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graphie beschreibt, mehr aus "emotionellen als rationalen Gründen"® nach links gerückt hatte. Die realen Vorbilder der Figuren Leni und Wolodja hatten die Achtung, die ihnen in diesem Roman bezeugt wird, in jedem Fall verdient. Annie und Manjo : Peczenik nahmen am Spanischen Bürgerkrieg teil, Annie Peczenik als Krankenschwester. Später arbeiteten beide in einer österreichischen Widerstandsgruppe in Frankreich mit. Annie Peczenik wurde bei einem Auftrag in Wien verhaftet, ins Konzentrationslager Ravensbrück gebracht und dort noch kurz vor Kriegsende ermordet”. Kati erkennt am Ende, daß sie keines dieser Lebenskonzepte einfach übernehmen kann, sondern für sich einen eigenen Weg finden muß. Zum Vorbild für die Romanheldin wird schließlich ein junger erfolgreicher Autor, der bezeichnenderweise seine eigenen Jugendkonflikte in einem Roman niedergeschrieben und damit überwunden hat. Das entscheidende Kriterium für die Beurteilung der Charaktere scheint das Durchleben der als krisenhaft empfundenen Phase der Adoleszenz zu sein, aus der man einen eigenen Weg finden muß, ohne sich falschen erwachsenen Ratgebern anzuvertrauen. © Solche erscheinen in Gestalt eines Erziehers, der Piet zu Kaltschnäuzigkeit und unbeschränktem Hedonimus erzogen hat, wie auch in Gestalt eines gefürchteten und machtbesessenen Kritikers, der nebenbei als Berater und Förderer der Jugend auftritt. Hilde Spiel äußerte am 27. Februar 1933 gegenüber der Wiener Sonn- und Montagszeitung, sie habe wohl einen Jugendroman schreiben wollen, aber nicht im üblichen Sinne: "Aber freilich nehme ich Stellung zu dem Problem des Kampfes zwischen jungund alt. Und da habe ich, vielleicht, etwas Neues gesehen. Früher, da ließen die Alten die Jungen Menschen nicht in ihr Leben. Da hatten sie zwischen sich und der Jugend eine Mauer errichtet. Heute, da ist die Mauer gefallen. Aber, die Jugend wird vom Alter planmäßig korrumpiert. Es ist bloß eine neue Methode." Die Politisierung und Vermarktung des Begriffs Jugend wird in Hilde Spiels Roman explizit angegriffen: "(...) sie haben sich der Jugend bemächtigt, das ist ihnen endlich gelungen. Greise stellen die Konflikte Zwanzigjähriger dar, Konjunkturhascher nehmen eilfertig jungen Leuten das Wort aus dem Mund: (...) Jugend, Jugend, Jugend, in allen Zeitungen, Versammlungen, Vorträgen, auf allen Litfaßsäulen, Plakatwänden, Affichen, von Sandwichmännern herumgetragen und angepriesen - aber nie wahre, nie authentische Aussagen, immer zurechigefeilt, immer kommentiert und verzerrt - und was kommt dabei heraus? Überspitzte Theorien, geistreiche Vieldeutigkeiten, originelle Problemstellung - aber das ist ja alles nicht wahr! Die Probleme der Jungen sind anders, die sind banal, ganz banal und wirklichkeitsnah. Nur an den banalen Konflikten gehen die jungen Menschen zugrunde, nur an den naheliegenden Fragen, nicht an denen, die sich auf dem Papier so wirksam ausnehmen - es ist nicht zu ertragen.” (KB, 112/13) Der Schlußteil von Kati auf der Brücke besteht fast ausschließlich aus Bildern und Visionen, in denen die Protagonistin ihr bisheriges Leben rekapituliert. Er endet auch in dieser Form, indem sie sich eben entschließt, die Brücke zu überschreiten. Ein Rezensent hat 1933 an diesem Schluß - nicht ganz zu Unrecht kritisiert, daß die Geschichte damit zu sehr im Vagen und Unbestimmten verflieBe!!, Die Richtung, in die sich die Romanheldin entwickeln wird, bleibt offen. Immerhin ist aber durch ihre Erkenntnis: "Dich selbst mußt du halten können, (...), damit ein anderer dich hält. (...)" (KB, 159) die Perspektive auf ein verantwortliches Handeln gegeben. Der sechs Jahre später 1939 in London erschienene Roman Flute and Drums (Flöte und Trommeln fi ? geht über diese Standortbestimmung weit hinaus und stellt, vor allem in formaler Hinsicht, sicher den besten der frühen Romane Hilde Spiels, wenn nicht ihren besten Roman überhaupt dar. Im Mittelpunkt der Erzählung steht wiederum die Entwicklung einer jungen Frau, Sandra, die durch einen schillernden, kosmopolitischen Hintergrund charakterisiert wird. Während einer Urlaubsreise nach Italien verläßt sie ihren schweizer Verlobten, eine Personifikation des Spießbürgers, und macht sich allein auf einen Weg, der sie von Mestre im Norden Italiens über viele Stationen, u.a. Perugia und Rom, nach Capri und schließlich nach Afrika führen wird. Den historischen Kontext bilden die Vorbereitungen Italiens auf den Abessinienkrieg im Jahre 1935. Fortsetzung auf Seite 4 Fortsetzung von Selte 2 mich gebar’, dann hatte er mehr Recht auf diese Scholle als jeder, der auf ihr verblieben und dem dummen deutschen Mythos erlegen war." Sie hat, 1976, durch ihre Einleitung zu einer repräsentativen Literaturgeschichte, die mit dem Jahr 1938 vollzogene, von den Agenten des Nationalsozialismus wie Mell und Weinheber vorbereitete Spaltung der österreichischen Literatur als die für die Literaturgeschichte entscheidende Tatsache hervorgehoben und damit das Ende der austriakischen Literaturlegende beschleunigt. Sie hat sich eingesetzt für die Erhaltung der Wittgenstein-Villa. Sie hat eine Festrede verweigert, deren vornehmster Zuhörer ein Mann mit gutem Merk-, aber umso schlechterem Erinnerungsvermögen sein sollte. Die Polarität von Sich-Verweigern und Sich-Einlassen prägt auch ihr literarisches Werk. Ihr großes, oft nur im Untergrund weitergesponnenes Motiv war die menschliche Erotik in einer unfertigen, noch nicht für den Menschen eingerichteten Welt. Erotik ist hier gemeint als das Übergehen der verschiedenen Strebungen und Triebe ineinander (anstelle ihrer Partialisierung und Kanalisierung), die Utopie eines Daseins in schwingender Verbundenheit. Am ehesten hat sie dies, Ironie des Weltzustandes, in der Zurückgezogenheit ihres Hauses am Wolfgangsee gefunden. Sie hat, im Porträt einer Jugendfreundin, die Zerstörung des Eros im Exil beschrieben; und mit großer Würde weiß sie als Fraü in ihren Erinnerungen von ihren Liebeshändeln und ihrem Liebesleid zu sprechen. Was ihr Bild für micht trübt, ist ihre Bürgerlichkeit, ihr ruhiges Verhaftetsein in einem System der Arbeitsteilung, in dem die Einrichtungen der Hochkultur ebenso einfach vorhanden sind wie die Dienstboten. Durch ihre Schulung bei Schlick wurden ihr zudem nicht nur Zugänge eröffnet, sondern auch verschlossen, so der Zugang zu einer ganzen © geistigen Welt der dialektischen Philosophie und deren Potenz, das Bestehende in Frage zu stellen. Doch hat sie, sie reklamiert das selber für sich, zum guten Ende mehr Courage besessen und ist widerborstiger geblieben als mancher, der vom dogmatischen Marxismus als ein geheilter Säufer entlassen wurde. Konstantin Kaiser 1 Hilde Spiel berichtete über ihre Freundschaft mit Theodor Kramer am ausführlichsten in dem Artikel: "Groß, geplagt, einzigartig, unvergessen. Erinnerungen an Theodor Kramer." (MdZ 3. Jg, Nr. 4/1986, S. 2-4). Über die Snroaton’ Hilde Spiels bei Bruno Kreisky und den österreichischen Stellen für Kramer gibt Harry Zohn Auskunft: "Aus Theodor Kramers letzten Jahren." (In: Theodor Kramer 1897-1958. Dichter im Exil. Hg. v. K. Kaiser. Wien: Zirkular. Sondernummer 4. 1983. S. 81-87.) Wir werden weitere Beiträge zu Hilde Spiel in der nächsten Nummer von Mit der Ziehharmonika bringen. Die Redaktion