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In einer Übersetzung von Erich Hackl ist im Peter Hammer Verlag (Wuppertal) Das Buch der Umarmungen von Eduardo Galeano erschienen (271 S.). Es enthält Zeichnungen und kurze Texte Galeanos, der in seinem Tatsachen-Essay "Die offenen Adern Lateinamerikas" die Ausplünderung dieses Kontinents schilderte. Der Essay wurde in fast alle Sprachen übersetzt. Die kurzen Texte Galeanos in seinem neuen Buch geben eine Chronik der Verfolgungen, der Ängste, Phantasien und des Humors der Bevölkerung Lateinamerikas. Sie wirken der Tendenz entgegen, die Menschen Lateinamerikas (wie überhaupt die Menschen der Dritten Welt) bloß als das Problem der schlechten Versorgung, die behoben werden sollte, zu sehen. Kinderhandel Wie die in Zürich erscheinende WochenZeitung berichtet, fielen die "BabyPreise" in Peru im Herbst 1990 von 6.000 auf 4.500 $ pro gesundes Kind. Gemeint sind die Preise, die von Vermittlern bezahlt werden, die die Kinder an kinderlose Ehepaare in Europa und Nordamerika weiterverkaufen. Der Preisverfall ist eine Folge des vom Internationalen Währungsfonds durchgesetzten Austeritätsprogramms: Kinder werden verkauft, um den notdürftigen Unterhalt der Familien zu sichern. schlechter Wille. Sie wollen keine Geburtenbeschränkung! Stur wie die Maultiere! Daß die Männer aufpaßten, kommt schon gar nicht in Frage. Aber die Frauen, die doch ein direktes Interesse daran hätten...! Sie hassen uns, das ist die Wahrheit. Wenn sie aber etwas brauchen, wenn sie beispielsweise nach Junfn hineinwollen, um einzukaufen, meist ist es ohnedies nur der geliebte Fusel; dann können sie kommen und betteln: "Don Germän, haben Sie Platz auf der Pick-up? Können Sie mich und den Vicente mitnehmen?" Wenn man dann verlangt, daß sie die Kinder ins Internat geben, dann versprechen sie alles. Aber das ist in die Luft geredet. Und das Gezerre geht von neuem los. Wenn nicht die Behörden in Junfn bei der Stange wären und uns die Dokumente ausstellen ließen, wir könnten überhaupt niemals vorankommen. Und jetzt liegt da plötzlich ein ordentlich redigiertes und unterfertigtes Klageschreiben gegen mich, gegen die Richter Ignacio Torrealday und Norma Gonzälez de Galvän, und den Staatsanwalt Carlos Olita, wegen Kindesraub, Dokumentfälschung, Identitätsstörung und Attentat gegen den Zivilstand. Eingereicht von den Famlien Nanco und Pereira. Gerade von denen, die mir buchstäblich alles verdanken! Alle sind wir in die Stadt Neuque£n zitiert, um uns vor dem Strafgericht zu verantworten. Beanstandet wird auch, daß ich, Germän Politzer, Präsident der Fundaciön Patagönica, gleichzeitig staatlicher Matrikelführer bin. Statt daß sie froh sind, weil sich Leute finden, die bereit sind, in dieser Einöde Staatsfunktionen zu übernehmen. Und was da noch alles hinzukommt! Rassismus! Dafür gibt es bekanntlich auch einen Paragraphen. Es wird sogar darauf hingewiesen, daß ich blond und hellhäutig bin, und meine Frau auch. Als ob wir etwas dafürkönnten! Hätte ich mir vielleicht eine von diesen Indias ins Bett holen sollen zwecks Zeugung legitimer Kinder? Wer hat nur die Schreiberei für sie erledigt? Daß sie sich mit juridischen Spitzfindigkeiten auskennen sollten: lächerlich! Die Unterschrift jedenfalls mußten sie doch selbst leisten. Und die ist authentisch, das haben die Schriftsachverständigen festgestellt. Dabei haben wir doch immer dafür gesorgt, daß in die Schule nur diejenigen hineinkommen, die dann aus dem Reservat weggehen. Und die lieben Menschenrechtler haben wir gottlob bisher dieser Gegend fernhalten können. Aber aus der Ferne hetzen sie eben: die Agrupaciön Mapuche Newentuayin und die Internationale Kindervereinigung. Die Schuld hat, wie es scheint, Christoph Kolumbus persönlich. Das steht indem Schrieb, der da präsentiert wurde: "Kindesraub ist üblich, seit die Weißen unsern Kontinent unterwarfen." Und die Kindersterblichkeitsrate! Natürlich ist die hoch; aber daran sind sie selber schuld: Wenn sie weniger Kinder in die Welt setzten, dann würden ihnen auch weniger sterben. "Man gibt uns keine Arbeitsmöglichkeit", steht da noch. Und: Die Leute getrauen sich nicht zu protestieren, weil sie unter Druck stehen." Wahrscheinlich hat das Ganze der Pfarrer eingefädelt, der jetzt da sitzt. So ein junger ist das. Wahrscheinlich Befreiungstheologe, das spukt ja jetzt schon überall herum. Mit dem hat es von Anfang an Ärger gegeben. Daß wir uns beim Episkopat in Neugen beschwerten, hat nichts genützt. Selbstverständlich! Der Bischof, der Nevares, steckt ja selbst mit den Menschenrechtlern unter einer Decke. Etwas anderes wäre es mit dem Erzbischof in Buenos Aires. Aber der ist weit weg und würde auch nicht so leicht in die Sache einsteigen. Jedenfalls sind es jetzt wir, die sich verantworten müssen. Das ist der Lohn für jahrelange, selbstlose Arbeit in der Wildnis für dieses Indio-Gesindel. Immer sind wir gut mit ihnen ausgekommen, bis diese Menschenrechtler dazwischenfunkten. Aber ich bin sicher, daß die Behörden das alles schließlich doch nicht zulassen werden. Wer hielte denn da sonst die Ordnung aufrecht, wenn nicht wir? Alfredo Bauer, geboren 1924 in Wien, flüchtete 1939 nach Argentinien, studierte Medizin. Gynäkologe und Schriftsteller. Demnächst erscheint von ihm eine Übersetzung ins Spanische von Stücken Jura Soyfers. (Alfredo Bauer in MdZ: Drei Gedichte, Kurzbiographie und Bibliographie mit Foto in Nr.3/1988; Offener Brief an Lothar de Maiziere, Nr.2/1990.)