OCR
16 Mantel" (und in der Betonung liegt schon die Abgrenzung), weil das kirchliche Ethos ihn dazu verpflichtet, und obendrein"gern"; der Rest ist ein scharfes In-die-Schranken-Weisen. Der Bettler ist zudem eine vertraute Figur in diesem Kontext, man denke nur "an die Hauptfigur in Hofmannsthals Spiel Das Salzburger Große Welttheater (1922), eben den Bettler, hinter dem laut Hofmannsthal "das Gespenst des Bolschewismus" und "die Drohung des Chaos an die Ordnung" steht. Im Welttheater wird der Bettler bekehrt und zum Erlöser verklärt, bei Weinheber wird er derb an seinen Platz verwiesen. Dieses 1935 entstandene und 1936 zuerst veröffentlichte Gedicht hat die 1933 in Deutschland und 1934 in Österreich vollzogene Zerstörung der besitzbedrohenden Arbeiterbewegung bereits in sich aufgenommen, und zwar aus der siegreichen Perspektive. Beachtenswert ist aber nicht nur die kalkulierte Inszenierung der Heiligenlegende, sondern vor allem die Instrumentalisierung der mittelalterlichen Gesellschaftsstruktur für die zeitgenössische Problembewältigung: die ganze Vorstellungswelt von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit mit allen daraus ableitbaren Ansprüchen kann so umgangen werden, und nun ist der Bettler der "Ungleichzeitige", will heißen er muß umerzogen werden, zurückgepfiffen auf eine Demutsposition. Gerade auf diesem Gebiet, wo sich die traditionellen Wertsysteme, wie sie sich in Heiligenlegenden und volkstümlicher Tradition manifestieren, mit dem Konfliktstoff des 20. Jahrhunderts und speziell der dreißiger Jahre treffen, ist wohl die Hauptwirkungsintention dieser Gedichte zu suchen. Das Verfahren läßt sich an vielen Gedichten beobachten: zeitspezifische Ängste, Probleme, Konflikte werden in einen Iyrischen Text aufgenommen, der in allem das Gebaren unwandelbarer, zeitlos gültiger Aussage trägt, und werden so in einem archaischen Kontext aufgehoben, unschädlich gemacht. So wird dem ruhelosen Menschen im Monatsgedicht "September" eine Heimat angewiesen, wird dem Maschinenzeitalter mit dem Zunftzusammenhalt der "Handwerker" begegnet, sucht der Hausbesitzer unter einem zeitlosen "Dach" Schutz, erteilt der erste Stand dem vierten eine historisch legitimierte Abfuhr. Wir erkennen in diesem poetischen Verfahren ein Grundmuster einer weitverbreiteten Denkungsart, die nicht auf Probleme eingehen und sie verstehen oder gar lösen will, sondern sie zu bannen sucht, eine Haltung, die offene Konflikte nicht erträgt und daher zu erpreßten Versöhnungen greift. Wir können darin auch eine ungefähre Analogie zu einer herrschenden politischen Denkungsart der dreißiger Jahre sehen, die, statt die ungleiche Verteilung von Besitz und Macht anzupacken, lieber die Arbeiterbewegung gewaltsam aus der Welt schafft. Und für dieses Manöver wird in Österreich das Traditionssystem der katholischen Kirche mitsamt den mittelalterlichen Ordnungsbildern der ständischen Gesellschaft eingesetzt. TISCHGEBET Nach dem gleichnamigen Bild von Albin Egger-Lienz Der Bauer in der Mitt. Die Hand wie Pflüg’, erdschwer, müd, laß, gefaltet ungefüg. Das Hemd, breitflächig, ohne Farbenlüg’; des Christ der Kopf, ergebne Leidenszüg'. Die Bäurin, links, viel Licht, im Vordergrund. Das Haar, fest aufgesteckt zu blondem Bund. Der Nacken breit, die Schultern derb, gesund; ins Bild gewandt: Nicht Brust, nicht Aug, nicht Mund. Rechts, stählern, hart, jungmänner-gertenhaft, der Sohn. Unfertig: Trotz, Scham, finstre Leidenschaft. So um den Tisch. All drei gesparte Kraft. Inmitt der Napf. Dorthin die Blick verhaft’. Die Stube leer: Querüber rechts die Bank, die Lade, offen halb, der Tisch - leer, blank. Im Fenster, niedrig, streng: Kein Blumgerank. Nur das Gebet. Dreieinig. Bitt und Dank. Geheimnisdünner Rauch geht von dem Brei. Dies karge Brot ins Fleisch gewandelt seil "In meinem Nam, wo immer euer drei zusammenkommen, bin ich mitt dabei" Die Bildlichkeit dieses "Tischgebets" ist nicht nur für Weinhebers Kalenderbuch kennzeichnend, sondern vereint zugleich die wichtigsten Leitbilder des Ständestaats: Bauerntum, Frömmigkeit, göttliche Legitimation. Dieser Text legitimiert sich überdies noch über eine zweite Instanz, das Gemälde des Osttiroler Malers Egger-Lienz (1868-1926), das durch Reproduktionen weit verbreitet war. So wird die bäuerliche Verrichtung des Tischgebets gleich zweimal stilisiert, vom Maler und daraufhin vom Dichter, und nicht eigentlich das menschliche Tun, sondern seine Stilisierung wird hier gepriesen. Dieses 1937 entstandene Gedicht bekräftigt somit jene Ideologisierung des Bauern"stands", die im Ständestaat mächtig betrieben wurde und im Dritten Reich unterm Schlagwort "Blut und Boden" noch verzerrtere Formen angenommen hatte. Im dichterischen Nachvollzug werden die klotzigen Züge des Gemäldesnoch überhöht, es wird noch starrer und verschlossener (vierfacher Reim!), vor allem aber wird der religiöse Gehalt einen entscheidenden Schritt weitergeführt, nämlich um die Antwort Jesu, die seine segnende Anwesenheit verheißt. Hier sehe ich den legitimierenden Aspekt dieses Gedichts: der zum staatlichen Leitbild hochgetriebene Bauernstand, der entgegen aller zeitgenössischer Erfahrung zum umwandelbaren Symbol gemacht wurde, erfährt hier die Identifikation mit dem Göttlichen schlechthin. Der erst 1937 für das seit Jahren geplante Kalenderbuch fixierte Titel weist auf Nietzsches Zarathustra (1883/91), wo am Ende des 4. Teils folgendes Gedicht die Summe des Kapitels "Das trunkene Lied" zieht: O Mensch! Gib acht! Was spricht die tiefe Mitternacht? "Ich schlief, ich schlief -, Aus tiefem Traum bin ich erwacht: Die Welt ist tief. Und tiefer als der Tag gedacht. Tief ist ihr Weh -, Lust - tiefer noch. als Herzeleid: Weh spricht: Vergehl Doch alle Lust will Ewigkeit -, - will tiefe, tiefe Ewigkeit!" Auf Nietzsche bezieht sich über das bloße Zitat hinaus die Zwölferstruktur, die Weinheber auf die Monate überträgt, und vor allem der "Ewige Wiederkunftsgedanke", "diese höchste Formel der Bejahung, die überhaupt erreicht werden kann" (aus der Vorrede zum Zarathustra), der bei Weinheber in der Gebärde des zeitlos-ewigen Gültigkeitsanspruchs wiederkehrt (der Fachausdruck für ein solches Kalenderbuch, das nicht auf ein spezifisches Jahr ausgerichtet ist, lautet ja auch "immerwäh