffen, die wir nichtsdestoweniger tagtäglich mit der größten Selbstverständlichkeit verwenden, ganz so, als hätten wir sie tatsächlich vor dem Gebrauch einer gründlichen Definition unterzogen; wir benützen sie einfach wie poesielose Gebrauchsgegenstände materieller Natur und merken dabei gar nicht, mit welcher Bedenken- und Gedankenlosigkeit wir in solchen Fällen operieren. Das Wort „Zeitvertreib“ zum Beispiel erfreut sich der allergrößten Beliebtheit, was nicht weiter verwunderlich ist, wenn man bedenkt, daß wir sowohl mit der Zeit als auch mit dem Trieb so leichtfertig umgehen, als handle es sich um Wegwerfflaschen. Daß es sich aber allein bei der Erfindung dieses Wortes um einen absonderlichen Größenwahn unsererseits handelt, belastet uns in keiner Weise. Es gibt zahllose Arten, „sich die Zeit zu vertreiben“, und ebensoviele Industriezweige sind uns bei dieser Tätigkeit behilflich. Einer philosophischen und etymologischen Untersuchung des Wortes gehen wir gerne aus dem Weg, weil wir, einmal auf fixen Bahnen in Bewegung, uns nur ungern irritieren lassen. Jede ernstgemeinte Auseinandersetzung mit dem Begriff der Zeit würde aber unweigerlich eine solche Irritation hervorrufen. In der Philosophie zum Beispiel stellt die Zeit eines der Grundprobleme dar, dem kein Geringeres als die Ewigkeit gegenübersteht. Und wenn man ferner bedenkt, daß Wissenschaften wie die theoretische Physik oder die Kosmologie von einer Zeitordnung ausgehen und ohne eine solche gar nicht denkbar sind, - dann erkennt man zwangsläufig, welchen Unfug es bedeutet, an etwas wie „Zeitvertreib“ auch nur zu denken ! Etwa in der Mitte des dritten Lebensjahres wird die Besonderheit der Zeit dem Menschen halbwegs erfaßbar; und ungefähr im gleichen Alter beginnt er „sich die Zeit zu vertreiben“, Es liegt nahe, diese Entwicklung so zu deuten, daß er ein Geschenk erhalten hat, mit dem er nichts anzufangen weiß. Aber was ist das denn eigentlich, das wir so oberflächlich zu „vertreiben“ behaupten? Wir sind nicht imstande, Zeit zu produzieren. Wir haben auf Herkommen, Ablaufund Vergehen keinen Einfluß. Wir können Berechnungen aufstellen, aber Berechnungen sind keine grundsätzlichen Erklärungen. Zeit ist zweifellos etwas, das uns von unbekannter Seite her zugemessen wird. Diese jedem einzelnen zugemessene Zeit aber beginnt unweigerlich mit seiner Geburt und endet ebenso unweigerlich mit seinem Tod. Es kann sich also nur um unsere Lebenszeit handeln, mit der wir da so rigoros verfahren. Folgerichtig vertreiben wir uns keine Zeit, auf die wir ja keinen Einfluß haben, sondern Teile unseres Lebens. Und diese Verluste sind unersetzbar, denn unser Leben spielt sich innerhalb einer gewissen Zeit ab, und so unwiederholbar wie diese ist auch das, was in ihr geschieht. Die Zeit ist also nicht von uns abhängig, sondern wir sind es von ihr, und die Konfusion, die durch die Verwendung eines Wortes wie „Zeitvertreib“ entstehen muß, zeigt sich schon darin, daß wir hier mit etwas manipulieren, das sich in Wahrheit unseren Intentionen entzieht. Wir sind gewohnt, zwischen der Natur und uns eine Ebenbürtigkeit herzustellen, die in keiner Weise der Wirklichkeit entspricht. Auf dieselbe Weise verfahren wir mit der Zeit. Und so wie uns die Natur von Zeit zu Zeit unsere beschämende Hilflosigkeit ihr gegenüber aufzeigt, so macht uns auch in bestimmten Stadien unseres Lebens der gesetzmäßige Ablauf der Zeit ein für allemal klar, daß alle unsere Versuche, sie in irgendeiner Art zu beeinflussen, in höchstem Maße lächerlich sind. Daß „Zeitvertreib“ aber durchaus ein gefährliches Unternehmen ist, beweist uns die populäre Steigerungsform von „sich die Zeit vertreiben“; diese lautet nämlich: „die Zeit totschlagen“. Hier aber stehen wir vor einem juristischen Paradoxon, da es sich bei diesem Totschlag um Selbstmord handelt! 73