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5. Jahrgang Nr. 2 Preis: öS 10,— Armin A. Wallas Michael Guttenbrunner zählt nicht zu den kanonisierten „Abseits“, dem von Anerkennungen, Preisen, Würdigungen, Rezensionen und wissenschaftlichen Abhandlungen kaum berührten Raum jenseits des offiziell Repräsentativen, Werbewirksamen, Affirmativen, jenem literarischen „Abseits“, das den Freiraum schafft für das Unkonventionelle, in dem die Kritik am Bestehenden erst möglich wird. Guttenbrunners Literatur ist politisch. Unbeeinflußt von den restaurativen Tendenzen der österreichischen Nachkriegsliteratur thematisiert er in den Gedichtbänden „Schwarze Ruten“ (1947), „Opferholz“ (1954), „Ungereimte Gedichte“ (1959), „Die lange Zeit“ (1965), „Der Abstieg“ (1975) oder in den Prosabänden „Spuren und Überbleibsel“ (1947) und „Im Machtgehege“ (1976) die Problematik von Nationalsozialismus und Krieg. Im Gedicht „Die Bodenständlinge“ polemisiert er gegen die „Sänger dieser Lande“, die in Zeiten des Krieges „die besoffenen Eintagsworte / der jeweiligen Tyrannen“ feiern, in Friedenszeiten aber „singen sie wieder, als ob nichts gewesen wäre, / die Sau am Spieß und Kraut und Rüben der Heimat“. Gegen die moralische Korruptheit ‘und politische Verfiihrbarkeit der Provinzliteraten entwickelt Guttenbrunner das Ethos des politisch engagierten Dichters: Ihnen fehlt jedes Wort für die Geschlagenen und Entrechteten, von deren Blute Europas Henker trieften. Ich allein singe heute vom Krieg. Gebiirtig aus Treibach-Althofen in Kärnten, lerıfte Guttenbrunner das soziale Elend der ländlichen Unterschichten in der österreichischen Provinz kennen; von den Nazis inhaftiert und zum Tod verurteilt, wurde er zum Fronteinsatz „begnadigt“. In den Gefängnissen und an Rußland und Frankreich wird er mit der Bestialität eines menschenverachtenden Regimes konfrontiert: „Ich lernte, was es heißt: mit der Waffe in der Hand und über Leichen durch fremdes Land zu fahren und so seiner Verschändung und der Vernichtung seiner Kinder beizuwohnen.“ („Im Machtgehege“). Im Gedicht „Der Einzelne“ spricht der Dichter über seine Außenseiter-Position, über sein Leiden an der erzwungenen Eingliederung in die Kriegsmaschinerie: Er ist nicht mitmarschiert und hat nicht mitgesungen, wo mitzumarschieren und mitzusingen rätlich war. Aus dem Gefängnis heraus kam er zum Militär. Eingezwängt in den Soldatenrock zog er durch viele vom Siege verschlungene Länder, und nur in Kirchen und Aborten fand er noch Rast, zu weinen. Als „der Einzelne“ leistet der Dichter im/und durch das Wort, im Gedicht Widerstand. gegen eine Weit der Gewalt, des Krieges, des Zwangs, der Vernichtung, der Bestialität. Er steht „im Machtgehege“, er ist in dieses „Machtgehege“ zu entfliehen. Guttenbrunners Ausbruch aus dem „Machtgehege“ geschieht nicht in der eskapistischen Form des Ausstiegs aus der politischen Realität, wenn er sich auch „nach einer Insel, fern im Meer des Wahnsinns“ („An.meine Freunde“) sehnt, sondern in den Formen des Benennens der Destruktivität und der Konstruktion literarischer Gegenwelten. Im Themenkomplex „Griechenland“, der Guttenbrunners Oeuvre durchzieht, konvergieren diese beiden Formen literarischen Reagierens auf gegenwärtige Realität: Inhalt: Armin’ A. Wallas über Michael Guttenbrunner / Michael Guttenbrunner: Theodor Kramer / Einiges über Hermann Hakel / Hermann Hakel: Fragmente aus „Iraumleben“ / Angelica Schütz: „Die Menschen werden besser sein, wenn wir vergangen sind“ — ein Jahr unterwegs mit einem literarischen Programm / Kramer in Villach / Vorschau auf die Jahrestagung / Verstreutes / Rezensionen. Griechenland meint einmal das antike Hellas, das Ursprungsland abendländischer Kultur und Geistigkeit, zum anderen das Land, das im Zweiten Weltkrieg vom deutschen Kriegsapparat überrollt wurde. „Als sich Germaniens riesige Kriegsmaschine / in das Gebein deiner Verteidiger / blutig steile Wege schnitt, / betrat ich deinen heiligen Freiheitsboden“ („An Griechenland“), so spricht der Dichter zu einem imaginären Griechenland. Griechenland, das vergewaltigte, besetzte, „unter den nackenbeschreitenden Stiefeln“ liegende Land, indem — „blutgestreift“ und „kotbeschmiert“ — Nymphen und Koren an antike Größe erinnern, erscheint als das wahre Land der Freiheit, als Gegenwelt zu dem auf Zwang und Gleichschritt basierenden deutschen Obrigkeitsstaat. 1980 reiste Guttenbrunner wieder nach Griechenland, unter dem Eindruck dieser Reise entwirft er im Gedicht „Resolution“ eine Vision des Möglichen: Der Blick auf Erde und Wasser genügt. Du findest noch die Stelle für den Kuß und daß ein Stein noch auf dem andern steht. Neben dem im Krieg geschändeten Griechenland gestaltet Guttenbrunner ein ideales Griechenland als utopischen Ort des nicht entfremdeten Lebens, der Einheit von Kultur und Natur, der Freiheit; die Gestalten der antiken Mythen, griechische Kultur und Landschaft, die architektonischen Zeugnisse : der Vergangenheit und die Widerstandskämpfer der Gegenwart vereinigen sich zu Fortsetzung auf Seite 2