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von Lidice. Im Mittelpunkt steht der 52-jähri¬
ge tschechische Eisenbahnbeamte Josef Rada,
der in Prag lebt und arbeitet. Rada geht an die¬
sem Tag wie gewohnt zur Arbeit, bemerkt erst
spät die Angst und Sorge seiner Kollegen und
erlebt ungläubig den Einmarsch der Deutschen
in Prag: „Das ist nicht möglich“, kommentiert
er die Berichte seiner Kollegen, schiebt seine
Arbeit zur Seite und tritt ans Fenster, um sich
selber zu überzeugen. Fassungslos bemerkt er
eine Hakenkreuzfahne und beschließt,
zunächst ruhig zu bleiben, denn ,,wenn wir ru¬
hig bleiben, werden wir über alle Gefahren
hinwegkommen“. Doch bereits im Gespräch
mit seiner Frau und seinem Sohn wird er sich
der Pflicht bewusst, „jeden Tschechen, der sich
vor der Gestapo verbergen mußte, aufzuneh¬
men“. Zunächst jedoch scheint das Leben von
Josef Rada und seiner Familie wie gewohnt
weiterzugehen: Rada arbeitet in seinem Amt,
der Sohn studiert an der Universität, und die
Mutter geht ihren hausfraulichen Arbeiten
nach. Doch schon nach zwei Tagen der
Besatzung werden Kollegen von Rada ver¬
haftet, und in den nächsten Wochen wird das
Leben für Josef Rada, seine Kollegen und sei¬
ne Familie immer schwieriger. Havelka,
Mitglied der Widerstandsbewegung und
Arbeitskollege Radas, führt ihn in die Arbeit
des Widerstands ein, ohne dass seine Frau und
sein neunzehnjährigen Sohn Edmund etwas
davon ahnen. Der Widerstandsbewegung ge¬
genüber steht der Kollaborateur Miroslav
Fobich, Radas Chef, den Rada in seiner Ju¬
gend einmal vor dem Frtrinken rettete. Seit¬
dem buhlt Fobich um seine Freundschaft.
Rada dagegen verabscheut Fobich zunächst,
hasst ihn schließlich. Radas Aufgabe besteht
darin, den Widerstand über das Verfrachten
von Waffen mit der Eisenbahn zu informieren,
der dann diese Züge entgleisen lässt. Sowohl
Fobich als auch Rada werden am Ende hin¬
gerichtet. Rada wegen seiner Widerstands¬
tätigkeit, Fobich aufgrund der Aussage Radas.
Rada gibt wahrheitsgemäß zu Protokoll, dass
Fobich unschuldig sei und von den Sabo¬
tageakten nichts gewusst habe. Die Gestapo
zieht daraus ihre eigenen Schlüsse und ver¬
haftet Fobich.

Winder beschreibt bewusst den tschechi¬
schen Antifaschismus und nicht den deut¬
schen. Zwar kann sein Glaube an einen akti¬
ven tschechischen Antifaschismus die
Tschechen im „Reichsprotektorat Böhmen
und Mähren“ nicht erreichen, aber Winder de¬
monstriert solchermaßen seine Loyalität dem
tschechischen Volk gegenüber.

Nicht nur stofflich ist Winders Pflicht ein le¬
senswerter Roman, auch die sachlich-konkre¬
te Sprache überzeugt. Die Aufmachung des
Buches durch den Verlag verstärkt äußerlich
und haptisch diesen Genuss: In Leinen ge¬
bunden und mit Fotografien und Zeichnungen
des Autors versehen, ist die Ausgabe auch im
Bücherregal ein Blickfang. Der Herausgeber
Christoph Haacker schreibt zudem ein infor¬
matives Nachwort, das das Interesse an wei¬
teren Neuausgaben von Winder erweckt. „Ich

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zweifle nicht daran, dass man ihn neu ent¬
decken wird, sagte Max Brod einst über

Ludwig Winder.
Jana Mikota

Ludwig Winder: Die Pflicht. Roman. Mit ei¬
nem Nachwort hg. von Christoph Haacker.
Wuppertal: Arco 2003. 204 S. Euro 22,-/
SFr 33,¬

Brandungsgedichte

Mit dem 99. Band der Reihe Lyrik aus Öster¬
reich stellt der Grasl-Verlag die Gedichte ei¬
ner mehrfach ausgezeichneten Autorin vor.
Mechthild Podzeit-Lütjen konnte nach
Publikationen in Zeitschriften und Antho¬
logien mit ihren beiden zuletzt erschienenen
Büchern ihr Publikum neugierig machen, was
bei Lyrik keineswegs selbstverständlich ist.
Wird doch der Leser hier durchaus gefordert,
es wird ihm nicht leicht gemacht, der Sen¬
sibilität der Sprache und dem besonderen
Umgang mit ihr gerecht zu werden, der
Ganzheit der einzelnen Texte, aber auch dem
notwendigen Miterleben und Nachvollziehen
des Schreibakts. Wer dabei allzuschnell zu
verstehen glaubt, bringt sich selbst um den
Lesegenuss.

Häufig zeichnen Widmungen oder Fußnoten
die in Gruppen geordneten Brandungsgedichte
aus: Programm und Bezüge. Dadurch ergeben
sich zusätzliche Assoziationsmöglichkeiten
und die nötige Transparenz, die durch kunst¬
fertige Abriegelungen der Sprache und raffi¬
nierte Verschiebung von Atemperioden nicht
immer von vornherein gegeben erscheint,
„weil/ wir keine Sprache/ nur Wörter haben/
weil/ wir Gedanken in/ Schweigen ver¬
packt...“ und „WörterStimmenSucht“ die
Lust am Fabulieren vorantreibt. Dem Leser
bleibt es aufgegeben, dem Wechsel der
Bedeutungen mehr zu entlocken als vorder¬
gründig zu fassen sein mag: „... die Wärme
hebt die Worte/ hinter dem Fensterglas/ die
Sonne sein lassen/ die Worte sind ein Mobile/
sie sein lassen“.

„Findung in den Gesteinsschichten“ und
„vollgesaugte Gedankenmoose“ bilden den
Untergrund für Mechthild Podzeit-Lütjens
Reflexionen, ihren operativen Zugang zur
Sprache und deren bewußte Gestaltung. Ein
breites Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten
erlaubt reizvolle Wechselspiele von
Sinnesfreude und tiefgründiger Auseinan¬
dersetzung mit Lebenswirklichkeiten, mit
Liebe und Tod, oft in verhaltenen Tönen und
besonders berührend als leises „anmuten las¬
sen fragen“.

Der Zauber dieser Lyrik liegt in der schein¬
baren Leichtigkeit, mit der Lebenslügen,
Täuschung, Angst oder Ungewißtheit sich in
muntere Wortspiele verwandeln, Schaumkro¬
nen über den Brandungswellen des Daseins.
Mechthild Podzeit-Lütjens Gedichte entstehen
aber nicht nur aus Sprachkönnen und philo¬
sophischem Grunddenken, viel mehr noch aus

Erfahrung und tiefer Betroffenheit über das,
was Menschen mangelt, was ihnen geschehen
ist und oft genug noch immer geschieht. So er¬
weisen sie sich am Ende als „beklemmende
Zeugen/ des Ungeheuren“ und beleuchten
verdeckte Lebenswelten in Verantwortlichkeit,
Hingabe und Distanz.

Rosemarie Schulak

Mechthild Podkeit-Lütjen: Dünen. Wächten.
Brandungsgedichte. Baden bei Wien: Grasl
2004. 64 8. Euro 8,- (Lyrik aus Österreich. Hg.
von Manfred Chobot. Bd. 99).

„Servitengasse 1938“

Schicksale der Verschwundenen

Wir suchen Zeitzeugen, Erinnerungen, Fotos
und allseitige Dokumentationsmaterialien
über unserer jüdischen MitbürgerInnen. In der
Sevitengasse, exemplarisch für viele andere
Gassen des 9. Wiener Bezirks, waren bis zur
Machtübernahme durch die Nationalsozia¬
listen, oft mehr als die Hälfte der Haus¬
bewohner jüdischer Herkunft. Über Nacht
wurden sie zu „Feinden“, konnten ausgegrenzt
und beraubt werden; Delogierungen, Depor¬
tationen und der verzweifelte Kampf um ein
Asylland gehören zu dieser Geschichte. Wir
wollen wissen, was mit den Menschen gesch¬
ah? Hatten sie Kinder? Gibt es Überlebende
oder Nachkommen?

Wir wollen uns durch ein sichtbares Symbol
in der Öffentlichkeit ihrer erinnern und durch
gemeinsame Vermittlungsarbeit ihr Schicksal
in das Gedächtnis unseres Bezirkes ein¬
schreiben.

Projekt von Bürgerinnen und Bürgern aus dem
9. Bezirk und der AGENDA 21 Alsergrund. —
Interessierte wenden sich bitte an:
„Servitengasse 1938“, c/o Agenda 21 am
Alsergrund, A-1090 Wien, Liechtensteinstr.
81/1/1, Tel. 0676 7066138, eMail: Serviten¬
gasse1938@gmx.at

Ehrendoktorat fiir
George Clare

Die National University of Ireland, Galway,
verlieh dem 1920 in Wien geborenen
Verlagsleiter und Exilschriftsteller George
Clare am 24. Juni 2005 die Ehrendoktorwürde.
Clare fand 1938-41 in Irland Zuflucht. Die
Laudatio hielt Prof. Eoin Bourke, der Clares
Bücher „Berlin Days 1946-47“ (1989) und
„Last Waltz in Vienna. The Rise and
Destruction of a Family“ besonders hervor¬
hob. „Letzter Walzer in Wien“ ist zuletzt 2001
wieder bei Mandelbaum, Wien, erschienen.
(Zu G. Clare vgl. auch Hemut Kusdats
Beitrag in ZW Nr. 4/2000, S. 10-13.)