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diese Entscheidungen nicht in einem geschichslosen Raum angesiedelt, sondern finden innerhalb der konkreten gesellschaftlichen Verhältnisse statt - die die Grenzen für individuelle Entscheidungsmöglichkeiten freilich wiederum sehr eng ziehen - und werden somit durch die dramatische Handlung selbst motiviert. Die Fähigkeit des - wenn auch noch so deformierten und beschränkten - Handelns, die Fähigkeit des Widerstehens der dramatis personae eröffnet Möglichkeiten der dramatischen Gattung, die die Dramaturgie von Schock und Affirmation ans Bestehende blockierte. Es gibt kein permanentes Zerfließen der Konturen der Personen, aber auch keine Wiederkunft eines Immergleichen, die durch den Aspekt des Sensationellen retouchiert wird. Wenn diese Konsequenz gelegentlich verloren geht, so ist dies nur Indiz für die Schwierigkeiten der dramatischen Bewältigung des Stoffes. Dies zeigt sich an den holzschnittartigen Typen des ausgewalzten Milieus der Brauhausszene der "Rassen", hier vermochte ein Ödön von Horväth solchem Milieu durch die Methoden des Satirikers mehr Facetten abgewinnen. Auch schlägt wiederholt die Neigung des Autors durch, jene Figuren, die Opfer des Faschismus sind, als Sprachrohre zu verwenden, was ihnen eine gewisse Abstraktheit verleiht. Mit der Welt der Studenten konnte Bruckner nicht nur sein altes Thema "Jugend" neu aufgreifen, er konnte prismatisch dem vorläufigen Endpunkt einer Zerstörung der Vernunft nachgehen und dabei dennoch die Möglichgkeit von Revision, Umkehr und Erschrecken über eigene Haltungen in Betracht ziehen. Es war gerade dieses Moment, das Viertel in seiner Rede als "Dichterzug" pries, daß Bruckner "das Menschliche sogar im Todfeind, der ihn beschimpft, der ihn vertrieben hat"” entdeckt, ein " Dichterzug", der in seiner Radikalität und Schonungslosigkeit doch so unendlich entfernt von der verlogenen Versöhnlichkeit des offiziösen Nachkriegsösterreich ist. Die Möglichkeit des Subjekts zum Widerstand bleibt das Thema der Exildramatik Ferdinand Bruckners. "Denn seine Zeit ist kurz", 1942 im Exil in den USA geschrieben, handelt von dem norwegischen Pastor Vossevangen, der gegen die Okkupanten opponiert, indem er jeden Sonntag die Namen jener Gemeindemitglieder mahnend von der Kanzel aus verliest, die sich dem von den Nationalsozialisten installierten "Positiven Christentum" angeschlossen haben, der jedoch - im Gegensatz zu seiner Tochter Tora und ihrem Verlobten, dem Kandidaten der Theologie Lars - nahezu jegliche über sein Pastorenamt hinausreichende Aktivität ablehnt. Die Verhaftung und Hinrichtung eines Pastorenkollegen, Deportationen, Verfolgungen lassen ihn seine Reserven gegen den Widerstand aufgeben. Es geht hier letztlich um die Frage menschlicher Identität unter den Bedingungen äußerster Entfremdung, das Widerstehen bedarf einer radikalen Überprüfung alter Haltungen, will es nicht unfreiwillig zum stillen Einverständnis herabsinken. Es mag der "Theologie" geschuldet sein, daß die Prägnanz und Totalität, mit der Bruckner einen Teil der Personen der "Rassen" zu gestalten vermochte, in "Denn seine Zeit ist kurz" nicht in diesem Maß erreicht ist. Vom Standpunkt der in die Krise geratenen dramatischen Gattung aus, wird das Theologische zum Vehikel für die Reinstallation eines neuen Ideendramas im Schillerschen Sinn. Neben dem substantiellen Pathos, das die Figuren durch ihre Widerstandshaltung gegen den Faschismus erhalten, macht der Einsatz für das Christentum die Protagonisten zu Trägern von Ideen, mit denen sie zu Verhältnissen sowie zu anderen Menschen in Gegensatz treten. Das Moment des Rhetorischen überlagert die Möglichkeiten zur Dramatik. Das "Schauspiel" "Die Befreiten", 1944 entstanden, verbindet mit "Denn seine Zeit ist kurz" die Thematik des patriotischen Widerstands gegen die faschistischen Okkupanten. Eine Frage, die Ferdinand Bruckner während der Entstehungszeit auch in seinen publizistischen Arbeiten für die Austro American Tribune erörterte, in denen er (interessanterweise vorwiegend mit Bezug auf die Geschichte und Literatur Österreichs) den demokratischen Gehalt eines "Patriotismus" scharf von einem "Nationalismus" trennt, der als imperialistische Legitimationsideologie zur Unterwerfung anderer Länder fungiert. Als "Patrioten" bezeichnen sich in den "Befreiten" jene Menschen, die gegen den 15 Vom Nutzen und Nachteil der Textimmanenz Von der Mehrzahl germanistischer Dissertationen unterscheidet sich das Buch von Claus Erhard "Der ästhetische Mensch bei Robert Musil" dadurch, daß es eine Fragestellung besitzt. Die "verschiedenen poetologisch-denkerischen Positionen, die Musil im Laufe seines Lebens eingenommen hat", sollen als "Strukturelemente seiner Dichtungen" freigelegt werden. Und wenn der Autor sich nicht scheut, das Wort Dichtung zu verwenden, so weiß man schon, daß es ihm mit dem der Strukturelemente durchaus ernst ist: nicht weltanschauliche Inhalte werden aus den einzelnen Werken herausgeklaubt und aneinandergefügt, vielmehr geht es um den ästhetischen Zusammenhang, worin poetologisch-denkerische Positionen sich niederschlagen. Im Falle des "Törleß" bezweifelt Erhard, daß Musil sich mit der schöpferischen Methode der Ironie von seiner Hauptfigur distanzieren würde, und meint dagegen die Übereinstimmung des Autors mit seiner Figur zu erkennen, d.h. eine "dekadent-ästhetische" Position in Fragen der Moral, mit welcher Musil sogar "hinter einen schon 1899 nachweisbaren BewuBtseinsstand" zurückgefallen wäre. Doch Erhards Argumentation bleibt hier wenig überzeugend: ist es auch nicht Ironie, so stellt gewissermaßen die Atmosphäre der Verwirrung eine eigenartige Distanz zwischen Autor und Figur her, deren ästhetische Form eine genauere Untersuchung wert wäre. Vielleicht ergibt sich daraus eine unerwartete Nähe zu den Verwirrungen des Preußen Aschenbach in Thomas Manns "Tod in Venedig", die ebenfalls als Ironie des allwissenden Epikers mißverstanden zu werden pflegen. Jean Amerys Gedanken zu einer Fortsetzung des "Törleß" erinnern wohl nicht zufällig an die Weiterführung von Aschenbachs Figur in Viscontis Film "La caduta degli dei": Amery zeigt Törleß als Nazi oder Halbnazi, der sich in der Folterkammer des Konvikts schon früh zum Außenseiter gemacht hatte, um dann später dem deutschen Faschismus mit seiner "Verbindung (...) von technisch brillanter Organisation, physischer Prahlerei und herabgekommenem dionysischen Irrationalismus" zu verfallen. Die Verwirrung ist gewiß kein "Sieg des