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Fortsetzung von Seite | einem Gesamtbild, das als Gegen-Bild zur gegenwärtigen Realität die Dimension des Widerstands und einer offenen Möglichkeit gewinnt. Das Vermächtnis der Antike verläßt die Bereiche archäologischer Katalogisierung und touristischer Banalisierung und durchstößt die Oberfläche des Gegenwärtigen, gewinnt beunruhigende Aktualität. Kriegserlebnis und Gräkophilie stehen bei Guttenbrunner in enger Kombination. Griechenland kontrastiert als Land der Kultur — Nazi-Deutschland als Land der Unkultur. Deutschland — das „deutsche Schlachthaus“ des Hakenkreuzes, das Guttenbrunner als „Galgenbaum“ bezeichnet („Hakenkreuz“), die Nationalsozialisten nennter „Nationalbestialisten“ („Im Machtgehege“), die den „blutfette(n) Docht des Krieges“ („Neunzehnhundertfünfundvierzig und die folgenden Jahre“) entzünden. Die griechische Landschaft („Turkobunia“, „Kreta“) kontrastiert einer Welt des Krieges und der Zerstörung, einer „Mörderwelt“ („Der neue Amadis“). Zu den literarischen Bezugspersonen, die Guttenbrunner faszinieren, zählen Barock-Dichter, Annette von DrosteHülshoff, Giacomo Leopardi, Arthur Rimbaud, Ludwig Hohl, Karl Kraus, Georg Trakl, Else Lasker-Schüler oder auch sein. Freund Theodor Kramer. Die Themen und Motive der Lyrik Guttenbrunners sind weitgespannt, lautstarke Aggressivität und leise Zärtlichkeit lösen einander ab, die Gedichte vermitteln das politische Ethos der Solidarität mit den Unterdrückten, der radikalen Kriegsgegnerschaft, des Mißtrauens gegen Macht. Guttenbrunners Literatur der Opposition fügt sich schlecht in das kulturelle Klima Österreichs, in dem Verschweigen zur Pflichterfüllung idealisiert wird, ein. Der vordergründige „Erfolg“ wird Guttenbrunner verwehrt, ‚HERMANN HAKEL: AUS „TRAUMLEBEN. Wien, 1938 HALT IHM DIE WANGE IHN Ich überquere eine Straße, will nach Haus. Eine Menschenmenge mit gräßlichen Gesichtern versperrt mir den Weg und will mich schlagen. Ich zeige auf mein krankes linkes Bein, aber das macht keinen Eindruck auf die Leute und so halte ich dem Nächsten die Wange hin. Er schlägt nicht allzustark, um auch den Nachdrängenden etwas übrig zu lassen. (Mai) SÖHNE DAVIDS Ich werde als Gefangener in ein Lokal gebracht, wo es genau so wüst zugeht wie auf der Straße. Hier muß man irgendwelche seltsamen Bescheinigungen vorweisen und riesiger Mensch und nennt seinen biblischen Namen. Ich nenne den meinen. Wir erkennen einander als Söhne Davids und verneigen uns tief. Daraufhin darf ich gehen. (Mai) FLUCHT Ein Schlitten — fern, umwölkt, ist auf einmal ganz nah. Ich seh drin einen bärtigen Juden mit schwermütigen Augen und ein blasses Knabengesicht an seiner Brust. Sie flüchten aus verschneiten Fernen in verschneite Fernen Fortsetzung auf Seite 3 die Schmöcke des offiziellen Kulturlebens drängen ihn ab in das Schattenreich der Vergessenen. Oppositionellen jedoch, die abseits der Potemkinschen Fassaden dieser Kultur leben, vermag seine Literatur Bestätigung und Halt zu geben. Sie macht Mut zur Kritik, Mut zum Widerstand. Michael Guttenbrunner, geboren 1919 in Althofen bei Klagenfurt, trat 1950 mit dem in Guildford/England lebenden Theodor Kramer in Verbindung; der Briefwechsel zwischen Guttenbrunner und Kramer ist ein bedeutendes Dokument für den Versuch, eine Brücke zwischen einem jüngeren Schriftsteller, der in der deutschen Wehrmacht gedient hatte und der Exekution nur knapp entgangen war, und einem älteren Schriftsteller, der 1939 mit knapper Not noch aus Österreich fliehen konnte, zu schlagen. In den Briefen an Guttenbrunner äußert sich Kramer wie nirgends sonst über seinen Lebensweg und seine Einstellung zu Literatur und Politik. 1956 gab Guttenbrunner eine Auswahl von Kramers Gedichten heraus: Vom schwarzen Wein, Otto Müller Verlag ‘Salzburg. Theodor Kramer Der Angstschweiß war sein sicherster Verbleib, und was ihn niederschwemmte, sein Bedarf. Was er berührte, war sogleich verwandelt, geschwärzte Fracht, gebündelt und im Faß, und auf dem Untermarkt verhandelt. Dort dreht ein Umschwung ohne Unterlaß. Die Invaliden toben im fahlen Wirtshausschein. Herr, führe, die dich loben, in seinen schwarzen Wein. Aus: Michael Guttenbrunner: Der Abstieg. Pfullingen: Neske 1975.