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12 Ferdinand Bruckner in der Österreichischen Bibliothek Eine Auswahl der Dramen Ferdinand Bruckners ist 1990 im Böhlau-Verlag als Band 12 der von Roman Roek in Verbindung mit William M.Johnston und Claudio Magris edierten Reihe Osterreichische Bibliothek erschienen. Der Band, herausgegeben von Hansjörg Schneider, enthält die Stücke Krankheit der Jugend, Die Verbrecher, Elisabeth von England, Die Rassen und Simon Bolivar I/II. Ein kompetentes Glossar liefert Materialien zur Entstehung und zur Rezeptionsgeschichte der jeweiligen Dramen sowie einen Abdruck allenfalls vorhandener Textvarianten. Wie im Rahmen der Reihe üblich sind ein instruktives Nachwort und eine ausführliche Zeittafel beigegeben. Die auf einen Band konzipierte Auswahl machte eine Beschränkung auf wenige repräsentative Werke notwendig. Neben Stücken aus der Weimarer Republik und sämtlichen Dramen aus der Nachkriegszeit mußten dabei leider auch die Exildramen Napoleon der Erste, Heroische Komödie, Die Namenlosen von Lexington, Denn seine Zeit ist kurz, Die Befreiten unberücksichtigt bleiben. Ferdinand Bruckner: Dramen. Hrsg.v.Hansjörg Schneider. (Mit e. Nachw., Anm. u. e. Zeittaf. d.Hrsg.) Wien. Köln (Böhlau Verlag) 1990. 646 Seiten. (Österreichische Bibliothek; 12) Peter Roessler Ferdinand Bruckner Auf der Suche nach dem Menschen "Einer der wenigen, denen in der Verbannung Stücke gelungen sind, die weltweit Aufsehen erregten, ist Ferdinand Bruckner". ! Steht diese Einschätzung von Klaus und Erika Mann in "Escape to Life" - das Buch erschien 1937 - auch noch im Banne des unerhörten Erfolgs der "Rassen", den der Autor in dieser Weise mit keinem anderen Werk mehr erreichen konnte, so bleibt doch das Festhalten Ferdinand Bruckners an der Gattung Drama im Exil bemerkenswert. Neben dem ausgedehnten Engagement in Exilorganisationen und den essayistischen Arbeiten, ist seine dramatische Produktion, trotz aller materieller Nöte und sich ‚eben doch bald einstellender Erfolglosigkeit, von einem langen Atem getragen, der ihn in diesem Punkt mit Brecht vergleichbar macht. Mit diesem hatte Bruckner die äußerliche Herkunft als skandalerregender Dramatiker der zwanziger Jahre gemeinsam, sowie den Versuch, auch im amerikanischen Exil theaterpraktische Projekte voranzutreiben. Ferdinand Bruckner scheint sein Werk von den zwanziger Jahren bis zu Exil und Rückkehr als Einheit gesehen zu haben, wie briefliche Äußerungen und die Zusammenfassung seiner Dramen "Krankheit der Jugend", "Die Verbrecher" und "Die Rassen" zum Zyklus "Jugend zweier Kriege" (1947) nahelegen. Es lag zudem sicher nicht ausschließlich an taktischen Überlegungen, wenn Bruckner im Exil seine früheren Dramen in die englische Sprache übertrug. Damit hatte er seinen künftigen Interpreten eine Sichtweise vorgegeben, in der eine allenfalls durch die veränderten politischen Erfahrungen etwas modifizierte Kontinuität betont wurde. Indizien hierfür finden sich in Ferdinand Bruckners beinah lebenslangem Interesse am kritischen "Zeitstück" und am nicht minder zeitbezogenen historischen Drama.? Die Autoren von "Escape to Life" vermerken die unerhörte Wirkung, die 1926 vom Sensations- und Skandalstück "Krankheit der Jugend" ausging: "Der gleichzeitig lyrisch-dunkle und realistisch-zeitkritische, hold-poetische und sachlich-unerbittliche Klang dieser Dialoge war neu in seiner Art, obgleich Strindberg und Wedekind einerseits und der junge Hauptmann andererseits an seiner Wiege Pate gestanden haben." Mit viel Sympathie - gingen die dramatischen. Versuche von Klaus Mann doch in eine vergleichbare Richtung - wird hier der Zusammenhang mit der Krise des Dramas zur Jahrhundertwende und zugleich das Neuartige eines Stücks wie "Krankheit der.Jugend" bezeichnet. Bruckner thematisiert nicht nur die als Krankheit gefaßte Krise seiner Protagonisten, sein Drama trägt selbst die Merkmale ( der in die Krise geratenen Gattung, wie sie von Peter Szondi beschrieben wurde.* Der Dialog, der aufgrund der beinahe totalen Fremdheit zwischen den Personen verunmöglicht scheint, wird nochmals durch die Enge des Schauplatzes, das Zimmer einer Pension, in der die drei Medizinstudentinnen Marie, Desirée und Irene wohnen, erzwungen, ohne daß er freilich eine handlungsvorantreibende Funktion erhalten könnte. Das Geschehen beschränkt sich auf die wechselnden sexuellen Attraktionen zwischen den Figuren und auf das Wechselspiel persönlicher Herrschaftsverhältnisse innerhalb dieser hermetischen Privathölle. Von Bruckners drei "Paten", die die Geschwister Mann nennen, scheint sich hier gleichsam nur Strindberg wirklich durchgesetzt zu haben. Verloren gegangen ist die satirische Schärfe Wedekinds und das soziale Interesse Hauptmanns. Die Ansätze einer sozialen Konkretion und individuellen Gestaltung der Personen verlieren sich häufig hinter einer allegorisierten Sexualität, die gleichermaßen als Bindemittel zwischen den Personen wie als Ausdruck ihrer radikalen Vereinzelung fungiert. Dabei unterläuft der Dramatiker wiederholt diese Gesamtkonstruktion seines Stücks, wenn er mit großer Prägnanz markante Handlungs- und Denkweisen gestaltet. Insbesondere mit Freder, dem Apologeten des Verbrechens und des barbarischen Lebens, dem mit Versatzstücken der nietzscheanischen Philoso