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sondern, umgekehrt, daß er die ansonsten kraftlos gewordene alte Form des Handwerkslobs authentisiert und belebt. Eine ähnliche Situation, und zwar mit autobiographischem Einschlag, finden wir im Gedicht "Das Dach", das zu den 1937 ‚geschriebenen "Gerätesprüchen" gehört. Alle diese Gedichte, etwa über "Herd", "Wagen", "Krug" etc., zielen darauf, die verborgenen Qualitäten des Alltäglichen zu preisen, wobei die bäuerliche Sphäre das Modell abgibt. DAS DACH Arm und leer war die Welt. Jetzt ist nichts mehr gering, da ich das Meine im Haus spät zu besitzen beging. Was ich zu hüten erwarb, deckt nun himmelbereit, Dach, mit Giebel und First deine Gelassenheit. Wachsam der eiserne Hahn dreht sich im duftenden Wind, unter dem braunen Gebälk huscht die Schwalbe geschwind Höher. siehst du als wir auf die befriedete Welt; Feld und Lehne und Wald, raunend und wohlbestellt. Wenn wir zu beten verlernt, wieder wohl: lehrst es uns du. Wehr’ von dem Hause den Blitz, Schande und Not dazul Scheuer, Schuppen und Stall, Magd und Mutter und Weib, schütz es, mache dich breit, daß es beisammen bleib. Wer auf der Erde nichts hat, steigt ohne Fährde ins Grab. Aber um jeglichen Halm bangt, wem sin Lehen Gott gab. Sieh, wie der Abendstern jetzt aufgeht, feierlich, schön. Halt ihn! Wahr’ uns den Traum! Laß ihn nicht untergehn! In diesem Text geht der Dichter offensichtlich vom eigenen Haus aus, das er "spät", wie es im Gedicht heißt, auf dem Lande in der Wiener Umgebung erworben hat, nämlich im selben Jahr 1937. Dem Dach wird nun die Schutzfunktion über den spät erworbenen Besitz zugeschrieben: "hüten", "decken", "wehren", "schützen", "halten", "wahren" lauten die Verben dieses Texts im Kontrast zu "bangen" und "untergehen". Um Besitz geht es hier, jedoch um gefährdeten, der auf vielerlei Arten geschützt und gestützt werden muß: so zum Beispiel indem er zu Gottes "Lehen" hinaufstilisiert wird. (Weinheber selbst hat sein Landhaus in Anlehnung an Walther von der Vogelweide "mein Lehen" genannt). Von den 85 Gedichten dieses Bandes scheint mir dies das unverstellteste zu sein, denn der "Kalenderton" läßt hier deutlich eigene Erfahrung durchscheinen, eine prekäre Besitz15 erfahrung, die sich so unsicher weiß, daß sie sich selbst zum Lob des Bettlerschicksals hinreißen läßt: "Wer auf der Erde nichts hat,/ steigt ohne Fährde ins Grab." Der so insistierend beschworene Schutz läßt die Gefährdung nur umso deutlicher durchscheinen, und in diesem Gedicht scheint - im Gegensatz zum "Handwerker" - die Krise der Familie, des Staates (Dach = Regierung), des Friedens mächtiger als die "befriedete Welt", die das Gedicht der Krise entgegenzusetzen bemüht ist. Mit aller Macht projiziert der Dichter ein Bild des Friedens in diese friedlose Zeit und muß sich dann doch in der vorletzten Zeile eingestehen, daß es nur Illusion sein kann: "Halt ihn! Wahr’ uns den Traum!/ Laß ihn nicht untergehn!" An diesem Punkt wird uns vom Dichter selbst Einblick in die prekäre Konstruktion des ganzen Büchleins gegeben, in diese Ordnungsphantasie, die sich über die unordentliche Gegenwart hinwegtrösten und -träumen will. SANKT MARTIN MIT DEM MANTEL He, Ritter, du tragst ein Sammetgewand? Und ich, zum Henker, ich frier? Warum denn, ich bitt! So weit sind wir zwei doch nicht auseinand Den Schritt von mir zu dir, den macht meine Krucken quitt. Gib deine dummen Krücken fort Und fuchtel mir nicht vor der Nasl Du schreckst mir das Roß. Wer arm ist, führt gern’s große Wort, und ich nehms auch nur für Spaß, denn du bist nackt und bloß. Ah, nimmst’s für Spaßl Du heißt doch, sag, ein Christ und fromm - oder nein? Dein Mantel wär schön! Hätt ich den an, ich möcht ohne Frag wie du ein Ritter sein. Sei nobel und schenk mir den! Den halben Mantel schenk ich dir gern. Doch glaub nur nicht, das macht Gleich halb einen Ritter dann! Deinsgleichen ist zur Plag der Herrn Ganz eigens ausgedacht. Und jetzt: Vom RoB weg, Mann! Konkreter noch äußert sich dieses Gedicht zum Problem Besitz und Gefährdung, wenn man es auf die Bezüge zur Heiligenlegende einerseits und Krisenerfahrung der dreißiger Jahre andererseits hin betrachtet. Daß die biedere Heiligenlegende umzuformen war, war selbstverständliches Gebot für dieses Kalenderbuch; aber anstatt sie zu aktualisieren und problematisieren, hat Weinheber die alte Form gewaltsam dem neuen Stoff übergestülpt. Nicht um den Samariterakt des Teilens geht es, der im Mittelalter auch zum ritterlichen Tugendkodex gehört, sondern um das fordernde Auftreten des Proletariats bzw. der Arbeiterbewegung im 20. Jahrhundert. In Weinhebers Wechselrede hat der Bettler das erste Wort, um sich selbst bloßzustellen; der Ritter behält das letzte Wort, die Zurechtweisung samt der herrischen Bekräftigung des Standesunterschieds: "Und jetzt: Vom Roß weg, Mann!" In dieser Inszenierung bleibt dem Ritter auch keine Wahl (Ehrenkodex!) als die scharfe Reaktion auf Anmaßung und Dummheit. Immerhin gibt er "den halben