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Nationsbildung in Afrika im Zuge der Entkolonialisierung anhand der Beispiele Ruanda und Somalia hervor und plädierte für eine Neuorientierung der Entwicklungspolitik, worunter er eine Abkehr vom „Gießkannenprinzip“ der deutschen Entwicklungshilfe verstand. Die Tagungsbeiträge von Edzard Reuter, Claudia Curio und Fritz Kieffer stellten gegenüber den eben genannten gesellschaftspolitischen Ausführungen historische Betrachtungen in den Mittelpunkt ihrer Beiträge: Reuter, ehemaliger Vorstandsvorsitzender von Daimler-Benz und Sohn des ersten Westberliner Oberbürgermeisters Ernst Reuter, leitete seinen Vortrag mit dem Titel Als Flüchtlinge willkommen. Die Aufnahme von Asylbewerbern aus NS-Deutschland in der Türkei mit einem nachdrücklichen Bekenntnis zu einem EU-Beitritt der Türkei ein. Warum dieses Plädoyer derart emphatisch ausfiel, wurde dann im zweiten Teil seines Beitrags deutlich. Seine Familie hatte aus politischen Gründen Mitte der 1930er Jahre in die Türkei flüchten müssen, wo sich sein Vater als Professor an der Hochschule für Politik in Ankara etablieren konnte. Als Mitglied einer kleinen ca. 250-300 Personen umfassenden Elite deutschsprachiger Akademiker, die in die Türkei geflüchtet waren, hatte er die Möglichkeit, einen Beitrag zur Öffnung und Modernisierung des Gastlandes zu leisten. Edzard Reuter selbst erfuhr den Großteil seiner Ausbildung in der Türkei und dürfte kaum negative Erfahrungen gemacht haben, selbst dann nicht, als die deutschen Exilanten 1944 für ein halbes Jahr in Dörfern interniert wurden, da die Türkei auf Seiten der Alliierten in den Krieg eingetreten war. Das Exilland Großbritannien hingegen, das nach dem Novemberpogrom nahezu 10.000 gefährdeten Kindern aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei — offiziell vorerst als „Transmigranten“ — Aufnahme gewährte, wurde von Claudia Curio in ihrem Vortrag über Unbegleiteite minderjährige Flüchtlinge — Das Beispiel Kindertransport 1938/39 gewürdigt. Über die Darstellung dieser einzigartigen Rettungsaktion hinaus versuchte Curio auch, auf den aktuellen rechtlichen Status von minderjährigen Flüchtlingen einzugehen, und kam in ihrem Resümee zu dem deprimierenden Resultat, daß die Exilpolitik im heutigen Deutschland gegenüber Minderjährigen, die in ihrer Rolle als Kinder bzw. Jugendliche und Migranten doppelt verletzlich seien, einen Rückschritt gegenüber der Haltung der Briten 1938/39 darstellt. Fritz Kieffer behandelte in seinem Referat die von Roosevelt in einer „Nacht- und Nebelaktion“ initiierte Flüchtlings-Konferenz von Evian 1938 sowie ihre Vorgeschichte, bot aber gleichzeitig auch einen allgemeinen Überblick über die zögerliche Haltung der europäischen Staaten und der USA gegenüber den vom Nationalsozialismus aus Deutschland und Österreich vertriebenen Juden. Frank Caesteker, der über Tradition und Ten78 denzen europäischer Flüchtlingspolitik sprach, versuchte, den Bogen der internationalen Flüchtlingspolitik von den 1930er Jahren bis heute zu spannen. In den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellte er insbesondere die Genfer Konvention von 1951, in der erstmals eine breite Definition des Begriffs „Flüchtling“ enthalten war. Caestecker beschrieb die Entwicklung des Flüchtlingswesens innerhalb Europas bis zu den Verträgen von Schengen 1995 und dem Amsterdamer Vertrag 1999. Das Ziel des letzteren, bis 2004 eine einheitliche Richtlinie in der Flüchtlingsbehandlung zu erreichen, konnte bisher nicht erfüllt werden. Aktuelle Beispiele für die Abwehr bzw. in einem Fall gelungene Integration von Asylwerbern brachten die Referate von Juliane Wetzel, Axel Kreienbrink, Peter Widmann und — noch einmal — Wolfgang Benz am zweiten Tag der Veranstaltung. Benz, u. a. auch Honorarprofessor der Universität New South Wales und bekennender Australienfan, zog in seinem Beitrag Die Pazifische Lösung: Die Politik des Abschreckens und Einsperrens in Australien eine negative Bilanz über die von der australischen Regierung exekutierte rigorose Politik der Verweigerung gegenüber politischen Asylsuchenden, die auf der Doktrin der pazifischen Lösung von 2001 beruht. Die Tatsache, daß das Ersuchen um politisches Asyl in Australien ein gültiges Visum voraussetzt, das für einen Verfolgten kaum zu erlangen ist, es ohne Visum aber aufgrund der Illegalität zur Internierung und Deportation kommt, stellt für den Asylanten ein schier unüberwindbares Hindernis dar. Die Flüchtlinge, die es nach Australien schaffen, werden unweigerlich in Haftstätten im Land, von denen es sechs gibt, oder in eines der beiden exterritorialen Lager gebracht. Besonders das Lager auf dem pazifischen Inselstaat Nauru könnte als Prototyp für eine in Europa angestrebte ähnliche Lösung des Flüchlingsproblems mißbraucht werden: ein Detention Camp, das von Australien bezahlt wird, aber nicht in der Verantwortung der Australier liegt und die Flüchtlinge aus dem allgemeinen Bewußtsein der Öffentlichkeit heraushält bzw. gleichzeitig der Abschreckung dient. Nach der allgemeinen Darstellung der australischen Asylpolitik berichtete Benz auch von seinem Besuch des Lagers Villawood bei Sidney und griff dabei einige besonders erschütternde Schicksale von Internierten heraus. Nicht minder drastisch war die Darstellung, die Juliane Wetzel über Italien und die Bootsflüchtlinge aus Afrika bot, insbesondere über die Insel Lampedusa nahe der afrikanischen Küste, erstes, da nächstes Ziel der „clandestini“ aus Afrika. Die unbeschreiblichen menschlichen Tragödien, die sich in den Gewässern rund um die Insel abspielen, die Abwehrhaltung der Inselbevölkerung, die ungesetzlichen Massendeportationen etc. stehen in Kontrast zu der einstigen eher verändnisvollen Haltung der Italiener gegenüber jüdischen Flüchtlingen im Zweiten Weltkrieg. Trotzdem muß gesagt werden, daß das Schicksal derjenigen, denen es gelingt, weiter ins Land zu kommen, in Italien ein besseres ist als in anderen europäischen Ländern. Vertieft wurde die Sichtweise auf die südeuropäische Situation noch durch Axel Kreienbrink mit einem Blick auf Spanien als Bollwerk Europas gegen unerwünschte Asylsuchende und die Problematik des Versuchs, das Vorwerk des ,,Bollwerks“ nach Nord-Afrika zu verschieben. Im Ansatz positiver war Peter Widmanns Beitrag über Flüchtlingspolitik in Berlin. Die Frage der Integration einzelner ethnischer Gruppen, der die Situation der vietnamesischen Vertragsarbeiter in Ostberlin derjenigen der ,,boat people“ in Westberlin gegenüberstellte. Resümierend kann festgehalten werden, daß in dieser informativen Veranstaltung grundlegende Fakten zur Asylproblematik in Vergangenheit und Gegenwart dargelegt wurden. Es wäre zu wünschen, daß bei eventuellen Folgetagungen diese Problematik geographisch bzw. durch die Einbeziehung etwa von Migrationsforschern, Demographen, Soziologen und Juristen um weitere interdisziplinäre Ansätze ausgeweitet wird, wie es im Beitrag von Claudia Globisch über die Theorie des italienischen Philosophen Giorgio Agamben (Flüchlingslager: Orte des Ausnahmezustands als Paradigma der Moderne) versucht wurde. Ein Tagungsband der diesjährigen Veranstaltung wurde für das Frühjahr 2006 angekündigt. Elisabeth Lebensaft/Christoph Mentschl „Isidro-Fabela-Promenade“ in Wien-Donaustadt eröffnet „Wien“, schrieb Gerhard Drekonja-Kornat in MdZ Nr. 1/1998 (Schwerpunktheft „Exil in Mexiko“), „hat inzwischen seinen ... MexikoPlatz. Wo aber bleibt die Isidro FabelaPromenade?“ Nach sieben Jahren war es nun so weit. Die Rathaus-Korrespondenz meldet: Mit einer Straßenbenennung im Bereich der Donau-City ehrte die Stadt Wien Isidro Fabela ... Die feierliche Benennung der Verkehrsfläche, die vom Platz der Vereinten Nationen über die Carl-Auböck-Promenade in Richtung Donauinsel führte, in „IsidroFabela-Promenade“, fand am ... 20. Mai [2005] statt. Kulturstadtrat Dr. Andreas Mailath-Pokorny nahm die Bennennung gemeinsam mit dem Gouverneur des Bundesstaates Estado de Mexico, Arturo Montiel Rojas, und der Bezirksvorsteherin der Donaustadt, Renate Winklbauer, vor. Bundespräsident Dr. Heinz Fischer hatte den Ehrenschutz der Veranstaltung übernommen. Isidro Fabela (1882 — 1964), so DrekonjaKornat, Humanist, Jurist, Völkerrechtler und Kunstsammiler, leitete zwischen 1937 und 1940