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EEE RE Fortsetzung von Seite ] der Bundesrepublik Deutschland, unterschieden zwischen einer „Exilliteratur“ auf der einen Seite, einer Literatur, die unter Kontrolle der Reichsschrifttumskammer und des Propagandaministeriums im Machtbereich Hitlers entstanden und gedruckt worden ist auf der anderen Seite. Die Gedichte, Dramen, Erzählungen, die von Widerstandskämpfern verfaßt worden sind, und die Arbeiten der „inneren Emigration“ (wie schwierig hier ‘immer die Abgrenzung sein mag) werden als ein Anhängsel der „Exilliteratur“ zugeschlagen und in der Tendenz eher vernachlässigt. Gewiß, eine Bestandsaufnahme der Exilliteratur, das Bewußtmachen, daß deutschsprachige Literatur von Rang in der Periode des „Tausendjährigen Reiches“ in einem ungeheuer überwiegenden Maße im Exil geschrieben wurde, waren wichtig. Zudem hat das ‚Exil für die meisten Exilierten 1945 nicht aufgehört. Aber der gemeinsame Nenner der Literatur des Exils, der ' „inneren Emigration“ und des Widerstandes ist:nun ein‘mal die Stellungnahme gegen den Faschismus. Die "Bezeichnung „Jahrbuch für antifaschistische Literatur "und Kunst“ drückt das Interesse aus, sich mit der Literatur und Kunst der Jahre 1933 bis 1945 zu beschäftigen. "Zugleich drückt sie eine Parteinahme aus: die Parteinahme für die Literatur und Kunst der Verfolgten, Exilierten und Ermordeten, den Wunsch, unverdient Vergessenes wieder bekannt, leichtfertig Verwischtes wieder kenntlich zu machen. Der Vorstand der TKG hat die Frage des Jahrbuchs wiederholt besprochen. Aus diesen und anderen Diskussionen entspringt das folgende Konzept: JAHRBUCH FÜR ANTIFASCHISTISCHE LITERATUR UND KUNST g Ein Vorchlag Die gerade in Österreich durch Jahrzehnte geübte Verdrängung der Literatur und Kunst des Exils sowie des inneren Widerstandes wurde in den letzten Jahren teilweise durch die Initiativen ‚einzelner Personen und Gruppierungen durchbrochen. In diesem Rückgriff auf eine scheinbar längst vergangene Periode drückt sich einerseits die Suche nach neuen kulturellen Orientierungen angesichts des Abbröckelns ästhetischer Normen aus, die durch Jahrzehnte maßgeblich blieben. Anderseits hat das Bewußtsein zugenommen, daß der Faschismus nicht einfach der Vergangenheit angehört, daß Gefahren des Krieges, der Brutalisierung von Menschen und der irrationalistischen Selbstzerstörung der Intelligenz heute virulent sind. Ziel des „Jahrbuchs“ muß es sein, die verschiedenen wertvollen Bemühungen auf dem Gebiet antifaschistischer Literatur und Kunst zu dokumentieren, die Zusammenarbeit der Beteiligten zu fördern und sie zu einer Diskussion anzuregen, die sich nicht bloß auf die Deutung künstlerischer Werke beschränkt, sondern auch die soziale und politische Situation, in der diese Werke rezipiert werden, mit einschließt. Das „Jahrbuch“ soll umfassen: - Aufsätze über Schriftsteller(innen) und Künstler(innen), diein den Jahren 1933—1945 ins Exil gehen mußten, sowie über ästhetische, historische und soziologische Grundprobleme einer antifaschistischen ‘Stellungnahme in der Kunst; - Berichte über Aktivitäten zur Wiederentdeckung und Erforschung antifaschistischer Literatur und Kunst; - Veröffentlichung von bislang ungedruckten, verschollenen und vergriffenen Texten des Exils, des Widerstandes und der „inneren Emigration“; - Besprechung und Vorstellung gegenwärtiger künstlerischer Versuche, sich mit der faschistischen Vergangenheit und neofaschistischen Tendenzen in der Gegenwart auseinanderzusetzen, wobei die „Literatur der Dritten Welt“, die sich gegen imperialistische Unterdrückung richtet, zu berücksichtigen ist; - Auseinandersetzung mit inhumanen, irrationalistischen und antidemokratischen Tendenzen in der Kunst und Literatur. Das Jahrbuch soll von einem Redaktionskomitee gestaltet und 2 Hilde Spiel GROSS, GEPLAGT, Erinnerungen an In alten Taschenkalendern zu blattern, darin auf karge Eintragungen über längst versunkene Menschen, Ereignisse, Emotionen zu stoßen, kann erregend, bewegend und tief bedrückend sein. Ich habe viele von ihnen nachgelesen, aber nur einige von den vielen Briefen, die Theodor Kramer mir geschrieben hat. Nachdem ich eine Anzahl von ihnen abgelichtet und der KramerForschung zur Verfügung gestellt hatte, sind weitere zutage getreten: ich habe nicht die Kraft, sie durchzusehen, geschweige denn, sie einzuordnen in den schon bekannten Bestand. Um mir Kramer ins Gedächtnis zu rufen, nahm ich denn die kleinen englischen „Diaries“ aus den Kriegsjahren zur Hand. Zuvor habe ich mich an die wenigen Male zu erinnern versucht, an denen wir einander noch in Wien, ehe ich die Stadt zwei Jahre vor ihm verließ, begegnet waren. Seinen Gedichtband „Wir lagen in Wolhynien im Morast“ hatte ich sogleich, 1931, gekauft und bewundert. Danach traf ich ihn zuweilen in Lokalen, die von Lärm und Weindunst erfüllt waren, in denen er unter Freunden thronte, ein dörflicher Silen. Nachdem er in London aufgetaucht war, war es wohl das Austrian Centre, zunächst in Paddington, dann in Hampstead, wo ich ihn wiedersah — durchgeschüttelt von seinen Erlebnissen im März 1938 und verzweifelt darum bemüht, eine neue Lebensform, eine Existenzmöglichkeit zu finden. Nach wie vor dichtete er wie besessen. Nulla dies sine linea. Er aber schrieb, wie man weiß, täglich ein ganzes Poem. Doch er wollte auch zu Gehör bringen, was er schrieb. Jener Londoner Hüter der Sozialdemokratischen Partei indes, der Kramer sich in Wien verschrieben hatte, Oscar Pollak, wollte ihm nicht erlauben, sein Werk von den folgenden Vereinigungen herausgegeben werden: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Institut für Wissenschaft und Kunst, Theodor Kramer Gesellschaft, Verein zur Förderung und Erforschung der antifaschistischen Literatur. Dieses Konzept ist nicht bloß „antiquarisch“, es sucht nach einer Vermittlung zwischen den Problemen der Geschichte und den Problemen der Gegenwart. Eine solche Vermittlung muß behutsam sein: Sie bewegt sich zwischen der Skylla eines Ausschlachtens der Vergangenheit für Argumentationsbedürfnisse der Gegenwart und der Charibdis einer perspektivlos angehäuften Masse von Kenntnissen über das Vergangene. Gespräche von Vertretern der TKG und der anderen im Konzept genannten Vereinigungen und Institute haben bereits stattgefunden. Zu einer definitiven Vereinbarung ist es noch nicht gekommen. Guter Wille ist von allen Seiten vorhanden. Erste Beiträge sind eingegangen. Eine Verwirklichung des Projektes ist ziemlich wahrscheinlich. Ich möchte daher an die Leser von „Mit der Ziehharmonika“ die Aufforderung richten, zu dem Konzept Stellung zu nehmen und Ergänzungen, mögliche Beiträge, Mitarbeiter vorzuschlagen. Sicher ist, daß das erste Jahrbuch 1987 einen Schwerpunkt haben wird: Leben, Werk und Weggefährten Theodor Kramers. Damit könnte ein guter Anfang ht sein. gemacht sein Herbert Staud