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Sperrgebiet, und so brachte man uns nach Radautz. Am 14. Oktober fingen die Deportationen nach Transnistrien an. Also: in Sereth gab es nach dem 22. Juni überhaupt keine Juden, auch keine Deutschen. Was Katz schrieb, ist Unsinn. Edgar Hilsenrath, Berlin, 25.2. 2005 Der Schriftsteller Edgar Hilsenrath lebte vom Sommer 1938 bis zu seiner Deportation mit seiner Mutter bei den Großeltern in Sereth. Das Elend im Ghetto von Mogilev-Podolsk hat er in seinem großen Roman „Nacht“ dargestellt (neu erschienen 2004 im Rimbaud Verlag; dort finden sich im Nachwort wieder andere Angaben zum Schicksal der Serether Juden). In einer Würdigung von Leo Katz’ Roman „Totenjäger“ schreibt Erich Hackl („Die Presse“ /Spectrum, 2. Juli 2005): Kurioserweise beruht der hohe Rang des Romans gerade auf Katz’ Irrtümern und Illusionen. Er schafft ergreifende Szenen, in denen Christen und Juden und Heiden zueinander finden, einander als Gleiche wahrnehmen, als Gleiche beistehen, sich miteinander verbünden. Und da sind die Partisanen, die von einem schwer zugänglichen Sumpfgebiet aus operieren ... Bei ihrer Darstellung denkt man an Theodor Kramers Gedicht „Slawisch“, wo auch keine Silbe triumphalisch, keine Phrase hohl anmutet, und aus dem doch die Gewißheit spricht, daß die Verhältnisse nicht so bleiben, wie sie sich darstellen. Sie sind, in Sereth und anderswo, nicht so geblieben. Aber sie sind auch nicht so geworden, wie Leo Katz es sich gewünscht hat. Zu Susanne Gföllers „Ein Durcheinanderleben — Bilanz eines Emigranten. Der Bühnenschriftsteller Edmund Wolf wurde im Exil zum Dokumentarfilmer“ in ZW Nr. 2/2004, S. 38-44: Susanne Gföller schreibt: „In der englischen Gesellschaft legte man auch größeren Wert auf Besitz und Leistung als auf Kultur und Bildung.“ Wo hat sie denn das her über das Land von Shakespeare? Weniger Wert auf Kultur als wo? Im damaligen Österreich und Drittem Reich? Zur „Kultur“ gehört auch, wie man sich den Mitmenschen gegenüber benimmt, und nicht nur, wie viele Karten im Theater verkauft werden. Schließlich hat das „Land der Dichter und Denker“ der „Kultur“ damals „Gute Nacht“ gesagt. Trotz Geigenspiel in Auschwitz, Theater in Theresienstadt und Abendchor in Dachau (eigene Erfahrung). [...] Sie schreibt, daß man „unter schwerer militärischer Bewachung in Lager transportiert, die oft erst halb fertig waren“, wurde. [...] Wir Oxford-Emigranten wurden ... schließlich interniert. Ein Polizist kam eines schönen Morgens zu mir an die Arbeitsbank in der Fabrik und sagte mir höflich, daß ich mitkommen, meinen Koffer packen und am nächsten Vormittag für die Abfahrt bereit sein solle. [...] Wir waren etwa ein Dutzend auf einem Lastwagen ..., von einem einzigen Soldaten bewacht ... Es gab Sandwiches und Getränke für alle. Das Ziel war Devon. [...] Es war ein warmer ... Sommertag. Nach zwei oder drei Stunden blieb der Wagen vor einer „Pub“ stehen. ... die Wache und der Fahrer gingen ... fröhlichen Mutes ihr Bier trinken. Wir blieben oben und aßen unsere Brote. [...] Dann ging es weiter bis Paignton in Devon. Das „Lager“ war eine Feriensiedlung mit improvisiertem Stacheldraht rundherum. [...] Im Winter waren wir im ,,Lager“ auf der Isle of Man. Das waren Strandhäuser, die durch Stacheldraht ... von den normal bewohnten Häusern getrennt waren. Da gab es genug Heringe zu essen und in der Lageruniversität genug zu lernen. Es war manchmal nicht leicht. Aber wir waren vor einem unvergleichlich ärgeren Schicksal bewahrt und nicht viel später dankbar als freie Bürger voll in Leben und Werk des Landes tätig. Ernst Eisenmayer, Wien, undatiert (Anfang 2005) Familiengeschichte(n). Erfahrungen und Verarbeitung von Exil und Verfolgung im Leben der Töchter 15. internationale, interdisziplinäre Tagung der AG „Frauen im Exil“ in der Gesellschaft ‚für Exilforschung e.V. in Kooperation mit der Alice-Salomon-Fachhochschule (ASFH) vom 28.-30. Oktober 2005. — Veranstaltungsort: Alice Salomon-FH, Berlin-Hellersdorf, AliceSalomon-Platz 5. Die Tagung will Bedeutung und Gewicht der Erfahrungen von Verfolgung und Exil thematisieren, die den Töchtern über die Geschichte ihrer engsten Angehörigen (das können die biologischen Eltern gewesen sein, aber auch hinzugekommene Pflege- und Adoptiveltern oder andere enge soziale Bindungen aus der Kindheit und Jugend) bewußt und unbewußt weitergegeben wurden und ihr Leben entscheidend geprägt haben: Wie wurde dieses Erfahrungswissen vermittelt? Auf welche Weise hat dieses ‚Erbe’ die Persönlichkeit und Biographie der Töchter bereichert oder auch belastet? Festgehalten kann dies in Gesprächen, Interviews und lebensgeschichtlichen Dokumenten sein, findet aber auch seine Entfaltung in künstlerischer Kreativität (als Auseinandersetzung in der Literatur, Objektkunst, Filmen etc.) oder in einer lebenslangen Disposition zu bestimmten Thematiken. Vorläufiges Programm: Tagungsbeginn, Freitag, 28.10. 2005, 17 Uhr, in der ASFH: Begrüßung durch Christine Labonte-Roset, Rektorin der ASFH; Einführung in die Tagung und zum Thema „15 Jahre Frauen-Exil-Forschung“ durch Inge Haunsen-Schaberg (Rotenburg) und Beute Schmeichel-Falkenberg (Mössingen). Dann wird Adriane Feustel (Berlin) über „Familiengeschichtliche Tradierungen in der Familie Alice Salomons“ sprechen, komplementiert mit Beiträgen der Großnichten Alice Salomons, Ilse Eden (Berkeley) und Hannah Janovsky (New York). Samstag, 29.10. 2005, 10-13 Uhr: Jlana Javitz (Ber Sheeva): Meine Mutter erzählt — über die Eigenart von Erinnerungen an eine verlorene Welt; Catherine Stodolsky (München): Lisa Fittko und ich; Barbara ÖbergSjögren (Stockholm): MOTHER NO — MENTOR YES. 14.30-18 Uhr: Monica Weiss (Buenos Aires): „Lange Schatten“: Mütter und Töchter zwischen Europa und Argentinien — ein Bilderzyklus; Christine Holzkamp (Berlin): Die Stiftung ZURÜCKGEBEN und ihr Auftrag: Die Förderung jüdischer Frauen in Kunst und Wissenschaft; anschließend Filmvorführung und Vortrag der Filmemacherin Caterina Kusemann (Rom): IMA - Die Geschichte meiner Großmutter, meiner Mutter, meiner Schwester und mir, oder wie ich über den Holocaust gelernt habe. 20-22 Uhr: Ausstellungseröffnung und Lesung: Bettina Ramp (Graz): „Der Koffer der Adele Kurzweil“ — Steirische SchülerInnen auf den Spuren jüdischer Emigranten in Frankreich, Hanna Papanek (MA, Lexington) liest aus ihrem Buch „In Search of Exile: The Participatory History of a Political Family, 1880-2000“. Sonntag, 30.10.2005: 10-13 Uhr: Jrene Below (Bielefeld): Lucy von Jacobi (1887 — 1956) ) — Klaus Manns Hedda von Herzfeld und eine zentrale Gestalt im Kulturleben der Weimarer Republik. Maria Kublitz-Kramer (Bielefeld): Barbara Honigmanns „Elternbücher“ — „Eine Liebe aus nichts“ und „Ein Kapitel aus meinem Leben“; Sonja Hilzinger (Berlin): Im Bann der Schrift. Zur Beziehung zwischen Elisabeth Langgässer und Cordelia Edvardson. 13 Uhr: Abschlussdiskussion: Perspektiven der Frauenexilforschung. Informationen: Prof. Dr. Inge HansenSchaberg, Birkenweg 15, 27356 Rotenburg. email: hansen.schaberg@t-online.de Cilli Wang (1909 - 2005) Wie das Literaturhaus Wien bekanntgibt, ist die Tänzerin, Kabarettistin und Verwandlungskünsterin Cilli Wang am 10. Juli 2005 in Wien gestorben. Geb. am 1. Februar 1909 in Wien, spielte sie u.a. in Stella Kadmons „Liebem Augustin“ und in Erika Manns „Pfeffermühle“. Die Niederlande boten ihr und ihrem Mann, dem Autor Hans Schlesinger, 1938 eine Zuflucht. Nach der deutschen Besetzung des Landes lebten sie versteckt in Den Haag. Hier starb Schlesinger am 10. April 1945 an einem Herzinfarkt — deutsche Soldaten hatten angeläutet, Cilli Wang war es bereits gelungen, die Situation zu meistern. (Vgl. Manfred Oberlechner: Cilli Wang in den Niederlanden. Eine Wiener Verwandlungskünstlerin im Exil. In: ZW Nr. 4, März 2004, S. 31-38.) 91